Verkürzte Nutzungsdauer: Keine überbordenden Anforderungen an Gutachten

Wer ein älteres Gebäude erwirbt und zur Erzielung von Einkünften nutzt, hat oftmals ein Interesse daran, einen höheren AfA-Satz als nur die typischen 2 bis 3 Prozent geltend machen zu können. In bestimmten Fällen dürfen zwar eine geringere tatsächliche Nutzungsdauer und damit ein höherer AfA-Satz beantragt werden (§ 7 Abs. 4 Satz 2 EStG). Doch die Voraussetzungen sind streng und den Nachweis der kürzeren Nutzungsdauer muss der Hausbesitzer führen.

Üblicherweise verlangt die Finanzverwaltung entsprechende Gutachten und selbst diese werden wieder angezweifelt, denn für Wertermittlungen gibt es unterschiedliche Methoden. Der eine Gutachter stellt auf die Bausubstanz ab, der andere auf die wirtschaftliche Verwendung des Gebäudes. Und so kommt es, dass Streitfälle immer wieder vor Gericht landen, weil sich Fiskus und Steuerzahler nicht einigen können. Aber selbst die Finanzgerichte sind sich nicht einig, welches die richtige Grundlage für ein Wertgutachten darstellt. Doch damit dürfte nun Schluss sein, denn der BFH hat entschieden, dass an den Nachweis einer kürzeren Nutzungsdauer keine überbordenden Anforderungen zu stellen sind. Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint. Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist jedenfalls nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer (BFH-Urteil vom 28.7.2021, IX R 25/19).

Die Klägerin erwarb im Jahr 2002 ein Wohn- und Geschäftshaus. Beim Finanzamt beantragte sie eine höhere AfA als gesetzlich typisierend vorgesehen, da das Gebäude – entsprechend eines vorgelegten Gutachtens – eine verkürzte Nutzungsdauer habe. Das Finanzamt lehnte dies ab. Zwar komme eine kürzere Nutzungsdauer bei entsprechendem Nachweis grundsätzlich in Betracht. Dazu bedürfe es aber eines so genannten Bausubstanzgutachtens. FG und BFH sehen das aber anders.

Die Darlegungen des Steuerpflichtigen müssen Aufschluss über die maßgeblichen Determinanten – zum Beispiel technischer Verschleiß, wirtschaftliche Entwertung, rechtliche Nutzungsbeschränkungen – geben, welche die Nutzungsdauer im Einzelfall beeinflussen, und auf deren Grundlage der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, im Wege der Schätzung mit hinreichender Bestimmtheit zu ermitteln ist. Vor diesem Hintergrund ist die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens, insbesondere die Zustandsermittlung von Immobilien mit Hilfe des sog. ERAB-Verfahrens (Verfahren zur Ermittlung des Abnutzungsvorrats von Baustoffen), nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer, selbst wenn ein solches Gutachten möglicherweise den technischen Verschleiß eines Gebäudes im Einzelfall nachvollziehen könnte.

Wählt der Steuerpflichtige daher aus nachvollziehbaren Gründen eine andere Nachweismethode, kann dies – gegebenenfalls unter Berücksichtigung entsprechender Anpassungen – Grundlage für die im Einzelfall erforderliche Schätzung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer sein, soweit aus der gewählten Methode Rückschlüsse auf die zu ermittelnden Determinanten möglich sind.

Das Urteil bietet Hauseigentümern nun also vereinfachte Möglichkeiten, um eine kürzere Nutzungsdauer durchzusetzen. Aber dennoch muss das Gutachten eine bestimmte methodische Qualität aufweisen. Gefälligkeitsgutachten werden schnell enttarnt.

Eine andere Frage ist, welche Anforderungen an den Gutachter zu stellen sind. Im Klageverfahren wird das FG einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken hinzuziehen. Von daher liegt der Gedanke nahe, einen solchen Gutachter von vornherein, also bereits im Festsetzungsverfahren, zu beauftragen. Allerdings entstehen dann gleich recht hohe Kosten, die im reinen Festsetzungsverfahren nicht erstattet werden.

Ob wesentlich preisgünstigere Online-Gutachten, die nun beworben werden, zum Nachweis einer verkürzten Nutzungsdauer ausreichen, vermag ich nicht zu beurteilen. Falls Sie insoweit Erfahrungen gemacht haben, wäre ich für eine entsprechende Einschätzung Ihrerseits dankbar.

Übrigens, nur am Rande: Die Rechtsfrage, ob § 7 Abs. 4 Satz 2 EStG analog auf die Fälle anzuwenden ist, in denen die tatsächliche Nutzungsdauer eines Gebäudes die gesetzlich typisierte Nutzungsdauer übersteigt, wurde vom BFH verneint. Eine längere Nutzungsdauer kann also nicht durchgesetzt werden (BFH-Beschluss vom 28.5.2019, XI B 2/19).

Weitere Informationen:
NWB Online-Nachricht: Einkommensteuer | Höhere Gebäude-AfA bei tatsächlich kürzerer wirtschaftlicher Restnutzungsdauer möglich

Ein Kommentar zu “Verkürzte Nutzungsdauer: Keine überbordenden Anforderungen an Gutachten

  1. Lieber Herr Herold,
    vielen Dank und Kompliment für Ihre komprimierte und sehr anschauliche Auswertung des BFH-Urteils. Das daraus resultierende Wahlrecht ist definitiv ein Meilenstein, insbesondere bei Wohnobjekten, deren ursprüngliches Baujahr deutlich mehr als 30 Jahre zurückliegt und bei denen bisher nur wenige Modernisierungsmaßnahmen durchgeführt wurden und nur wenige anschaffungsnahe Herstellungskosten einzubeziehen sind.
    Denn somit können durch die seit 01. 01. 2022 auch für zurückliegende Kaufzeitpunkte verbindliche ImmoWertV 2021 kostenintensive Parteigutachten in vielen Fällen vermieden werden, z.B. durch die durch dieses BFH-Urteil zulässige und einfach durchführbare Berechnung:

    Restnutzungsdauer (tatsächliche Nutzungsdauer) = Gesamtnutzungsdauer – Gebäudealter + Zuschlag für ggf. bereits durchgeführte Modernisierungsmaßnahmen

    Somit sind Parteigutachten i.d.R. nur noch bei spezielleren Gebäudetypen und bei Objekten mit signifikanten Baumängeln und -schäden sowie bei Vorhandensein von besonderen wirtschaftlichen oder rechtlichen Gegebenheiten erforderlich (Siehe DStR 2022, 1080).

    Herzliche Grüße
    Ihr

    Dr. Jürgen Jacoby

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