Leider kommt es doch recht häufig vor, dass ein volljähriges Kind seine Ausbildung aufgrund einer langfristigen Erkrankung für mehrere Monate unterbrechen oder sogar ganz aufgeben muss. Für die Eltern stellt sich dann die Frage, ob und wie lange sie dennoch Kindergeld beziehen können und welche Nachweise sie gegebenenfalls gegenüber der Kindergeldkasse zu erbringen haben.
Im Jahre 2021 hat der BFH entschieden, dass bei einer Erkrankung, die länger als sechs Monate dauert, im Einzelfall entschieden werden muss, ob mit einer Fortsetzung der Ausbildung noch zu rechnen ist oder nicht. Ist nicht mit einer Fortsetzung bzw. Wiederaufnahme der Ausbildung nach sechs Monaten zu rechnen, wird das Kindergeld nicht mehr länger gewährt. Eine Kindergeldgewährung wegen einer Berufsausbildung ist selbst dann nicht möglich, wenn das Ausbildungsverhältnis zwar fortbesteht, Ausbildungsmaßnahmen wegen einer langfristigen Erkrankung des Kindes aber unterbleiben (BFH-Urteil vom 31.8.2021, III R 41/19; BFH-Urteil vom 15.12.2021, III R 43/20).
Der BFH zeigt sich also recht hartherzig, gibt aber noch einen Tipp mit auf den Weg: Bei voraussichtlich länger als sechs Monate andauernder Erkrankung ist gegebenenfalls eine Berücksichtigung als „behindertes Kind“ möglich. Ist die Behinderung vor Vollendung des 25. Lebensjahres eingetreten, kommt die Gewährung des Kindergeldes unter bestimmten Voraussetzungen auch über das 25. Lebensjahr hinaus in Betracht.
Nun hat sich das BZSt zu Wort gemeldet, und zwar in Form der neuen „Dienstanweisung Kindergeld 2023“. Das BZSt hat die Anwendung der BFH-Urteile verfügt. Vor allem legt es Wert auf die Einhaltung der Sechs-Monats-Frist (BZSt vom 26.5.2023, St II 2 – S 2280-DA/22/00001, BStBl 2023 I S. 818). Danach gilt laut Abschnitt A 15.11:
- Eine anspruchsschädliche Unterbrechung der Ausbildung liegt nicht vor, solange während einer Erkrankung die rechtliche Bindung zur Ausbildungsstätte bzw. zum Ausbilder fortbesteht und die Durchführung der Ausbildungsmaßnahmen wegen einer vorübergehenden Erkrankung unterbleibt (BFH-Urteil vom 15.12.2021, III R 43/20, BStBl II 2022 S. 472).
- Von einer vorübergehenden Erkrankung ist auszugehen, wenn sie im Hinblick auf die ihrer Art nach zu erwartende Dauer der von ihr ausgehenden Funktionsbeeinträchtigung mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßig nicht länger als sechs Monate währt (BFH-Urteil vom 31.8.2021, III R 41/19, BStBl II 2022 S. 465).
- Die Erkrankung und das voraussichtliche Ende der Erkrankung sind durch eine Bescheinigung des behandelnden Arztes nachzuweisen. Ist nach den ärztlichen Feststellungen das voraussichtliche Ende der Erkrankung nicht absehbar oder währt die Erkrankung bzw. die von ihr ausgehende Beeinträchtigung länger als sechs Monate, ist zu prüfen, ob das Kind wegen einer Behinderung nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG berücksichtigt werden kann.
- Von einer ärztlichen Bescheinigung über das voraussichtliche Ende der Erkrankung kann abgesehen werden, wenn das Kind zwischenzeitlich die Ausbildung wieder aufgenommen oder eine neue Ausbildung begonnen hat.
Denkanstoß:
Beim Skat gilt der Spruch „Wer schreibt, der bleibt“. Und diesen Spruch sollten Eltern auch beim Kindergeld beachten. Das heißt: Wenn ein Kind längerfristig erkrankt ist, sollte stets frühzeitig der Kontakt mit der Familienkasse gesucht werden. Diese sollte lieber einmal zu viel als zu wenig informiert werden.
Wird davon ausgegangen, dass das Kind seine Ausbildung fortsetzen kann, sollte dies der Familienkasse versichert und zudem das voraussichtliche Ende der Erkrankung durch eine Bescheinigung des behandelnden Arztes nachgewiesen werden. Die Bescheinigung ist jeweils nach Ablauf von sechs Monaten zu erneuern und der Familienkasse vorzulegen. Für die Nachweisführung steht der so genannte Vordrucke KG 9a zur Verfügung. Er ist im Internet abrufbar: https://www.arbeitsagentur.de/datei/kg9a_ba036150.pdf
Noch ein Wort zu dem „Tipp“ des BFH bezüglich der möglichen Behinderung des Kindes. Natürlich kann und wird es bei schwerwiegenden Krankheiten angezeigt sein, eine Schwerbehinderung feststellen zu lassen. Bei – voraussichtlich oder hoffentlich – nur vorübergehenden (wenn auch langwierigen) Krankheiten dürfen aber die möglichen weiteren (finanziellen) Folgen nicht außer Betracht bleiben, etwa eine später erschwerte Suche nach einem Arbeitsplatz sowie die (Fast-)Unmöglichkeit, einen privaten Krankenversicherungsschutz zu erlangen oder eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen zu können.