Die unendliche Geschichte beim sog. Zusätzlichkeitserfordernis bei Arbeitgeberleistungen geht weiter: Nach dem restriktiven BMF-Schreiben von Anfang Februar (Schreiben v. 5.2.2020 – IV C 5 – S 2334/19/10017 :002) wollte der Gesetzgeber eigentlich im geplanten Grundrentengesetz (GruReG) quasi „Huckepack“ auch die BMF-Ansicht in einen neuen § 8 Abs. 4 EStG festschreiben.
Daraus wird jetzt nichts: Im Kabinettsentwurf des GruReG vom 19.2.2020 ist die Regelung nicht mehr enthalten und auf ein mögliches JStG 2020 vertagt worden. Was bedeutet das?
Hintergrund
Ich hatte berichtet: Die Gewährung von Zusatzleistungen (z.B. Erholungsbeihilfen oder die Überlassung von Telekommunikationsgeräten) durch Umwandlung von Gehaltsteilen oder Lohnformwechsel sind im Arbeitsleben weit verbreitet. Besonders attraktiv ist das, wenn der Arbeitgeber hierbei Steuervergünstigungen (Steuerfreiheit oder Lohnsteuerpauschalierung) nutzen kann, weil dann beim Arbeitnehmer „mehr ankommt“; betroffen sind zahlreiche Begünstigungstatbestände im EStG.
BFH schlägt sich auf Seite der Steuerzahler
Mit seinen arbeitnehmerfreundlichen Urteilen vom August 2019 hat der BFH (Urteil v. 1.8.2019 – VI R 32/18 u.a.) seine bisherige Rechtsprechung zu der in verschiedenen Steuerbefreiungs- und Pauschalbesteuerungsvorschriften oder anderen steuerbegünstigenden Regelungen im EStG enthaltenen Tatbestandsvoraussetzung geändert. Danach hängt die jeweilige Steuervergünstigung davon ab, dass eine bestimmte Arbeitgeberleistung „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ erbracht werden muss (sog. Zusätzlichkeitsvoraussetzung): Entgegen seiner früheren Rechtsprechung kommt es dem BFH zufolge jetzt nicht mehr darauf an, ob der zusätzliche Arbeitslohn vom Arbeitgeber arbeitsrechtlich geschuldet wird oder nicht( BFH v. 19.9.2012 – VI R 54/11, BStBl 2013 II , S. 395 und VI R 55/11, BStBl 2013 II S. 398). Das betrifft weiter Bereiche von einkommensteuerlichen Begünstigungsregeln, etwa § 3 Nr. 15, 33, 34, 34a, 37, 46 EStG und § 37b Abs .2 EStG, § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 5 und 6 EStG, § 100 Abs. 3 Nr. 2 EStG sowie § 40 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 Buchstabe b EStG, § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 7 EStG und § 8 Abs 2 S.11 zweiter Halbs. EStG.
BMF widerspricht dem BFH
Allerdings ist das BMF (Schreiben v. 5.2.2020 – IV C 5 – S 2334/19/10017 :002) – unter Bekräftigung der bisherigen Verwaltungsansicht (R 3.33 Abs. 5 Satz 2 LStR; BMF, Schreiben v. 22.5.2013, BStBl 2013 I S. 728) – den BFH-Urteilen entgegen getreten: Die BFH-Rechtsprechung soll über den entschiedenen Einzelfall hinaus für das „Zusätzlichkeitserfordernis“ nicht anwendbar sein. Nach BMF-Sicht gilt bei der Tatbestandsvoraussetzung „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ im Vorgriff auf eine entsprechende Gesetzesänderung eine Steuervergüntigung nur unter folgenden Bedingungen:
- die Leistung wird nicht auf den Anspruch auf Arbeitslohn angerechnet,
- der Anspruch auf Arbeitslohn wird nicht zugunsten der Leistung herabgesetzt,
- die verwendungs- oder zweckgebundene Leistung wird nicht anstelle einer bereits vereinbarten künftigen Erhöhung des Arbeitslohns gewährt und
- bei Wegfall der Leistung wird der Arbeitslohn nicht erhöht. Dies gilt im Hinblick auf den Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung unabhängig davon, ob der Arbeitslohn tarifgebunden ist.
Fazit: Es sind also nach Ansicht des BMF im gesamten Lohn-und Einkommensteuerrecht nur “echte Zusatzleistungen“ des Arbeitgebers steuerbegünstigt.
Änderung des § 8 Abs. 4 EStG im GruReG-Entwurf gestrichen
Der ursprüngliche Referentenentwurf vom 16.1.2020 für ein GruReG enthielt in Art.6 (Änderung des EStG) noch den Vorschlag für die Änderung des § 8 Abs. 4 EStG, mit dem die strenge BMF-Sicht in das Gesetz übernommen werden sollte. Dieser Änderungsvorschlag ist jetzt in der Kabinettsvorlage, die am 19.2.2020 beschlossen wurde, nicht mehr enthalten. Dem Vernehmen nach ist geplant, die Änderung des § 8 Abs. 4 EStG auf ein zu erwartendes JStG 2020 zu verschieben. Bis dahin hat es sein Bewenden mit dem o.g. BMF-Schreiben vom 5.2.2020.
Wie geht`s jetzt weiter?
Die Streichung des geplanten § 8 Abs. 4 EStG aus dem GruReG-Entwurf ist abermals eine „Rolle rückwärts“ des Gesetzgebers. Zunächst muss abgewartet werden, ob die Kabinettsvorlage das Gesetzgebungsverfahren in Bundestag und Bundesrat „unbeschadet“ wieder verlässt; die Erfahrung lehrt, dass kaum ein Gesetzentwurf unverändert die Parlamentsmühlen passiert. Das bedeutet: Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Änderung des § 8 Abs. 4 EStG nicht doch wieder im Gesetz landet.
Die Hoffnung bleibt aber, dass der Gesetzgeber einlenkt und von einer verschärfenden Änderung des § 8 Abs. 4 EStG die Finger lässt. Schon der Bund der Steuerzahler hatte in einer Stellungnahme gemahnt, dass die Gesetzespläne dazu führen, dass eine Steueroptimierung durch Zusatzleistungen praktisch nicht mehr umgesetzt und nur noch beim erstmaligen Vertragsschluss wirksam vereinbart werden könnte. Mal sehen, wie der Gesetzgeber mit dieser Kritik umgeht.
Bis dahin hat das BMF-Schreiben Bestand. Das neue BMF-Schreiben vom 5.2.2020 bindet allerdings nur die Finanzverwaltung, nicht den Steuerbürger und erst recht nicht die Finanzgerichte mit dem BFH an der Spitze. Dass dieser sich vom BMF „bevormunden“ lässt, ist kaum zu erwarten – eher das Gegenteil dürfte der Fall sein. Sollte also die Finanzverwaltung bei „Zusatzleistungen“ die Anerkennung der Steuerprivilegierung versagen, sollten sich Steuerpflichtige mutig auf die jüngste BFH-Rechtsprechung vom August 2019 berufen. Etwas anderes gilt erst dann, wenn der Gesetzgeber selbst das Steuerprivileg bei Zusatzleistungen des Arbeitgebers endgültig kassiert – damit ist jedenfalls jetzt nicht vor Jahresende 2020 zu rechnen.
Weitere Informationen:
- BFH, Urteil v. 01.08.2019 – VI R 32/18
- BMF v. 05.02.2020 – IV C 5 – S 2334/19/10017 :002
- GruReG-Entwurf vom 19.02.2020
Das ganze ist schon sehr merkwürdig in der Gesetzesbründung steht nämlich folgendes:
„Als Anreiz für den Aufbau einer zusätzlichen arbeitgeberfinanzierten betrieblichen Altersversorgung bei Geringverdienern wird der BAV-Förderbetrag mit Wirkung ab 2020 von maximal 144 Euro auf maximal 288 Euro angehoben. Damit werden zusätzliche Arbeitgeberbeiträge bis zu maximal 960 Euro gefördert. Mit der Änderung wird der Koalitionsbeschluss vom 10. November 2019 umgesetzt. Nach § 100 Absatz 3 Nummer 2 EStG kann der BAV-Förderbetrag nur für einen vom Ar-beitgeber zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbrachten Beitrag zur betrieblichen Altersversorgung an einen Pensionsfonds, eine Pensionskasse oder für eine Direktversicherung beansprucht werden. Der Arbeitgeber soll durch die staatliche Förderung motiviert werden, zusätzliche Mittel für die betriebliche Altersversorgung seiner Arbeitnehmer aufzubringen. Deshalb sind mittels Gehaltsverzichts oder -umwandlung finanzierte Beiträge oder Eigenbeteiligungen des Arbeitnehmers nicht begünstigt. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat jedoch in diesem Zusammenhang mit Urteil vom 1. August 2019 – VI R 32/18 – verneint, dass bestimmte Steuervergünstigungen für Sachverhalte mit Gehaltsverzicht oder -umwandlung (je nach arbeitsvertraglicher Ausgestaltung) durch die im Einkommensteuergesetz verankerte Zusätzlichkeitsvoraussetzung ausgeschlossen werden. Die Auffassung des BFH widerspricht der Auffassung des Gesetzgebers. Die Finanzverwaltung wendet daher das zuvor genannte Urteil nicht an (siehe Nichtanwendungserlass des Bundesfinanzminis-teriums vom 5. Februar 2020 – IV C 5 – S 2334/19/10017 :002 –). “
Wichtig hier der Satz „Die Auffassung des BFH widerspricht der Auffassung des Gesetzgebers.“
Warum wird das Gesetz das nicht geändert?
Und was soll man jetzt davon halten und insbesondere den Mandanten raten? Eine Gehaltsumwandlung dürfte den Arbeitgebern sicher leichter zu „verkaufen“ sein, als eine „echte“ Zusatzleistung.
Ja Herr Giebel, ein merkwürdiges Vorgehen! Offenbar soll die Änderung von 8 ABS 4 EStG in ein JStG 20 verschoben werden; das löst aber das Problem von Steuerpflichtigen, Unternehmen u Beratern nicht!
Die textliche Begründung passt nicht: was Ansicht des Gesetzgebers ist, steht im Gesetz und nur dort….
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. jur. Ralf Jahn
Ich halte das Ganze für eine Blamage des BMF. Man kassiert eine Niederlage vor dem BFH, will diese nicht wahrhaben, schreibt der Bundesregierung eine vollkommen „unausgegorene“ Gesetzesvorlage, die eiligst in ein artfremdes Gesetz gegossen werden soll und tut noch so, als wenn diese Vorlage quasi wie ein bereits verabschiedetes Gesetz wirkt. Und zudem rückwirkend in allen offenen Fällen (!!!) angewandt werden soll. Peinlich, peinlich.