Wetten, dass…? BGH legt Sportwettenstreit dem EuGH zur Vorabentscheidung vor

Der BGH hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob die Dienstleistungsfreiheit eines Anbieters von Sportwetten einer Erstattung der im Rahmen unerlaubter Online-Sportwetten erlittenen Verluste von Spielern entgegensteht (BGH v. 25.7.2024 – I ZR 90/23).

Die Entscheidung könnte weitreichende finanzielle Folgen für Sportwettenanbieter und deren Kunden haben

Hintergrund

Glücksspiel kann süchtig machen. Deshalb sind auch in Deutschland Sportwetten grundsätzlich verboten; wer Sportwetten anbieten will, bedarf deshalb nach dem Glückspielvertrag der Länder einer vorherigen Erlaubnis des jeweiligen Landes. Das Verbot mit Erlaubnisvorbehalt für die Veranstaltung öffentlicher Sportwetten in § 4 Abs. 1, 4 und 5, § 4a Abs. 1, § 10a Abs. 2 und 3 GlüStV 2012 stellt ein gesetzliches Verbot im Sinn des § 134 BGB dar. Der Zweck des gesetzlichen Verbots, die Bevölkerung vor von öffentlichen Glücksspielen ausgehenden Gefahren zu schützen, erfordert grundsätzlich die Nichtigkeit der auf Grundlage eines Internetangebots unter einseitigem Verstoß gegen die Erlaubnispflicht geschlossenen Glücksspielverträge.

Sachverhalt im Streitfall

Die Beklagte mit Sitz in Malta bietet Sportwetten über eine deutschsprachige Webseite mit einer deutschen Top-Level-Domain an. Der Kläger nahm von 2013 bis zum 9.10.2020 im Internet an Sportwetten der Beklagten teil. In diesem Zeitraum verfügte die Beklagte in Deutschland nicht über eine Konzession zur Veranstaltung von Sportwetten. Sie hatte eine solche Konzession zwar nach dem damals geltenden Glücksspielstaatsvertrag 2012 beantragt, aber nicht erhalten. Ihr wurde erst mit Bescheid vom 9.10.2020 – in einem neuen Konzessionserteilungsverfahren auf Grundlage der ab 1.1.2020 geltenden Fassung des Glücksspielstaatsvertrags 2012 – eine Erlaubnis zum Veranstalten von Sportwetten und Online-Sportwetten in Deutschland erteilt.

Der Kläger macht geltend, die mit der Beklagten geschlossenen Wettverträge seien nichtig, weil das unerlaubte Angebot von Online-Sportwetten gegen den Glücksspielstaatsvertrag 2012 verstoßen habe. Er hat die Beklagte auf Rückzahlung verlorener Wetteinsätze in Höhe von 3.719,26 € verklagt. Das Amtsgericht (AG Geislingen v.  28.4.2022 – 3 C 459/21) hat die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Landgericht (LG Ulm v. 24.5. 2023 – 1 S 46/22) zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger seine Anträge weiter.

Entscheidung des BGH

Der BGH hat jetzt das Verfahren ausgesetzt, um im Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV) vom EuGH klären zu lassen, ob es der EU-Dienstleistungsfreiheit eines Sportwettenanbieters widerspricht, wenn er die im Rahmen unerlaubter Online-Sportwetten erlittenen Verluste von Spielern erstatten soll, weil er eine entsprechende Erlaubnis zwar beantragt hatte, diese aber noch nicht erteilt war. Die Beklagte hat im Streitfall gegen den Glückspielvertrag verstoßen, indem sie in Deutschland öffentlich im Internet Sportwetten angeboten hat, ohne im für den Streitfall relevanten Zeitraum über die hierfür erforderliche Erlaubnis zu verfügen. Aus dem Verstoß folgt grundsätzlich die Nichtigkeit der zwischen dem Kläger und der Beklagten geschlossenen Sportwettenverträge (§ 134 BGB) und ein Anspruch des Klägers auf Erstattung seiner Verluste (§ 812 Abs. 1 S. 1 Fall 1 BGB). Das sieht der BGH also anders als die Vorinstanzen.

Für den BGH stellt sich aber die Frage, ob aus unionsrechtlichen Gründen eine andere Beurteilung geboten ist, weil die Beklagte im maßgeblichen Zeitraum bereits eine Konzession für die Veranstaltung von Sportwetten in Deutschland beantragt hatte und das für diesen Antrag geltende Konzessionserteilungsverfahren unionsrechtswidrig durchgeführt wurde. Der EuGH (v. 4.2.2016 – C 336/14, ZfWG 2016, 115) hat in einer gleichfalls unerlaubten Sportwette betreffenden strafrechtlichen Ausgangsverfahren entschieden, dass nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts kein Mitgliedstaat eine strafrechtliche Sanktion für ein Verhalten verhängen darf, mit dem der Betroffene einer verwaltungsrechtlichen Anforderung nicht genügt hat, wenn der Mitgliedstaat die Erfüllung der Anforderung unter Verstoß gegen das Unionsrecht abgelehnt oder vereitelt hat. Es stellt sich daher für den BGH die Frage, ob im Rahmen nicht erlaubter Online-Angebote abgeschlossene Sportwettenverträge zivilrechtlich als nichtig angesehen werden dürfen oder der gleiche Maßstab wie im Strafrecht gilt. Sollte der EuGH mit bindender Wirkung feststellen, dass im Hinblick auf die Sanktionsfolgen auch zivilrechtlich nichts anderes gelten kann wie im Strafrecht, bliebe es nicht automatisch beim Nichtigkeitsverdikt. Die Revision des Wettspielteilnehmers blieb insoweit ohne Erfolg.

Erste Einordnung

Der BGH hat angedeutet, zum Nichtigkeitsverdikt zu neigen: Die zivilrechtliche Rechtsfolge der Nichtigkeit stelle keine Strafe dar, sondern eine Einschränkung der Privatautonomie zum Schutz des allgemeinen Rechtsverkehrs. Die im Verhältnis des Staats zum Sportwettenanbieter eintretenden Rechtsfolgen lasse sich daher nicht ohne Weiteres auf das Verhältnis des Sportwettenanbieters zum Spieler als privatem Dritten übertragen. Die einen Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit rechtfertigenden zwingenden Gründe des Allgemeininteresses – darunter der Schutz der Bevölkerung vor übermäßigen wirtschaftlichen Schäden durch öffentliches Glücksspiel – bestehen auch dann, wenn das formelle Verfahren der Konzessionserteilung unionsrechtswidrig ausgestaltet war.

Teilt der EuGH diese Ansicht nicht, kommt es im vorliegenden aber zusätzlich auf die vom BGH anderweitig vertretene vorläufige Ansicht (BGH v. 22.3.2024 – I ZR 88/23, NJW 2024, 1950) an, dass es jedenfalls für solche unerlaubten Online-Sportwettenangebote, die auch in einem unionsrechtskonformen Konzessionserteilungsverfahren nicht ohne Weiteres erlaubnisfähig gewesen wären, insbesondere weil die angebotenen Sportwetten wegen Nichteinhaltung des grundsätzlich auf 1.000 € begrenzten monatlichen Höchsteinsatzes je Spieler dem materiellen Glücksspielrecht widersprachen, bei der Nichtigkeitsfolge des § 134 BGB verbleibt. Da das Berufungsgericht (LG Ulm) hierzu bislang keine Feststellungen getroffen hat, ist nach Ansicht des BGH zugunsten der Beklagten (zunächst) davon auszugehen, dass sie die spielerschützenden Regelungen des materiellen Glücksspielrechts gegenüber dem Kläger eingehalten hat. Wenn es – auch nach Ansicht des EuGH – darauf ankommt, ob das materielle Glücksspielrecht (hier: Hinweis auf Begrenzung des Höchstspieleinsatzes) eingehalten worden ist, könnte es zur weiteren Aufklärung auch zu einer Rückverweisung an die Berufungsinstanz kommen. Angesichts dieser Lage hat der BGH zwei weitere bei ihm anhängige Verfahren über die Erstattung von Verlusten aus Sportwetten bis zu einer Entscheidung des EuGH im vorliegenden Verfahren ausgesetzt. Zumindest einer dieser Fälle betrifft eine Konstellation, in der sich aus den Feststellungen des Berufungsgerichts neben dem Verstoß gegen die formelle Erlaubnispflicht auch ein Verstoß gegen das materielle Glücksspielrecht und insbesondere die grundsätzliche Verpflichtung zur Begrenzung des Höchsteinsatzes ergibt.

 

 

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