Am 17.1.2023 hat der BFH (IX R 15/20) abermals zur Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlages (Soli) verhandelt, diesmal für den Zeitraum ab 2020; seine Entscheidung will der BFH Ende Januar 2023 verkünden. Welche praktischen Folgen hat das BFH-Verfahren?
Worum geht es im Streitfall?
Die Kläger sind zusammen zur Einkommensteuer veranlagte Eheleute. Das beklagte Finanzamt setzte die Vorauszahlungen auf den Solidaritätszuschlag ab 2020 in Höhe von zuletzt 340 € fest. Die Kläger beantragten (erfolglos) die Herabsetzung der Vorauszahlungen auf 0 €: Zur Begründung beriefen sie sich auf das Auslaufen der Aufbauhilfen für die neuen Bundesländer im Jahr 2019. Da der Soli als Ergänzungsabgabe nur zur Abdeckung von Bedarfsspitzen erhoben werden dürfe, verbiete dieser Ausnahmecharakter eine dauerhafte Erhebung.
Den gegen die Ablehnung gerichteten Einspruch wies das Finanzamt unter Hinweis auf seine Bindung an die Steuergesetze zurück. Das Finanzgericht hat im Klageverfahren den Vorauszahlungsbescheid dahingehend geändert, dass die Vorauszahlungen auf den Solidaritätszuschlag ab 01.01.2021 – in Übereinstimmung mit den ab diesem Zeitpunkt geltenden gesetzlichen Bestimmungen – herabgesetzt werden. Im Übrigen wurde die Klage unter Hinweis auf seine fehlende Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit des Solidaritätszuschlagsgesetzes 1995 für Veranlagungszeiträume ab 2020 abgewiesen.
Rechtlicher Hintergrund des Soli
Der Solidaritätszuschlag ist eine Ergänzungsabgabe i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 des Grundgesetzes (GG). Der ursprüngliche Soli von 1991 zur Finanzierung des Golf-Krieges war bis Mitte 1992 befristet. Er wurde dann Mitte der 90er Jahre zur Finanzierung der Zusatzlasten aus der deutschen Wiedervereinigung eingeführt, unbefristet durch das Solidaritätszuschlagsgesetz – SolzG 1995, BGBl 1995 I S. 1959). Der Soli beträgt ab 1998 5,5 % der festgesetzten Einkommen- oder Körperschaftsteuer. Seit der gesetzlichen Rückführung des Soli müssen seit dem Veranlagungszeitraum 2021 nur noch rund 10 % der Steuerpflichtigen den Solidaritätszuschlag zahlen, Besserverdiener oberhalb bestimmter Einkommensgrenzen unverändert in voller Höhe – ich habe im Blog berichtet. In der Begründung des Gesetzes heißt es, es bestehe weiterhin eine besondere wiedervereinigungsbedingte Finanzlast des Bundes, etwa in der Rentenversicherung, im Arbeitsmarkt, im Bereich der Anspruchs- und Anwartschaftsüberführung und im Hinblick auf besondere Leistungen für die ostdeutschen Bundesländer.
Aktuelle BFH-Sichtweise
Im laufenden Verfahren muss der BFH (abermals) prüfen, ob der Soli mit dem Auslaufen des sog. Solidarpakts II am 31.12.2019 sowie der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs seine Rechtfertigung verloren hat und daher die Erhebung des (verfassungsgemäß) eingeführten Solidaritätszuschlags ab VZ 2020 gegen das GG verstößt.
Ferner muss der BFH prüfen, ob aus dem Umstand, dass seit dem Veranlagungszeitraum 2021 nur noch rund 10 % der Steuerpflichtigen den Solidaritätszuschlag zahlen müssen, ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) folgt. Sollte der BFH die Regelungen des SolzG für verfassungswidrig halten, muss er die Entscheidung des BVerfG einholen, weil der BFH nicht selbst das Gesetz für verfassungswidrig erklären kann (Art. 100 Abs. 1 GG).
Bedeutung und Folgen des BFH-Verfahrens
Für frühere Veranlagungszeiträume hat der BFH die Verfassungswidrigkeit des SolzG verneint (für VZ 2007 BFH v. 21.7.2011 – II R 50/09 und; für VZ 2011 siehe BFH 14.11.2018 – II R 63/15). Eine Entscheidung des BVerfG zum Solidaritätszuschlag ab dem Jahr 2020 liegt noch nicht vor.
Die Bedeutung des aktuellen BFH-Verfahrens könnte weitreichende Folgen über den Einzelfall hinaus für den Fiskus haben: Es ist (mittelbar) ein Steueraufkommen von insgesamt ca. 11 Milliarden € pro Jahr betroffen – wahrlich kein Pappenstiel. Und: Sollte am Ende der Soli tatsächlich fallen, wären auch andere Steuerpflichten betroffen, die an die Soli-Pflicht anknüpfen, etwa die nach JStG 2022 geltende Steuerpflicht der Dezember-(Energie) Soforthilfe nach § 123 ff EStG. Das belegt den Sprengstoff, den das BFH-Verfahren in sich trägt – wir bleiben dran…!
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