Am 28.1.2021 hat es der Bundestag mit der Stimmenmehrheit der Regierungskoalition abermals abgelehnt, die Zinsen im Steuerrecht dem gegenwärtigen Niedrigzinsniveau anzupassen.
Hintergrund
Ich habe wiederholt zu diesem Thema im Blog berichtet: Derzeit werden bei der Verzinsung von Steuernachforderungen 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, indem die Steuer entstanden ist, monatlich 0,5 Prozent Zinsen erhoben; im umgekehrten Fall einer Steuererstattung gilt dasselbe. Der unveränderte Zinssatz, die nach § 238 AO derzeit 0,5 Prozent pro Monat (also 6 Prozent im Jahr) betragen, besteht seit in zwischen 50 Jahren, obwohl seit Jahren Zinsen in dieser Höhe nicht erwirtschaftet werden können.
Eskaliert ist der Konflikt, seit der BFH (v. 25.4.2018 – IX B 21/18, BStBl II 2018, 415 und v. 3.9.2018 – VIII B 15/18, BFH/NV 2018, 1279) in einem Sofortverfahren ernsthafte verfassungsrechtliche Bedenken gegen den aktuellen Zinssatz geäußert und deshalb die Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides angeordnet hat – ich habe wiederholt berichtet. Das BMF hat daraufhin seit Ende 2018 auf Antrag die Vollziehung von Zinsbescheiden für Verzinsungszeiträume ab dem 1.4.2012 aus (BMF-Schreiben v. 14.12.2018 – IV A 3 – S 0465/18/10005-01), hält aber im Übrigen im Anwendungserlasses zur Abgabenordnung (AEAO v. 31.1.2019 – IV A 3 –S 0062/18/10005) am Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat fest. Das BVerfG wollte schon 2019 entscheiden, ob der gesetzliche Zinssatz des § 238 Abs. 1 AO von 0,5 Prozent für jeden Monat (also 6 Prozent/Jahr) für Verzinsungszeiträume nach dem 31.12.2009 beziehungsweise nach dem 31.12.2011 verfassungswidrig ist (BVerfG 1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17), die Entscheidung steht auch.
Bundestag lehnt Gesetzesinitiative abermals ab
Am 28.1.2021 hat der Bundestag in abschließender Lesung die Änderung des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung (BT-Drs.19/25795) in der vom Finanzausschuss geänderten Fassung (BT-Drs. 19/26245) angenommen.Inhaltlich ging es hierbei – ich habe berichtet – um die Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen für den VZ 2019, ferner um die Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragfrist bis 30.4.2021 für Unternehmen, die mit Aussicht auf Erfolg einen Antrag auf Corona-Finanzhilfen gestellt haben oder stellen könnten, jedoch noch kein Geld bekommen haben. Das Gesetzespaket bedarf noch der Zustimmung des Bundesrates, der sich am 12.2.2021 damit befassen könnte.
In diesem Zusammenhang hat die AfD-Fraktion zwei Gesetzesvorlagen eingebracht, die beide ohne Erfolg geblieben sind:
- Im ersten Antrag (BT-Drs. 19/26233) hatte die Fraktion vorgeschlagen, die Zinsen im Steuerrecht dem gegenwärtigen Niedrigzinsniveau anzupassen. Der Nachzahlungszins von 0,5 Prozent pro Monat oder sechs Prozent pro Jahr stehe seit geraumer Zeit in der Kritik und sei wahrscheinlich verfassungswidrig, hieß es. Seit mehreren Jahren sei dieses Problem umstritten und werde von der Regierung derzeit mit dem Hinweis auf ein verfassungsrechtliches Verfahren ignoriert.
Der Basiszinssatz liege seit 2016 bei minus 0,88 Prozent jährlich, sodass sich bei einer entsprechenden Anpassung zuzüglich eines Aufschlags von drei Prozentpunkten momentan ein Zinssatz von 2,12 Prozent jährlich ergäbe, hat die Fraktion vorgerechnet. Die Höhe des Abzinsungsfußes für die Pensionsrückstellungen für steuerliche Zwecke sei inzwischen weit vom Marktzinsniveau entfernt und nur noch rein fiskalisch begründet. Eine Anpassung an das Marktzinsniveau in Gestalt der geltenden Regelungen für die Handelsbilanz würde die Belastungssituation realistischer erfassen und zu einer gerechteren Besteuerung der Unternehmen führen.
- Mit dem zweiten, von der Tagesordnung abgesetzten Gesetzentwurf (BT-Drs.19/5491) wollte die AfD-Fraktion die seit 1961 bei Steuernachzahlungen oder Steuererstattungen ab dem 15.Monat nach Ende des VZ anfallenden Zinsen von 0,5 Prozent im Monat beziehungsweise sechs Prozent pro Jahr reduzieren. Die starre Verzinsung sei angesichts des historischen Tiefstands der Zinsen in der Eurozone nicht realitätsnah. Die Fraktion wollte deshalb den Basiszinssatz nach § 247 BGB zum Maßstab nehmen, der sich an Werten der Europäischen Zentralbank orientiert und seit dem 1.7.2016 minus 0,88 Prozent/Jahr beträgt. Ergänzt werden sollte dieser Zinssatz durch einen „sachgerechten Aufschlag“ von drei Prozentpunkten. Somit wäre der anzuwendende Zinssatz nicht nur an die Entwicklungen des Marktes angepasst, sondern hätte auch eine deutliche Entlastung des Bürgers und der Wirtschaft bei notwendig gewordenen Steuernachzahlungen aber auch des Staates bei Steuererstattungen beinhaltet.
Bewertung und Ausblick
Die Regierung hält mit geradezu stoischer Gelassenheit an den seit 1961 unveränderten, vom Realmarkt weit entfernten Zinssatz fest. Das ist bedauerlich, nützt diese Haltung doch weder dem Staat (bei Erstattungszinsen an den Steuerbürger) noch dem Steuerbürger (bei Nachzahlungszinsen an den Fiskus). Das ist schon erstaunlich: Egal von welcher politischen Couleur ein entsprechender Antrag kommt, bleibt er erfolglos. Zuletzt war im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum JStG 2020 vom Wirtschaftsausschuss dem Bundesrat eine Senkung des Zinssatzes empfohlen worden (BR-Drs.503/1/20 v. 9.10.2020, S. 171); auch eine FDP-Initiative blieb zum wiederholten Male erfolglos (BT-Drs.19/25160, S. 174).
Das ist weiterhin bitter für den Steuerzahler: Verzögert sich die Bearbeitung von Steuererklärungen in der Finanzverwaltung etwa coronabedingt, steigt die Gefahr, dass das FA bei einer Steuernachzahlung den Steuerpflichtigen zusätzlich bei der Verzinsung mit 6 Prozent/Jahr zur Kasse bittet. Deswegen beleibt nur noch die Hoffnung auf ein Machtwort des BVerfG: nicht nur bei Nachzahlungs- und Erstattungszinsen (§233a, 238 AO), sondern auch bei weiteren steuerlichen Regelungen, die auf die Verzinsung Bezug nehmen, wie beispielsweise § 235 AO oder § 6a EStG.
Quellen
- https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/262/1926233.pdf
- https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/054/1905491.pdf
- https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/144/1914412.pdf