Die Finanzämter in Deutschland haben in den vergangenen zwei Jahren mehr Erstattungszinsen (§ 233a AO) an Steuerpflichtige gezahlt, als sie an Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) eingenommen haben, teilt die Bundesregierung mit.
Droht den Steuerbürgern, die Erstattungszinsen bezogen haben, jetzt eine Rückzahlung?
Warum hält die Bundesregierung eigentlich an der Vollverzinsung fest?
Die Bundesregierung verteidigt mit Zehen und Klauen den derzeitigen Zinssatz von 6 Prozent p.a. (§ 238 AO):
„Die Vollverzinsung bezweckt einen Ausgleich eines angenommenen Liquiditätsvorteils, um Belastungsgleichheit herzustellen. Dies wird durch einen Zinssatz in pauschalierter Höhe, der gleichermaßen für Nachzahlungs- als auch für Erstattungszinsen gilt, erreicht und dient damit der Gleichmäßigkeit der Besteuerung und dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit im Rahmen eines praktikablen Massenverfahrens.“
Ist das plausibel? Wo bitte lässt sich derzeit am Finanzmarkt mit einer mündelsicheren Anlage ein Zins von 6 Prozent im Jahr erwirtschaften?
Offenbar sind es vor allem technische Probleme, die die Finanzverwaltung von einer Zinsanpassung an einen flexiblen Marktzins abhalten:
„Eine Anpassung der Zinsberechnungsprogramme in diese Richtung erfordert aufwändige fachliche und technische Analysen und eine grundlegende Überarbeitung der IT-Programme. Bezifferbare Erkenntnisse zu Aufwand und Kosten einer solchen Umstellung liegen der Bundesregierung nicht vor,“ heißt es in der Drucksache.
Erstattungszinsen überwiegen Nachzahlungszinsen
In 2020 lag nach Mitteilung der Bundesregierung (BT-Drs. 19/26930) auf eine FDP-Anfrage (BT-Drs. 19/26566) der Saldo aus Erstattungs- und Nachzahlungszinsen im vergangenen Jahr bei minus 351,2 Millionen Euro, im Jahr zuvor (2019) lag er bei minus 552,8 Millionen Euro. Das bedeutet, dass der Fiskus mit Rücksicht auf den überhöhten Zins deutlich mehr Geld für die Zahlung von Erstattungszinsen aufwenden musste als er umgekehrt bei den Nachzahlungszinsen vereinnahmt hat – kein Kleingeld für den Bundeshaushalt?!
Auswirkungen auf die Praxis: Drohen Rückzahlungen von Zinsen an den Fiskus?
Was bedeutet das aber für uns Steuerzahler? Können wir uns entspannt zurücklehnen und uns freuen über verspätet bearbeitete Steuererklärungen, weil es ab dem 15. Monat „satte Zinsen“ auf Rückzahlungsguthaben gibt?
Ein Blick in den Steuerbescheid mahnt eher zur Vorsicht: Die Festsetzung von Zinsen ist gemäß § 165 Abs.1 S. 2 Nr. 3 AO i.V.m. § 239 Abs.1 S. 1 AO vorläufig hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Zinssatzes, heißt es dort. Und dann noch deutlicher: „Sollte aufgrund einer diesbezüglichen Entscheidung des BVerfG diese Zinsfestsetzung aufzuheben oder zu ändern sein, wird die Aufhebung oder Änderung von Amts wegen vorgenommen. .. Abhängig von der Entscheidung des BVerfG könnte unter Umständen auch eine Aufhebung oder Änderung zu Ihren Ungunsten erfolgen.“
Im Klartext: Kassiert das BVerfG den bisherigen pauschalierten Zinssatz in § 238 AO, führt dies nicht nur bei gezahlten Nachzahlungszinsen zu einer Rückerstattung an den Steuerbürger. In Fällen, in den Erstattungszinsen gezahlt worden sind (die wiederum steuerpflichtig sind), kann sogar Folge sein, dass erstattete überhöhte Zinsen ganz oder vollständig an den Fiskus zurückgezahlt werden müssten.
Ist das billig? Auf Vertrauen kann sich der Steuerzahler nach den ausdrücklichen Hinweisen im Steuerbescheid jedenfalls nicht berufen – leider. Umso dringlicher ist, dass das BVerfG jetzt wirklich zeitnah für alle Beteiligten Klarheit schafft.
Quellen
„Offenbar sind es vor allem technische Probleme, die die Finanzverwaltung von einer Zinsanpassung an einen flexiblen Marktzins abhalten…“ – ist das Sarkasmus? ;)