Weiträumiges Tätigkeitsgebiet – ein seltsames Steuergebilde

Ich kenne den Hamburger Hafen lediglich von einer Hafenrundfahrt und den Hafen Bremerhaven nur von einem ganz kurzen Aufenthalt. Ich kann mir aber sehr gut vorstellen, dass beide Hafengebiete enorm groß sind und steuerlich daher als weiträumige Tätigkeitsgebiete i.S. des § 9 Abs. 1 S 3 Nr. 4a EStG gelten, wenn Arbeitnehmer im Hafengebiet eingesetzt werden. Das Niedersächsische FG musste sich in jüngster Zeit mit beiden Häfen beschäftigen, also mit der Frage, ob Arbeitnehmer in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet arbeiten.

Im Jahre 2021 haben die Richter entschieden, dass ein Hafenarbeiter des Hamburger Hafens in einem weiträumigen Tätigkeitsgebiet arbeitet. Dies gilt auch dann, wenn er von seinem Arbeitgeber im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung bei verschiedenen Einzelbetrieben auf dem Gebiet des Hamburger Hafens eingesetzt wird. Folglich werden die Fahrten zu dem nächstgelegenen Hafenzugang nur mit der Entfernungspauschale berücksichtigt (Urteil vom 3.2.2021, 4 K 11006/17). Es wurde allerdings die Revision zugelassen, die beim Bundesfinanzhof unter dem  Az. VI R 4/21 vorliegt. Um den Abzug von Verpflegungspauschalen ging es in dem Verfahren übrigens nicht.

Jüngst ging es um das Gebiet des Hafens von Bremerhaven. Anders als in dem oben genannten Fall diente das Hafengebiet aber nicht in seiner Gesamtheit der Tätigkeit des Arbeitgebers, das heißt, es wurden nur Teile des Hafengebiets genutzt. Hier haben die Richter entschieden, dass kein weiträumiges Tätigkeitsgebiet vorliegt (Urteil vom 2.9.2022, 4 K 149/21).

Diese Entscheidung war für den Kläger positiv, denn es kam hinzu, dass er auch keine „erste Tätigkeitsstätte“ hatte. Ihm konnte nicht nachgewiesen werden, dass er einer Einrichtung des Arbeitgebers dauerhaft zugeordnet war. So konnte er für jeden Tag, an dem er mehr als acht Stunden von zuhause abwesend war, die Verpflegungspauschale in Anspruch nehmen. Und auch wenn es in dem Verfahren nicht um die Fahrten zur Arbeit ging, so darf unterstellt werden, dass diese mit den Dienstreisesätzen steuerlich berücksichtigt wurden.

Denkanstoß:

Wann ein weiträumiges Tätigkeitsgebiet vorliegt, ist wohl in den meisten Fällen eine reine Wertungsentscheidung und zumindest mir sind keine Grundsätze bekannt, an denen man sich gut orientieren könnte. Beispielsweise hat der BFH zum Lokführer einer Werksbahn geurteilt: Das firmeneigene Schienennetz, das ein Lokomotivführer mit der firmeneigenen Eisenbahn (Werksbahn) seines Arbeitgebers befährt, ist eine – wenn auch großräumige – erste Tätigkeitsstätte (BFH-Urteil vom 1.10.2020, VI R 36/18). Der BFH differenziert also zwischen einem „weiträumigen Tätigkeitsgebiet“ und einer „großräumigen ersten Tätigkeitsstätte“.

Ich gebe zu, dass ich diese Unterscheidung nicht verstehe, zumal ein Tatbestandsmerkmal „großräumig“ auch nicht in § 9 EStG zu finden ist. Er ist im Übrigen nicht verwunderlich, dass der BFH mit seinem Urteil das Scheunentor für die Finanzverwaltung weit geöffnet hat, die nun fast schon reflexartig eine „großräumige erste Tätigkeitsstätte“ unterstellt. Gut, dass das Niedersächsische FG das Scheunentor wieder ein Stück weit geschlossen hat.


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