Kürzlich habe ich in meinem Blog-Beitrag „Petition zur steuerlichen Benachteiligung privater Anleger“ noch einmal auf die Beschränkung der Verlustverrechnung bei Totalverlusten (“Ausbuchung”) von Wertpapieren aufmerksam gemacht. Letztlich ist die Gesetzesänderung (§ 20 Abs. 6 EStG) rein fiskalisch motiviert und gesetzessystematisch nicht gerechtfertigt.
Jüngst hat der BFH diese Auffassung bestätigt. Sie hilft zwar nicht für aktuelle Sachverhalte, aber doch für die vielen noch nicht abgeschlossenen Fälle der Jahre 2019 und früher. So hat der BFH mit Urteil vom 3.12.2019 (VIII R 34/16) wie folgt entschieden:
Werden (nach dem 31.12. 2008 erworbene) Aktien einem Aktionär ohne Zahlung einer Entschädigung entzogen, indem in einem Insolvenzplan das Grundkapital einer AG auf Null herabgesetzt und das Bezugsrecht des Aktionärs für eine anschließende Kapitalerhöhung ausgeschlossen wird, erleidet der Aktionär einen Verlust, der in entsprechender Anwendung von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG steuerlich geltend gemacht werden kann.
Im Streitfall hatte die Klägerin am 14.2.2011 und am 16.1.2012 insgesamt 39.000 Namensaktien einer inländischen AG zu einem Gesamtkaufpreis von 36.262,77 Euro erworben. Im Streitjahr 2012 wurde über das Vermögen der AG das Insolvenzverfahren eröffnet. In einem vom Insolvenzgericht genehmigten Insolvenzplan wurde gemäß § 225a Abs. 2 InsO das Grundkapital der AG auf Null herabgesetzt und eine Kapitalerhöhung beschlossen, für die ein Bezugsrecht der Klägerin und der übrigen Altaktionäre ausgeschlossen wurde. Der börsliche Handel der Altaktien wurde eingestellt. Da die Klägerin für den Untergang ihrer Aktien keinerlei Entschädigung erhielt, entstand bei ihr ein Verlust in Höhe ihrer ursprünglichen Anschaffungskosten. Das Finanzamt weigerte sich, diesen Verlust zu berücksichtigen.
Das sah der BFH anders und gab der Klägerin Recht. Er beurteilte den Entzug der Aktien in Höhe von 36.262,77 Euro als steuerbaren Aktienveräußerungsverlust. Dieser Verlust sei nach den Beteiligungsquoten auf die Gesellschafter der Klägerin zu verteilen.
Der Untergang der Aktien stelle zwar keine Veräußerung dar. Das Gesetz weise insoweit aber eine planwidrige Regelungslücke auf, die im Wege der Analogie zu schließen sei. Es widerspreche den Vorgaben des Gleichheitssatzes des Grundgesetzes in seiner Konkretisierung durch das Leistungsfähigkeits- und Folgerichtigkeitsprinzip, wenn der von der Klägerin erlittene Aktienverlust steuerlich nicht berücksichtigt werde, wirtschaftlich vergleichbare Verluste (z.B. aufgrund eines Squeeze-Out oder aus einer Einziehung von Aktien durch die AG) aber schon.
Der Umstand, dass der entschädigungslose „Anteilsentzug“ der Aktien im Streitfall ohne irgendeinen Rechtsträgerwechsel hinsichtlich der Aktien geschieht, sei angesichts der im Übrigen bestehenden wirtschaftlichen Vergleichbarkeit mit der Veräußerung objektiv wertloser Aktien ohne eine Gegenleistung im Wege der Einziehung und Weiterübertragung auf Gesellschaftsgläubiger zu vernachlässigen.
Hinweis:
Bemerkenswert ist, dass der BFH das Grundgesetz bemüht. Folgender Satz klingt dabei wie ein Donnerhall: „Steuerpflichtige sind bei gleicher Leistungsfähigkeit nach den Vorgaben des Art. 3 Abs. 1 GG auch gleich hoch zu besteuern.“ Damit ist der Weg klar, den § 20 Abs. 6 EStG i.d.F des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen nehmen wird. Wohl eher früher als später wird sich das Bundesverfassungsgericht mit der Vorschrift befassen dürfen.
Weitere Informationen:
BFH, Urteil v. 03.12.2019 – VIII R 34/16