Anfang Februar hat das BMJ seinen Referentenentwurf zur Einführung von virtuellen Hauptversammlungen vorgelegt.
Hintergrund
Selten schritt die Digitalisierung so schnell voran wie während der Corona-Pandemie. Auch vor dem Abhalten von Hauptversammlungen machte diese Entwicklung (notgedrungen) nicht halt. So hatte die Bundesregierung in 2020 die Möglichkeit geschaffen, Hauptversammlungen ausschließlich im virtuellen Format zu gestalten. Trotz Kontaktbeschränken war es den Gesellschaften so möglich, ihre Hauptversammlungen abzuhalten. Die bis Ende 2021 befristete Sonderregelung war aufgrund des Pandemiefortschreitens bis 31.08.2022 verlängert worden.
Virtuelle Hauptversammlungen per Gesetz ermöglichen
Vor dem Hintergrund der grundsätzlich positiven Erfahrungen mit virtuellen Hauptversammlungen plant das BMJ, die virtuelle Hauptversammlung als dauerhafte Regelung im Aktiengesetz einzuführen. Zu diesem Zweck hat das BMJ einen Referentenentwurf veröffentlicht. Dieser enthält die Möglichkeit, durch Satzungsregelung mit gesetzlichen Mindestvorgaben versehene virtuelle Hauptversammlungen durchzuführen oder den Vorstand zur Durchführung solcher virtuellen Hauptversammlungen zu ermächtigen. Diese Satzungsregelungen sollen für jeweils längstens fünf Jahre vorgesehen werden können (§ 118a Abs. 3 bis Abs. 5 AktG-E). Grundsätzlich sind die gesetzlichen Mindestregelungen an den Rechten der Aktionäre in der Präsenz-Hauptversammlung angelegt, allerdings verlagern sie diese teilweise jedoch vor die virtuelle Hauptversammlung. Eine Übergangsregelung soll sicherstellen, dass der Vorstand mit Zustimmung des Aufsichtsrats für Hauptversammlungen, die bis einschließlich 31.08.2023 einberufen werden, entscheiden kann, dass diese als virtuelle Hauptversammlungen abgehalten werden.
Dreh- und Angelpunkt wird der neue § 118a des Aktiengesetztes. Nach Abs. 1 und 2 soll die virtuelle Hauptversammlung folgende Voraussetzungen erfüllen:
- die gesamte Versammlung wird mit Bild und Ton übertragen,
- die Stimmrechtsausübung der Aktionäre ist im Wege elektronischer Kommunikation, namentlich über elektronische Teilnahme oder elektronische Briefwahl, sowie Vollmachtserteilung möglich,
- den Aktionären wird das Recht eingeräumt, Anträge in der Versammlung elektronisch zu stellen (gilt nicht für Gegenanträge),
- den Aktionären wird ein Auskunftsrecht nach § 131 im Wege elektronischer Kommunikation eingeräumt,
- den Aktionären wird der Bericht des Vorstands oder dessen wesentlicher Inhalt bis spätestens sechs Tage vor der Versammlung zugänglich gemacht,
- den Aktionären wird das Recht eingeräumt, Stellungnahmen nach § 130a Absatz 1 bis 3 und 8 im Wege elektronischer Kommunikation einzureichen,
- den Aktionären wird eine Redemöglichkeit in der Versammlung im Wege der Videokommunikation nach § 130a Absatz 4 bis 8 eingeräumt,
- den Aktionären wird eine Möglichkeit zum Widerspruch gegen einen Beschluss der Hauptversammlung im Wege elektronischer Kommunikation eingeräumt.
Am Ort der virtuellen Hauptversammlung haben gemäß § 118a Abs. 2 AktG-E teilzunehmen: der Vorstand, ggf. Aufsichtsrat, soweit nicht elektronische Teilnahme nach § 118 Abs. 3 S. 2 AktG vorgesehen, Versammlungsleiter, Abschlussprüfer (soweit Hauptversammlung den Jahresabschluss feststellt bzw. Konzernabschluss billigt), ggf. von Gesellschaft benannte Stimmrechtsvertreter (§ 134 Abs. 3 Satz 5 AktG) sowie Notar nach § 130 Abs. 1a AktG-E.
Sparpotential für viele Gesellschaften
Im digitalen Zeitalter macht es Sinn, dass Hauptversammlungen zukünftig generell virtuell abgehalten werden können und dies gesetzlich kodifiziert wird. Insbesondere die Gesellschaften selbst dürften sich über diese Option freuen. Zwar sind die Kosten für die Abhaltung einer Hauptversammlung im Präsenzformat von mehreren Faktoren abhängig, etwa davon, ob es sich um eine börsennotierte Gesellschaft mit großem Aktionärskreis oder eine nicht börsennotierte Gesellschaft mit wenigen Aktionären handelt. Das BMJ geht allerdings davon aus, dass hinsichtlich des Aufwands für die Abhaltung der Präsenzversammlung „ungefähr von einem Rahmen zwischen etwa 10 000 Euro bei kleinen und bis zu 2,5 Millionen Euro bei großen börsennotierten Gesellschaften aus(zu)gehen“ ist. Insbesondere für börsennotierte Gesellschaften, die unter den rund 14000 Aktiengesellschaften allerdings nur einen kleinen Teil ausmachen, ergäbe sich enormes Sparpotential. Zwar kann auch hier nicht mit Sicherheit eruiert, wie viele der in Deutschland vorhandenen Gesellschaften Satzungsregelungen für die Abhaltung virtueller Hauptversammlungen schaffen und derartige Versammlungen abhalten werden.
Gem. Berechnung des BMJ sei aber zu erwarten, „dass zumindest 10 Prozent der Aktiengesellschaften von der Möglichkeit zur Abhaltung virtueller Hauptversammlung Gebrauch machen werden.“ Weiter heißt es dann: „Geht man davon aus, dass sich die durchschnittlichen Kosten zur Abhaltung einer Hauptversammlung in Präsenz auf 50 000 Euro belaufen und die Einsparung bei einer virtuellen Hauptversammlung 50 Prozent beträgt, verringert sich der jährliche Erfüllungsaufwand der Wirtschaft um voraussichtlich 35 Millionen Euro.“
Die Wirtschaft dürfte den Entwurf daher vielerorts mit Freude lesen.