Im letzten Blog habe ich mich mit den Vorschlägen des DRSC für eine Überarbeitung des Lageberichtsstandards DRS 20 durch E-DRÄS 8 im Hinblick auf die neuen gesetzlichen Anforderungen für eine nichtfinanzielle Erklärung befasst. Dabei wurde auch das aktuelle Positionspapier des IDW zum Thema angesprochen. Die Berichtspflichten knüpfen dabei an das Vorliegen wesentlicher Sachverhalte an und auch weitere unbestimmte Rechtsbegriffe grenzen die Berichtspflichten ein. Kann man diese operationalisieren?
In der nichtfinanziellen Erklärung erfolgt insbesondere eine Berichterstattung im Hinblick auf Umwelt-, Arbeitnehmer- und Sozialbelangen, Achtung der Menschenrechte sowie Bekämpfung von Korruption und Bestechung (§ 289c Abs. 3 Nr. 3 HGB; nachfolgend „Aspekte“). Die wesentlichen Risiken, die mit der eigenen Geschäftstätigkeit der Kapitalgesellschaft verknüpft sind und die sehr wahrscheinlich schwerwiegende negative Auswirkungen auf die zuvor genannten Aspekte haben oder haben werden, sowie die Handhabung dieser Risiken durch die Kapitalgesellschaft sind zu berichten (§ 289c Abs. 3 Nr. 3 HGB). Zudem ist über die wesentlichen Risiken zu berichten, die mit den Geschäftsbeziehungen der Kapitalgesellschaft, ihren Produkten und Dienstleistungen verknüpft sind und die sehr wahrscheinlich schwerwiegende negative Auswirkungen auf die zuvor genannten Aspekte haben oder haben werden, soweit die Angaben von Bedeutung sind und die Berichterstattung über diese Risiken verhältnismäßig ist, sowie die Handhabung dieser Risiken durch die Kapitalgesellschaft (§ 289c Abs. 3 Nr. 4 HGB).
Nicht sämtliche Risiken sind zu berichten, sondern wesentliche Risiken mit sehr wahrscheinlich schwerwiegenden negativen Auswirkungen und im Hinblick auf Geschäftsbeziehungen, Produkte und Dienstleistungen, wenn sie von Bedeutung sind und die Berichterstattung über diese Risiken verhältnismäßig ist. Bei der Kosten-Nutzen-Abwägung sind nicht nur die Belange der berichtenden Gesellschaft, sondern auch bei Lieferanten und Subunternehmen in die Abwägung einzubeziehen (DRS 20.280 idF E-DRÄS 8). Mit diesen Einschränkungen – wesentliche Risiken, schwerwiegende negative Auswirkungen, Verhältnismäßigkeit – ist der Kreis der berichtspflichtigen Risiken deutlich eingeschränkt. Nur wesentliche Sachverhalte, die für die Adressaten der Berichtserstattung entscheidungsrelevant sind und sehr bedeutsame Folgen für das berichterstattende Unternehmen haben, sind zu berichten. Im Hinblick auf Geschäftsbeziehungen, Produkte und Dienstleistungen müssen zudem die Kosten der Informationserhebung durch den Nutzen auf der Empfängerseite gerechtfertigt sein.
Nach den Vorstellungen der GRI sind wesentliche Sachverhalte Themen,
- die im Hinblick auf die Auswirkungen des Unternehmens auf wirtschaftliche, soziale oder Umweltbelange als wichtig eingestuft werden oder (!)
- Entscheidungen der Adressaten beeinflussen können:
„Relevant topics, which potentially merit inclusion in the report, are those that can reasonably be considered important for reflecting the organization’s economic, environmental, and social impacts, or influencing the decisions of stakeholders“.
Während der zweite Anknüpfungspunkt an die übliche Ausrichtung der Wesentlichkeit bezüglich Fragen der Rechnungslegung und Abschlussprüfung erinnert, geht der erste Ansatzpunkt darüber hinaus und folgt dem Gedanken „nice to know“.
Zur Operationalisierung wird auf die Beurteilung interner und externer Faktoren abgestellt:
- Mission und Wettbewerbsstrategie des Unternehmens
- Von Stakeholdern ausgedrückte Bedenken
- Erwartungen der Gesellschaft
- Einfluss des berichtenden Unternehmens auf Lieferanten, Subunternehmer, Abnehmer
- Erwartungen aufgrund internationaler Standards oder Vereinbarungen, deren Erfüllungen vom Unternehmen zu erwarten ist
Jetzt ist doch allen Bloglesern klar, was Wesentlichkeit im Zusammenhang mit nichtfinanzieller Berichterstattung bedeutet? Kann gar nicht sein, weil GRI weitere Hinweise gewährt. Danach sollen verschiedene Methoden einsetzbar sein, um festzustellen was wichtige Auswirkungen des Unternehmens auf wirtschaftliche, soziale oder Umweltbelange sein können, beispielsweise Auffassungen von etablierten Fachkreisen, Inputfaktoren in „impact assessment methodologies“ oder Lebenszyklusanalysen. Daneben sind gerade solche Auswirkungen wichtig, die in der Unternehmenssteuerung Berücksichtigung finden, also eine Orientierung am sogenannten Management Approach. Der GRI-Standard liefert in Section 1.3 dann noch eine Reihe von Testindikatoren, die für die Beurteilung herangezogen werden können, aber den Rahmen dieses Blogs sprengen würden.
Das IDW macht sich in seinem Positionspapier ebenfalls Gedanken, was ein wesentliches Risiko ist. Danach erfüllt eine lediglich auf die Auswirkungen der Tätigkeit beschränkte Berichterstattung das Wesentlichkeitskriterium alleine nicht, wenn die Angaben nicht auch für die Lage des Unternehmens relevant sind. Für eine Annäherung an die Problematik verweist das IDW zwar auch auf Rahmenkonzepte zur nichtfinanziellen Berichterstattung und nennt im Besonderen die Standards der GRI. Dann wird aber eingeschränkt: „Insofern sollten Unternehmen bei der Verwendung von Rahmenwerken (wie GRI) im Hinblick auf ihre Wesentlichkeitsanalyse sicherstellen, dass damit das Wesentlichkeitserfordernis des HGB mindestens erfüllt ist.“ Jetzt ist dem Anwender aber toll geholfen! Ich lese hier eine leise Distanzierung.
Eine weitere Frage ist die nach der eingangs erwähnten Verhältnismäßigkeit von Kosten der Informationsbeschaffung und Nutzen der Berichterstattung. Hier will das DRSC helfen: „Die Einschätzung, ob die Berichterstattung über die Risiken verhältnismäßig ist, richtet sich auch danach, ob die Kosten der Informationsbeschaffung für das Mutterunternehmen und seine Lieferanten bzw. Subunternehmer und der Informationsnutzen der Adressaten ausgewogen sind“ (DRS 20.280 idF EDRÄS 8). So ganz neu ist die Erkenntnis nicht, dass diese Betrachtung zwar theoretisch überzeugend sein mag, nur an der Operationalisierbarkeit krankt. Selbst wenn man die Kosten der Informationsbereitstellung noch zuverlässig messen könnte, fehlt es regelmäßig an der Messbarkeit des Nutzens auf Adressatenseite.
Im Ergebnis hat der Gesetzgeber mit einer Ansammlung unbestimmter, schwer handhabbarer Rechtsbegriffe gearbeitet. Die Folge einer sehr uneinheitlichen Einschätzung in der Praxis und Rechtsunsicherheit ist absehbar.
Weitere Hinweise
Mujkanovic, Risiken überall – Lagebericht und nichtfinanzielle Erklärung (nwb-experten-blog)
Mujkanovic, CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz verabschiedet (nwb-experten-blog)
Mujkanovic, Was sind wir doch alle so verantwortungsbewusst (nwb-experten-blog)
GRI, SUSTAINABILITY REPORTING STANDARDS 2016 (www.globalreporting.org)
E-DRÄS 8 Änderungen des DRS 20 Konzernlagebricht (www.drsc.de)
IDW Positionspapier: Pflichten und Zweifelsfragen zur nichtfinanziellen Erklärung als Bestandteil der Unternehmensführung (ww.idw.de, Stand 14.6.2017)