BFH zur Abgrenzung und Umsatzsteuer von Vitaminprodukten
Umsatzsteuerlich unterliegen Arzneimittel dem Regelsteuersatz, wogegen für Lebensmittel regelmäßig der ermäßigte Umsatzsteuersatz gilt. Im Hinblick auf den Verkauf an private Endverbraucher ist es daher für den Unternehmer durchaus vorteilhaft, wenn die vertriebenen Waren als „Lebensmittel“ deklariert werden. Doch wann gelten beispielsweise Nahrungsergänzungsmittel oder Vitaminpräparate als Lebensmittel und nicht als Arznei?
Der Sachverhalt
Ein Steuerpflichtiger vertrieb Nährstoffmischung mit Vitaminen und Spurenelementen in Form von Kapseln. Er geriet mit seinem Finanzamt in Streit, ob für die von ihm vertriebenen diätischen Lebensmittel der allgemeine oder der begünstigte Umsatzsteuersatz anzuwenden ist.
In erster Instanz kam das Finanzgericht Niedersachsen zu der Entscheidung, dass hier der ermäßigte Steuersatz anzuwenden ist (14.04.2016 – 11 K 10239/15). Nach seiner Entscheidung sollte hier § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG und dessen Anlage 2 Nr. 33 zur Anwendung kommen. Es handele sich schließlich um eine Lebensmittelzubereitung i.S. der Pos. 2106 und nicht um eine Arzneiware i.S. der Pos. 3004 gemäß Kapitel 21 der Kombinierten Nomenklatur (KN), so die Entscheidung.
Das Finanzgericht führte zudem aus, dass die Angaben auf der Verpackung und dem Beipackzettel zu allgemein seien, als dass man hieraus genau umschriebene therapeutische oder prophylaktische Eigenschaften der Ware entnehmen könnte; insbesondere werde kein „Wirkmechanismus“ beschrieben.
Gegen diese Entscheidung wandte sich der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt) in seiner Revision.
Die Revision beim BFH
Die Revision war begründet, da es für die Auslegung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 UStG und seiner Anlage 2 allein auf die zolltariflichen Vorschriften und Begriffe ankommt. Das entscheidende Kriterium für die Tarifierung von Waren ist hiernach allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu suchen, wie sie im Wortlaut der Positionen und Unterpositionen der Kombinierten Nomenklatur, in den Anmerkungen zu den Abschnitten oder Kapiteln und in den Allgemeinen Vorschriften für die Auslegung der Kombinierten Nomenklatur festgelegt sind. Existierende Erläuterungen und Einreihungsavise sind ein wichtiges, aber nicht verbindliches Erkenntnismittel für die Auslegung der einzelnen Tarifpositionen.
Der Senat wies auch darauf hin, dass Umstände des Vertriebs, die Beschreibung in Verkaufs- oder Herstellerprospekten, der Umfang der tatsächlichen Verwendung und die Bezeichnung im Handelsverkehr grundsätzlich keine Kriterien sind, aus denen die Einreihung einer Ware folgt. Wie gut, denn wie oft hält die Werbung, was sie verspricht?
Zur Abgrenzung von Arzneimitteln und Nahrungsmitteln hat der BFH in seinem Urteil vom 18.09.2018 – VII R 9/17 folgende Kriterien aufgeführt.
Wann liegen Arzneimittel vor?
Arzneiwaren sind im Allgemeinen Erzeugnisse, die eindeutig bestimmbare oder genau umschriebene therapeutische oder prophylaktische Eigenschaften aufweisen. Ihre Wirkung konzentriert sich auf bestimmte Funktionen des menschlichen Organismus. Sie können zur Verhütung oder Behandlung einer (spezifischen) Krankheit oder eines (spezifischen) Leidens angewandt werden.
Kein maßgebliches Kriterium ist die Darreichungsform. Es ist also unerheblich, ob das Erzeugnis als Kapsel, Tablette o.Ä. angeboten wird, da auch Lebensmittel in dieser Form erhältlich sind, um dem Verbraucher den Verzehr bequemer zu machen.
Wann liegen Nahrungsmittel vor?
Auch Vitamine, Spurenelemente, Mineralsalze und andere Nährstoffe können Krankheiten entgegenwirken. Allerdings ist nicht jedes Nahrungsmittel oder Präparat, das diese Stoffe enthält und der Behebung oder Vermeidung pathogener Mangelzustände dient, eine Arzneiware i.S. der Pos. 3004 KN.
Voraussetzung ist hierfür vielmehr, dass die zur Verhütung oder Behandlung einer bestimmten Krankheit eingesetzten Wirkstoffe in dem Produkt in einer Weise vorhanden sind, die über das für die Ernährung notwendige oder üblicherweise empfohlene Maß deutlich hinausgeht und die der Mensch in dieser Dosierung selbst nicht erzeugen kann.
Pflanzliche Arzneizubereitungen und Zubereitungen auf der Grundlage von Vitaminen, Mineralstoffen, essentiellen Aminosäuren oder Fettsäuren zählen zu Arzneimitteln, wenn auf dem Etikett, der Verpackung oder dem Beipackzettel bestimmte Angaben gemacht werden. Zudem müssen hierauf u.a. die spezifischen Krankheiten, Leiden oder deren Symptome, bei denen diese Erzeugnisse verwendet werden sollen, genannt werden.
Bei der Herstellung von Produkten auf der o.g. Grundlage kommt es zudem darauf an, dass die Menge eines dieser Stoffe pro auf dem Etikett angegebener empfohlener Tagesdosis außerdem deutlich höher ist, als der für den Erhalt der allgemeinen Gesundheit oder des allgemeinen Wohlbefindens empfohlene Tagesbedarf.
Fazit des BFH
Zur Abgrenzung von Arzneiwaren und Lebensmittelzubereitungen hat das Finanzgericht zu Unrecht darauf abgestellt, dass auf der Verpackung oder dem Beipackzettel ein „Wirkmechanismus“ genannt wird. Den Feststellungen des Finanzgerichts war nicht zu entnehmen, ob es sich bei der Ware um eine Arzneiware oder eine Lebensmittelzubereitung handelt.
Der BFH hob deshalb die Vorentscheidung auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurück.
Weder der KN noch der zusätzlichen Anm. 1 zu Kap. 30 KN lässt sich entnehmen, dass auf dem Etikett, der Verpackung oder dem Beipackzettel ein „Wirkmechanismus“ genau beschrieben sein muss, worauf das FG jedoch maßgeblich abgestellt hat. Es erleichtert zwar eine Einreihungsentscheidung, wenn die Wirkungsweise des Produkts bekannt ist und im Beipackzettel beschrieben wird. Es gibt jedoch zweifellos auch Stoffe mit pharmakologischer Wirkung, deren Wirkungsmechanismus nicht vollständig geklärt ist, die aber dennoch zur Behandlung spezifischer Krankheiten geeignet und bestimmt sind.
Es ist auch anerkannt, dass Erzeugnisse, die keine eigene therapeutische oder prophylaktische Wirkung haben, unter bestimmten Voraussetzungen dennoch in die Pos. 3004 KN eingereiht werden können, wenn sie bei der Verhütung oder Behandlung einer Krankheit oder eines Leidens Anwendung finden und nach ihren objektiven Merkmalen und Eigenschaften eigens für diese Verwendung bestimmt sind. Auch homöopathische Arzneiwaren können ohne Darstellung eines „Wirkmechanismus“ in die Pos. 3004 KN eingereiht werden.
Für die Einreihung einer Ware als Arzneimittel ist es daher nach dem Urteil des BFH nicht erforderlich, dass auf dem Etikett, der Verpackung oder dem Beipackzettel ein „Wirkmechanismus“ beschrieben wird.
Weitere Informationen:
Als jemand, der regelmäßig Vitaminpräparate empfiehlt, finde ich es wichtig, über die steuerlichen Aspekte informiert zu sein. Es war für mich sehr aufschlussreich zu erfahren, dass für die Einreihung eines Produkts als Arzneimittel nicht zwingend ein „Wirkmechanismus“ auf der Verpackung beschrieben sein muss. Diese Information hat mir geholfen, die Preise und die Kategorisierung von Vitaminpräparaten besser zu verstehen. Es ist wichtig, dass wir als Fachleute auf dem Laufenden bleiben, um unsere Kunden bestmöglich zu beraten.