Am 12.11.2024 hat das BVerfG mündlich über die Verfassungsbeschwerde gegen den Solidaritätszuschlag verhandelt (BVerfG 2 BvR 1550/20). Das ausstehende Urteil hat gewaltige Auswirkungen für die Haushaltsplanung des Bundes für 2025 ff., aber auch für die Gesamtsteuerbelastung von Unternehmen und Steuerbürgern.
Hintergrund
Bisherige Verfahren gegen den Soli und seine Verfassungsmäßigkeit blieben bislang erfolglos, allerdings hat der BFH zuletzt 2023 festgestellt (BFH v. 17.01.2023 – IX R 15/20), dass der Gesetzgeber nach 30 Jahren eine Überprüfungspflicht hat; das wäre ab 2025 der Fall.
Wie beurteilt das BVerfG jetzt die weitere Soli-Erhebung?
In dem Verfahren 2 BvR 1550/20 geht es um Verfassungsbeschwerden von sechs FDP-Bundestagsabgeordneten, die sich mit ihrer Beschwerde unmittelbar gegen das SolzG wenden und rügen eine Ungleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verschiedener Einkommensbezieher durch das SolzG 1995, ferner die Verfassungswidrigkeit des SolZG 2019 seit Auslaufen des Solidarpakts II am 31.12.2019. Das BVerfG hat am 12.11.2024 nur mündlich über die Verfassungsfragen der Soli-Erhebung verhandelt, aber noch keine Entscheidung in der Sache getroffen. Allerdings hat das Gericht schon anhand seiner Verhandlungsgliederung seine Prüfungsschwerpunkte deutlich werden lassen: Der Eingriff der Soli-Erhebung in das Eigentumsrecht (Art.14 Abs.1 GG) und die allgemeine Handlungsfreiheit (Art.2 Abs.1 GG) muss verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein.
Hier wird sich das BVerfG im Kern mit den Anforderungen an die Erhebung einer Ergänzungsabgabe (Art. 105 Abs.2, Art.106 Abs.1 Nr.6 GG) befassen, vor allem im Hinblick auf die zeitliche Befristung solcher Abgaben und die hieraus resultierende besondere Begründungspflicht des Gesetzgebers nach Auslaufen des Solidarpakts II Ende 2019 und seiner Befugnis zur Umwidmung von Mitteln – auch unter Berücksichtigung der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei Finanzierungsfragen.
Hierbei wird ein vom Bundesfinanzministerium vorgelegtes Gutachten aus dem Frühjahr 2020 eine wichtige Rolle spielen. Das Gutachten, das das Ifo-Institut und das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Frühjahr 2020 vorgelegt hatten, setzt sich mit den weiterhin bestehenden finanziellen Belastungen durch die Wiedervereinigung auseinander. Ob eine Ergänzungsabgabe abgeschafft werden muss, wenn die Voraussetzungen für die Erhebung entfielen, hatte das Gericht in einer früheren Entscheidung zur Ergänzungsabgabe 1972 noch offengelassen.
Ferner wird das BVerfG entscheiden, ob es dem Gleichheitssatz (Art.3 Abs. 1 GG) noch genügt, wenn die Soli-Zahlung (seit 2021) auf 10 Prozent der Steuerzahler beschränkt ist; hiervon betroffen sind rund 6 Mio. Steuerzahler in Deutschland.
Was sagen Verfassungsrechtsexperten und Ökonomen?
Namhafte Verfassungsrechtler wie der frühere Präsident des BVerfG Papier halten die vollständige Abschaffung des Soli für überfällig. Auch Ökonomen fordern die Abschaffung, weil sie die Unternehmen entlastet und Spielräume für Investitionen schafft.
Welche Auswirkungen hat das BVerfG-Urteil?
Ein Urteil des BVerfG ist deshalb von ganz besonderer Brisanz, weil es weitreichende Auswirkungen auf die Fiskalpolitik des Bundes hat. Die zerbrochene Ampel-Regierung hat Steuereinnahmen aus Solidaritätszuschlag in Höhe von 12,75 Mrd. Euro fest in den Haushaltsentwurf 2025 eingeplant, der am 14.11.2024 final im Haushaltsauschuss des Bundestages diskutiert und mit einer Empfehlung an den Bundestag verabschiedet werden soll. Wann der Bundestag über die Haushaltsgesetze 2025 entscheidet ist derzeit ungewiss. Es kann gut sein, dass eine (neue) Bundesregierung ab 1.1.2025 – wie im Vorjahr – zunächst mit einer vorläufigen Haushaltsführung operieren muss.
Ob das BVerfG den Solidaritätszuschlag für die Vergangenheit (seit 2020) für verfassungswidrig erklärt und den Bund verpflichtet, rund 65 Mrd. Euro an die Steuerzahler zurückzuzahlen, ist wenig wahrscheinlich und wäre ein Novum bei verfassungswidrig erklärten Steuergesetzen. Üblicherweise billigt das BVerfG dem Gesetzgeber eine Übergangsfrist so, um ein mit der Verfassung unvereinbares Gesetz zu „reparieren“. Für die Zukunft wäre das dann für Unternehmen und private Steuerzahler eine Entlastung von 12,7 Mrd. Euro im Jahr, für den Fiskus ein Milliarden-Haushaltsloch, das er anderweit stopfen müsste. Denkbar und zulässig wäre allerdings durch Entscheidung von Bundestag und Bundesrat auch ein neuer (zeitlich befristeter) Solidaritätszuschlag zur vorübergehenden Krisenfinanzierung, der dann aber solidarisch von allen Steuerpflichtigen aufgebracht werden sollte.
Egal wie das BVerfG entscheidet: Eine neu gewählte Bundesregierung übernimmt auch beim Soli eine gewaltige Nachlassverbindlichkeit. Der Versuch von FDP-Finanzminister, dem BVerfG mit einer schrittweisen Abschaffung des Soli legislativ zuvor zu kommen, ist zwar mit dem Bruch der Ampelkoalition gescheitert. Das Thema könnte aber sehr schnell wieder auf der Agenda einer neugewählten Regierung landen.
Weitere Informationen:
Bundesverfassungsgericht – Termine – Mündliche Verhandlung in Sachen „Solidaritätszuschlag 2020/2021“