Was muss der Arbeitgeber beim Zugangsnachweis bei Kündigung beachten?

Am 30.1.2025 hat das BAG (2 AZR 68/24) eine wichtige Entscheidung zur Frage, unter welchen Bedingungen ein Arbeitgeber beweisfällig bleibt, wenn der Arbeitnehmer den Zugang einer Beendigungskündigung bestreitet.

Hintergrund

Kündigungen des Arbeitsverhältnisses gehören im Alltag leider immer wieder zum Tagesgeschäft von Personalverantwortlichen in Unternehmen. Erfolgt eine Kündigung, kann sich der Arbeitnehmer innerhalb von drei Wochen ab Zugang der Kündigung vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung wehren (§ 4 Satz 1 KSchG). Wird diese Frist versäumt gilt die Kündigung als wirksam und beendet das Arbeitsverhältnis. Häufig wird aber über den Zeitpunkt des „Zugangs“ der Kündigung gestritten, die bei Bestreiten der Arbeitgeber beweisen muss.

BAG klärt wichtige Fragen zu Einwurf-Einschreiben, Zugang und Anscheinsbeweis

Im Streitfall hatte das ArbG Heilbronn (11.1.2023 – 1 Ca 91/22) die Kündigungsschutzklage einer Arbeitnehmerin abgewiesen, das LAG Baden-Württemberg (12.12.2023 – 15 Sa 20/23) gab ihr hingegen unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils statt. Die hiergegen gerichtete Revision des Arbeitgebers blieb jetzt vor dem BAG (2 AZR 68/24) erfolglos. Die Begründung des BAG ist für eine Vielzahl vergleichbarer Fälle praktisch relevant:

  • Zugang: Nach ständiger Rechtsprechung geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten (BAG v. 20.6.2024 – 2 AZR 213/23). Der Arbeitgeber trägt für den ihm günstigen Umstand des Zugangs des Kündigungsschreibens die Darlegungs- und Beweislast (BAG 22.8.2019 – 2 AZR 111/19).
  • Anscheinsbeweis: Dem Beweispflichtigen kann der Anscheinsbeweis zugutekommen. Der Beweis des ersten Anscheins greift bei typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolgs hinweist. „Typisch“ bedeutet dabei nicht, dass die Ursächlichkeit einer Tatsache für den Erfolg bei allen Sachverhalten der Fallgruppe immer vorhanden sein muss; sie muss aber so häufig gegeben sein, dass die Wahrscheinlichkeit, einen solchen Fall vor sich zu haben, sehr groß ist (BAG 20.6.2024 – 2 AZR 213/23; BGH 3.12.2024 – VI ZR 18/24).
  • Einwurf-Einschreiben: Der Einlieferungsbeleg eines Einwurf-Einschreibens, aus dem neben dem Datum und der Uhrzeit der Einlieferung die jeweilige Postfiliale und die Sendungsnummer ersichtlich sind, genügt zusammen mit einem im Internet abgefragten Sendungsstatus nicht für einen Beweis des ersten Anscheins, dass ein Schreiben tatsächlich zugegangen ist.

 

Der Absender eines Einwurf-Einschreibens kann sich aber bei Vorlage des Einlieferungsbelegs zusammen mit einer Reproduktion des Auslieferungsbelegs auf den Beweis des ersten Anscheins berufen, dass die Sendung durch Einlegen in den Briefkasten bzw. das Postfach zugegangen ist, wenn ein näher beschriebenes Verfahren eingehalten wurde (BGH 11.5.2023 – V ZR 203/22; BGH 27.9.2016 – II ZR 299/15). Dies gilt etwa für das Zustellverfahren der Deutschen Post AG, bei dem die Ablieferung der Sendung durch deren Einwurf in den Briefkasten oder das Postfach des Empfängers erfolgt ist. Unmittelbar vor dem Einwurf wird hierbei das sog. „Peel-off-Label“ (Abziehetikett), das zur Identifizierung der Sendung dient, von dem zustellenden Postangestellten abgezogen und auf einen vorbereiteten, auf die eingeworfene Sendung bezogenen Auslieferungsbeleg aufgeklebt. Auf diesem Beleg bestätigt der Postangestellte nach dem Einwurf mit seiner Unterschrift und der Datumsangabe die Zustellung. Bei Einhaltung dieses Verfahrens ist nach der Rechtsprechung der Schluss gerechtfertigt, dass die eingelieferte Sendung tatsächlich in den Briefkasten des Empfängers gelangt ist (BGH 27.9.2016 – II ZR 299/15).

Aber Achtung: Da durch die Absendung eines Schreibens nicht der Nachweis seines Zugangs erbracht werden kann, ist der bloße „Einlieferungsbeleg“ für die Frage des Zugangs ohne Bedeutung. Die Vorlage des Einlieferungsbelegs eines Einwurf-Einschreibens und die Darstellung seines Sendungsverlaufs begründen ohne die Vorlage einer Reproduktion des „Auslieferungsbelegs“ keinen Anscheinsbeweis für den Zugang beim Empfänger, da es dann an Angaben über die Person des den Einwurf bewirkenden Postbediensteten sowie über weitere Einzelheiten der Zustellung fehlt. Auch der bloße Sendungsstatus im Sendungsverlauf begründet keinen Zugangsnachweis.

Bedeutung für die Praxis

Die vom BAG erfolgten Klarstellungen sind ebenso einleuchtend wie weitreichend. Sie gelten nicht nur bei Kündigungen, sondern in allen Fällen, in den der „Zugang“ einer Willenserklärung nachgewiesen werden muss. Die Erkenntnisse sind deshalb auch auf das Zivilrecht oder das Verwaltungsrecht übertragbar, wo es vergleichbare Zugangsprobleme geben kann.

Ein Beitrag von:

  • Prof. Dr. jur. Ralf Jahn

    • Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg
    • Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt
    • Honorarprofessor an der Universität Würzburg

    Warum blogge ich hier?
    Mein erster Blog bietet die Möglichkeit, das Thema der Pflicht der „Pflichtmitgliedschaft in Kammern“ „anzustoßen“ und in die Diskussion zu bringen. Bei genauem Hinsehen sichert der „Kammerzwang“ nämlich Freiheitsrechte durch die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Partizipation.

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