Der EuGH soll auf Vorlage des BAG klären, ob nach Unionsrecht ein Arbeitgeber verpflichtet ist, einem Arbeitnehmer bezahlten Erholungsurlaub nachzugewähren, der zwar während des Urlaubs selbst nicht erkrankt ist, in dieser Zeit aber eine behördlich angeordnete häusliche Quarantäne einzuhalten hatte (BAG, Beschluss v. 16.8.2022 – 9 AZR 76/22 (A)). Für Details zum Sachverhalt lesen Sie die NWB Online-Nachricht „Arbeitsrecht | Nachgewährter Urlaub bei behördlich angeordneter Quarantäne?“
BAG legt Streitsache dem EuGH zu Vorabentscheidung vor
Für das BAG ist jetzt entscheidungserheblich, ob es mit Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union im Einklang steht, wenn vom Arbeitnehmer beantragter und vom Arbeitgeber bewilligter Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung durch die zuständige Behörde angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nach nationalem Recht nicht nachzugewähren ist, weil der betroffene Arbeitnehmer selbst nicht krank war. Denn nach dem Wortlaut des § 9 BUrlG kommt eine Nachgewähr von Urlaub nur bei ärztlich attestierter Arbeitsunfähigkeit in Betracht, nicht hingegen bei bloßer behördlich angeordneter häuslicher Quarantäne oder Isolation ohne Krankheitssymptome.
Praktische Bedeutung
Sollte der EuGH im Vorlageverfahren (Art. 267 AEUV) die Ansicht teilen, dass § 9 BUrlG unionsrechtskonform dahin auszulegen ist, dass in analoger Anwendung von § 9 BUrlG die Situation einer staatlichen Quarantäneanordnung einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit während der Abnahme genehmigten Urlaubs gleichsteht, hätte dies gerade unter Corona-Pandemie-Bedingungen weitreichende Folgen für das deutsche Urlaubsrecht. In diesem Fall trägt der Arbeitgeber das „Urlaubsrisiko“ seiner Arbeitnehmer bei staatlichen Quarantäneanordnungen, müsste also Urlaub auf Verlangen nachgewähren, wenn der Arbeitnehmer im genehmigten Urlaub durch eine Quarantäneanordnung „gestört“ wird, den Urlaub also nicht nach freiem Willen gestalten kann. Dies könnte sich vor allem zu einem Massenproblem entwickeln, sollten ab Herbst dieses Jahres aufgrund eines geänderten Infektionsgeschehens staatliche Quarantäne- und Absonderungsanordnungen wieder zunehmen.
Anders sieht es schon jetzt aus, wenn es nicht um die Urlaubsgewährung geht: Bei einer COVID-Erkrankung hat der Arbeitnehmer den normalen Entgeltfortzahlungsanspruch nach dem EFZG. Hat sich der Arbeitnehmer aufgrund behördlicher Anordnung in Quarantäne zu begeben, entsteht grundsätzlich ein Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs.1 InfektionsschutzG (IfSG). Die Entschädigung umfasst bis zu sechs Wochen den Verdienstausfall, danach ist er der Höhe nach gedeckelt. Der Arbeitgeber hat die Entschädigung nach § 56 IfSG auszuzahlen und bekommt sie auf Antrag vom Staat erstattet.
Aber Achtung: Hätte der Beschäftigte ein Tätigkeitsverbot oder eine Absonderung durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung vermeiden können, kann der Anspruch auf Entschädigung seit 1.11.2021 entfallen.