In zwei aktuellen Urteilen hat der BFH erklärt, welche Anforderungen an eine „erste Tätigkeitsstätte“ zu stellen sind, damit ein Arbeitnehmer Verpflegungsmehraufwendungen steuerlich als Werbungskosten geltend machen kann.
Hintergrund
Wird der Arbeitnehmer außerhalb seiner Wohnung und ersten Tätigkeitsstätte beruflich tätig (auswärtige berufliche Tätigkeit), ist gemäß § 9 Abs. 4a S. 1 EStG zur Abgeltung der ihm tatsächlich entstandenen, beruflich veranlassten Mehraufwendungen eine Verpflegungspauschale nach Satz 3 anzusetzen. Es liegen dann Werbungskosten vor, die die Einkommensteuerlast mindern. Der durch das Gesetz zur Änderung des Reisekostenrechts vom 20.2.2013 (BGBl I 2013, 285) neu eingefügte und in § 9 Abs. 4 S. 1 EStG definierte Begriff der „ersten Tätigkeitsstätte“ ist an die Stelle des bisherigen unbestimmten Rechtsbegriffs der „regelmäßigen Arbeitsstätte“ getreten.
Wie definiert der BFH die „erste Tätigkeitsstätte“?
„Erste Tätigkeitsstätte“ ist nach § 9 Abs. 4 S. 1 EStG die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens ( § 15 des AktienG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Dabei gelten nach Ansicht des BFH (30.9.2020 – VI R 10/19 und VI R 11/19) folgende Grundsätze:
- „Ortsfeste betriebliche Einrichtungen“:
Dies sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden. - Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers:
Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 4 S. 2 EStG durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt (BFH vom 11.04.2019 – VI R 40/16), wobei arbeitsrechtliche Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers für die steuerliche Anerkennung nicht dokumentiert werden muss. - Schwerpunkt der Tätigkeit:
Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für die erste Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören (BFH vom 04.04.2019 – VI R 27/17).
Daher hat der BFH in zwei Sachverhalten entschieden: Der Zustellpunkt (Zustellzentrum), dem ein Postzusteller zugeordnet ist und an dem er arbeitstäglich vor- und nachbereitende Tätigkeiten (z.B. Sortiertätigkeiten, Abschreibpost, Abrechnungen) ausübt, ist erste Tätigkeitsstätte (VI R 10/19). Die Rettungswache, der ein Rettungsassistent zugeordnet ist, ist dessen erste Tätigkeitsstätte, wenn er dort arbeitstäglich vor dem Einsatz auf dem Rettungsfahrzeug vorbereitende Tätigkeiten vornimmt (z.B. Überprüfung des Rettungsfahrzeugs in Bezug auf Sauberkeit und ordnungsgemäße Bestückung mit Medikamenten und sonstigem (Verbrauchs-)Material, im Bedarfsfall Reinigung sowie Bestückung des Fahrzeugs mit fehlenden Medikamenten und fehlendem Verbrauchs-Material (VI R 11/19).
Folgen für die Praxis
Die neuen Urteile sind für viele tausend Arbeitnehmer mit unterschiedlichen Tätigkeitsorten relevant, die Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten steuerlich geltend machen wollen.
Die Entscheidungen zeigen, dass es maßgeblich auf die die Zuordnungsentscheidung des Arbeitgebers im Rahmen des Direktionsrechts ankommt, also darauf, welchen regelmäßigen Dienstort der Arbeitgeber festlegt. Es kommt nicht auf den Schwerpunkt an, sondern darauf, wo der Arbeitnehmer wesentliche qualitative Tätigkeiten auszuführen hat, die zu seinem Berufsbild gehören. Unbefristet i.S.d. § 9 Abs. 4 S.3 EStG ist die Zuordnungsentscheidung dann, wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt. Auf gut Deutsch: Es kommt darauf an, ob die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt. Hierauf sollten Arbeitnehmer bei der Regelung im Arbeitsvertrag achten. Letztlich kommt es bei der Beurteilung immer auf den Einzelfall an.
Weitere Informationen:
BFH 30.9.2020 – VI R 10/19 und VI R 11/19