Die bisherige Verrechnungsbeschränkung in Höhe von 10.000 Euro bei Verlusten aus Kapitaleinkünften wird durch das JStG 2020 (BT-Drs. 19/22850, 19/25160) auf 20.000 Euro angehoben. Diese Deckelung der Verlustverrechnung scheint rechtlich nicht einwandfrei.
Hintergrund
Seit 2009 gibt es in Deutschland die Abgeltungssteuer, die in Höhe von 25 Prozent mit Abgeltungswirkung als Quellensteuer erhoben wird. Mit ihr einher geht der Grundsatz, dass Gewinne und Verluste gleichbehandelt werden müssen, Gewinne und Verluste aus Kapitalvermögen also miteinander verrechnet werden können und nur auf die positive Differenz Steuern zu zahlen sind. Schon seit 2020 können Anleger aber nach der 2019 geschaffenen neuen Verlustverrechnungsbeschränkungen im Bereich der Einkünfte aus Kapitalvermögen (§ 20 Abs. 6 S. 5 und 6 EStG) Totalverluste z.B. aus Aktiengeschäften nur noch begrenzt steuerlich geltend machen (BGBl 2019 I, S. 2875). Von 2021 an gilt dies auch für Termingeschäfte, etwa beim Handel mit Optionen.
Was ändert sich durch das JStG 2020?
Nach dem vom Bundestag am 16.12.2020 auf Basis der Empfehlungen des Finanzausschusses (BT-Drs. 19/25160) beschlossenen JStG 2020 gilt nun folgendes:
- Die bisherige Verrechnungsbeschränkungsgrenze in § 20 Abs. 6 S. 5 und 6 EStG in Höhe von 10.000 EUR wird auf 20.000 EUR angehoben.
- Für Verluste aus der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung, aus der Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter, aus der Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter auf einen Dritten oder aus einem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern wird die Verlustverrechnungsbeschränkung rückwirkend auf Verluste, die nach dem 31.12.2019 entstehen angehoben. Für Verluste aus Termingeschäften findet die Verrechnungsbeschränkung bereits nach aktueller Regelung auf Verluste Anwendung, die nach dem 31.12.2020 entstehen.
- Nicht verrechnete Verluste könne auf Folgejahre vorgetragen werden und jeweils in Höhe von bis zu 20.000 Euro/Jahr mit positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden.
Auswirkungen in der Praxis und Bewertung
Die neuen Vorschriften der Verlustverrechnungsbeschränkung brechen mit dem seit 2009 geltenden Prinzip der symmetrischen Berücksichtigung von Gewinnen und Verlusten innerhalb der Kapitaleinkünfte. Die Verrechnungsdeckelung kann dazu führen, dass ein Kapitalanleger, der Verluste erzielt, doppelt bestraft wird: Denn neben dem erzielten Verlust können auch noch Steuern anfallen, obwohl keine Gewinne erzielt werden – ein klarer Verstoß gegen das im Steuerrecht anerkannte Nettoprinzip. Das zeigt folgendes Beispiel:
Ein Steuerpflichtiger erzielt in 2020 einen Gewinn aus Kapitalvermögen in Höhe von 25.000 Euro, gleichzeitig erleidet er aus einem Aktiengeschäft einen Verlust von 30.000 Euro, erzielt also „unter dem Strich“ faktisch ein Minus von 5.000 Euro. Da die Verlustverrechnung aber auf 20.000 Euro beschränkt ist, muss er auf einen (fiktiven) Gewinn von 5.000 Euro immerhin noch 25 Prozent Abgeltungssteuer, also 1.250 Euro Steuern zahlen.
Ist das hinzunehmen?
Bereits der Bundesrat (BR-Drs. 503/20) hatte sich im Gesetzgebungsverfahren für die Streichung der 2019 eingeführten Verlustverrechnungsbeschränkung ausgesprochen, der sich die FDP mit einem (leider erfolglosen) Änderungsantrag (BT-Drs.19/25277) im Gesetzgebungsverfahren zum JStG 2020 angeschlossen hat. Die administrative Umsetzung dieser Vorschriften sei verfassungsrechtlich bedenklich und stelle die Finanzverwaltung zudem vor nahezu unlösbare Aufgaben. Jeder noch so kleine Verlust zwingt nämlich zur Abgabe einer Steuererklärung und einer Anlage KAP.
Dies widerspricht der Intention, die der Gesetzgeber bei der Einführung der Verlustverrechnungsbeschränkungen hatte, nämlich gerade Kleinanleger nicht zu behelligen (vgl. BT-Drs. 19/15876, S. 69). Denn beim Steuerabzug müssen die Verluste zunächst außen vor bleiben, weil nur die Finanzverwaltung eine korrekte Verrechnung von Verlusten in der Gesamtschau aller Konten vornehmen kann, um die Verlustverrechnungsgrenze zu prüfen.
Damit ist klar:
Die Verdopplung der Verlustverrechnungsgrenze ist nur ein „Tropfen auf den heissen Stein“, löst aber das Grundproblem einer Missachtung des Nettoprinzips nicht. Es droht wesentlich mehr Bürokratie für Bürger, Berater, Kreditinstitute und die Finanzverwaltung. Nachdem der BFH (VIII R 37/15) schon 2018 entschieden hat, dass die Verlustverrechnung auch für Termingeschäfte gilt, muss man kein Prophet für die Annahme sein, dass die (neue) Verlustverrechnungsgrenze bald vor den Finanzgerichten landen wird.
Wir bleiben dran…!
Quellen
- BT-Drs.19/22580 (JStG 2020)
- BT-Drs. 19/25160 (Beschlussempfehlung des BT-Finanzauschusses)
Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Jahn,
danke für Ihren Artikel. Es gibt bereits eine Verfassungsklage zum Thema (Az: 2 BVR 1951/20). Demnächst wird ein Eilantrag des Klägers (Martin Hlouschek) folgen. Tatsächlich verstösst die „Derivatesteuer“ nicht nur gegen Art. 3 GG (Nettoprinzip), sondern auch gegen Art. 12 und 14.
Die „Derivatesteuer“ war ein Politprojekt der SPD-Linken. Herr Binding hat sich mehrfach dazu entsprechend geäußert. Hier ging Politik vor Verfassung, leider.
Wir brauchen noch mehr Aufmerksamkeit.
Verzeihen Sie mir, dass ich nicht meinen vollständigen Namen im Internet lesen will. Hier gehts um zu viel.
Mfg
Thomas