Wenn Sie mich fragen, ein klares Ja. Dabei zügele ich meinen Ärger schon seit Wochen. Anlass ist die Post des BVerfG. Lapidar wird mitgeteilt, dass die Verfassungsbeschwerde 2 BvR 598/12 nicht zur Entscheidung angenommen wird. Es ging um die Berücksichtigung der Beiträge zur Bundesanstalt für Arbeit (Arbeitslosenversicherung). Selbstverständlich ist diese Entscheidung von drei Richtern unterschrieben, aber nicht begründet.
Nach 5 Jahren in dieser wichtigen Frage für die Abzugsfähigkeit der Beiträge keine begründete Antwort auf die umfassende Verfassungsbeschwerde zu geben ist nicht souverän. Auf eine umfassend begründete Verfassungsbeschwerde hat der Bürger ein Anrecht auf sachgerechte Begründung! Gewiss, das BVerfG erhält übermäßig zahlreiche Verfassungsbeschwerden, die nicht immer sachgerecht sind. Aber diese werden i.d.R. im Voraus „aussortiert“.
Der wissenschaftliche Mitarbeiter unterstützt die Richter bei ihrer Entscheidung. Da beginnt offensichtlich das Dilemma für den Beschwerdeführer, bzw. für das vorlegende Gericht, denn auch Vorlagen der Gerichte werden gern als „unzulässig“ abgewiesen. Was der wissenschaftliche Mitarbeiter ausarbeitet, beeinflusst offensichtlich die Entscheidung sehr. Kommt dieser Mitarbeiter aus dem Umfeld der Finanzverwaltung werden neue Rechtsansätze eher nicht weiter verfolgt. Mit anderen Worten, die Suche nach dem richtdigen, verfassungsrechtlichen Ansatz wird vernachlässigt oder bleibt aus. So wird die Entscheidung der Richter durch diese „Vorbereitung“ stark beeinflusst.
Bei der hier entschiedenen Frage ist dieser Verdacht mehr als berechtigt. Die zwangserhobenen Beiträge zur Sozialversicherung zum Abzug zu bringen wurden in der Kindergeldentscheidung vom 11.01.2005 (2 BvR 167/02) herausgearbeitet. Deshalb konnte es auch nicht verwundern, dass die Beiträge zur Krankenversicherung grundsätzlich abzuziehen sind (13.02.2008 2 BvL 1/06).
Die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vom Abzug auszuschließen macht da keinen systematischen Sinn. Diese Fehlentwicklung wollte der Beschwerdeführer auch für die sonstigen Sonderausgaben erreichen als Folge der Korrektur durch den Gesetzgeber mit dem BürgEntlG-KV). Seine Beschwerde wurde genauso unfachmännisch behandelt, nur schneller (2 BvR 2445/15).
Woran liegt das? Nun, wenn wir uns die Besetzung der Senate beim BVerfG ansehen, fehlt seit einigen Jahren der „Fachmann“ für das Steuerrecht. Es ist allgemein bekannt, dass unter Juristen das Steuerrecht nicht das Ansehen genießt wie andere Rechtsgebiete. Das liegt wohl eher an der fehlenden klaren Struktur der Steuergesetze. Wenn sich noch nicht einmal das BVerfG die Mühe macht, diesen Dschungel verfassungsrechtlich angemessen zu bearbeiten, wird es um die Steuergerechtigkeit schlecht bestellt sein. Über diesen Begriff wird diskutiert, ohne dass klar ist, was die Steuergerechtigkeit begründet.
Abhilfe für dieses Dilemma tut Not, denn der Berater wird im Steuerrecht den Gerechtigkeit suchenden Bürger eher aufgrund des Zustandes des BVerfG vom verfassungsrechtlichen Streit abraten müssen!? Da die „Analyse“ des wissenschaftlichen Mitarbeiters offensichtliche die Richter eines Senates über Gebühr beeinflusst, wird dem Bürger mit Hilfe seines Prozessbevollmächtigten rechtliches Gehör zu gewähren sein. Eine entsprechende Ergänzung des BVerfGG könnte helfen.
Weiter ist die Besetzung der Richterbank zu überdenken. Diese darf nicht zum „Spielball“ der Politik werden. Ehemalige Politiker, mögen diese noch so gute Juristen sein, bleibt der Weg zum BVerfG versperrt. Sie entscheiden immerhin über Gesetze mit, bei denen sie direkt oder indirekt mitgewirkt haben.
Insbesondere die Vorsorgeaufwendungen und die Besteuerung der Altersbezüge sind aufgrund dieser unbefriedigenden Besetzung des BVerfG weiter unbefriedigend gelöst. Das zeigt mein nächster Blog zu dem beim BFH anhängigen Revisionsverfahren X R 23/17).
Wie denken Sie darüber? Kann das BVerfG in Steuerrechtsfragen den Bürger vor dem Verfassungsbruch schützen?
Weitere Informationen:
- Verfahrensverlauf | BVerfG – 2 BvR 598/12 – anhängig seit 15.05.2012
- BVerfG v. 11.01.2005 – 2 BvR 167/02
- BVerfG v. 13.02.2008 – 2 BvL 1/06
- BVerfG – 2 BvR 2445/15 Verfahrensverlauf – Status: erledigt
Lesen Sie hierzu auch meinen Beitrag im NWB Experten-Blog:
Beiträge zur Rentenversicherung – neues Revisionsverfahren
Wieder ein Vorläufigkeitsvermerk weniger, der den Angestellten etwas Hoffnung auf Entlastung gab – schade. Dass die Beschwerde einfach abgeblockt anstatt mit einer sauberen Begründung erledigt wird, finde ich auch schwach.
Apropos sauber: Dass die AV-Beiträge nicht abziehbar sind, ist nicht ganz richtig. Sie sind abziehbar, aber eben nur als beschränkt abziehbare Sonderausgaben bis zum Höchstbetrag von 1.900/2.800€. Ein unbeschränkter Abzug bei den Sonderausgaben oder im Rahmen eines negativen Progressionsvorbehalts wäre freilich schöner.
Eindeutig ja.
Beispiel ist die Anhängigkeit der Solidaritätszulage nach Gesetz von 1995, Heute noch keine Entscheidung.
Günter Albrecht
WES-Albrecht
Leider vermisse ich im Finanzamt die grundlegenden fachlichen Kompetenzen was Brutto und Netto sind. So ist das Existenzminimum bei einem Beamten um 25% höher. Ein Arbeitnehmer führt ca. 20% seines Einkommens für die gesetzlichen Sozialversicherungen ab. Da aber diese nur teilweise steuerlich geltend gemacht werden können ist wird so ein höherer Steuersatz erzeugt als bei einem Beamten der sein Netto als Brutto versteuert. So stellt der Arbeitnehmerpauschbetrag 1000€bei einem Beamten frei bei einem gesetzlich Versicherten jedoch nur 800€ zuzüglich 200€ für Sozialabgaben. Die vollständige Freistellung ist der richtige Weg. Nur schade das jedes mal der Bundesgerichtshof erneut bei einem Gesetz oder einer Besteuerung der Regierung sagen muss „Auftrag nicht erfüllt“.