Fehlende Lizenzen, Accounting-Grüßonkel und Verwunderung
Da ich die Flut an Nachfragen zu meiner Einschätzung und Beurteilung der Sitzungen des Untersuchungsausschusses in der letzten Woche nicht alle persönlich beantworten kann, fasse ich hier einige Erkenntnisse zusammen. Während ich dies schreibe, sitze ich im Zug nach Hause – ein fast 30 stündiger Sitzungsmarathon liegt hinter mir. Die Befragungen am Donnerstag dauerte bis 3.15 Uhr, um 9 Uhr ging es dann am Freitag weiter.
Der lange Weg zur Antwort…
Sitzungen von mehr als zehn Stunden bis in die frühen Morgenstunden. Das mag als Außenstehender endlos erscheinen. Doch beschäftigt mich der Fall Wirecard schon länger als seit dem 18. Juni 2020 – dem Tag, an dem die Bombe geplatzt ist. Ich habe Zahlen analysiert, Berechnungen durchgeführt und mich oft gefragt: Wie lange geht das noch gut? Habe ich mich geirrt? Denn eine Berechnung lieferte nicht das gewünschte Ergebnis, sondern die Erkenntnis: Fehlanzeige, Rechenfehler hatte ich nicht gefunden. Doch auf der anderen Seite waren so viele Warnzeichen meiner Liste für Bilanzmanipulationen erfüllt, dass ich mir dies kaum vorstellen konnte. Aber bei der Berechnung stellte ich mir die Frage, ob die Formel geändert werden muss, denn immaterielles Vermögen wird nicht berücksichtigt. Auch das TPA-Geschäft von Wirecard könnte vielleicht das Ergebnis verfälschen.
Viele Stunden hatte ich mich mit Wirecard beschäftigt. So hatte ich mir auch zwei Aktien im Frühjahr 2019 gekauft, um mir die Show auf der Hauptversammlung persönlich anzuschauen. Dafür bin ich nach München gereist, eine Reise, die sich auf jeden Fall gelohnt hat. Kurze Zeit später konnte ich meine Erkenntnisse bei einer Schulung (in einem geschützten Raum) erläutern. Diese Aktien halte ich übrigens immer noch. Es reicht nicht einmal mehr für eine Kugel Eis.
In diesen beiden Tagen im Untersuchungsausschuss habe ich endlich Antworten auf viele Fragen erhalten, die mich in den letzten Jahren beschäftigt hatten. Geballt in wenigen Stunden. Dazu sei erwähnt: Beispielsweise die SdK hatte sich schon vor mehr als zehn (!) Jahren mit den intransparenten Geschäftsberichten von Wirecard beschäftigt. Da sind solche Antworten sicherlich noch einmal eine ganz andere Dimension.
Head of Accounting und Compliance
Doch nun komme ich endlich zum Inhalt der Sitzungen. Es ist erstaunlich, dass es mit einem so schwachen internen Kontrollsystem und einer unterbesetzten Buchhaltung funktioniert hat, in den DAX aufzusteigen. Jeder Compliance-Experte würde sich bei den Erläuterungen von Herrn Steinhoff, dem Head of Compliance (ab August 2019), die Haare raufen. Einen Ansturm von Händlern gab es nämlich nach der Insolvenzanmeldung nicht. Genauso wenig wie entsprechende Unterlagen über Händler, Preise, Provisionslisten, Händlerprüfungen, Risikoanalyse, Berechnungsgrundlagen für die Einzahlungen auf Treuhandkonten. Vermutlich habe ich nicht alles notiert. Es hat mich zwar nicht schockiert – was bei Wirecard kaum noch möglich ist – aber dennoch erstaunt, dass dies so lange „gut gegangen“ ist.
Der Head of Accounting hatte auch keinen Einblick in die geheimen Kundenlisten des gewinnträchtigen TPA-Geschäftes. Eine erschreckende Vorstellung. Denn wie ein Konflikt zwischen Herrn von Erffa (Head of Accounting) und Eichelmann (Aufsichtsratsvorsitzender) zeigt: Bei fehlenden Rechnungsnummern und Belege für Spesen veranlasste er keine Auszahlung an den Aufsichtsratschef.
Erffa bestätigte auf Nachfrage von Bayaz, dass der Begriff „Treuhandkonten“ im Geschäftsbericht nicht auftaucht. Die Frage nach diesen Angaben recherchierte der Chefbuchhalter in der ohnehin knapp bemessenen Pause. Er verwies auf Seite 142 im Geschäftsbericht 2018. Auf eine erneute Nachfrage musste er jedoch zugeben, dass für die Transparenz der Rechnungslegung die Angabe zu den Treuhandkonten gut gewesen wäre. Dies ist ein gutes Beispiel für die fehlende Transparenz, die übrigens von der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger bereits 2008 kritisiert worden war.
Bei diesen Missständen handelt es sich keinesfalls um die Wachstumsschmerzen eines Start-ups. Das Budget für die Anzahl der Mitarbeiter in der Buchhaltung wurde sehr schmal gehalten und nur zeitverzögert angepasst. Auch im Fall der Kommunikation mit dem Finanzmarkt kann man Wirecard nur ein ungenügend ausstellen. Denn wie sich herausstellte, gab es für den Wechsel des Aufsichtsratsvorsitzenden in einer „Nacht- und-Nebel-Aktion“ an einem Freitagabend im Januar 2019 und dem über LinkedIn bekannt gewordenen Rücktritt der Aufsichtsrätin Susana Quintana-Plaza plausible Erklärungen. Mein Learning daraus? Manche Warnzeichen sind nur erfüllt, weil ein Unternehmen trotz seiner Größe so unprofessionell agiert, dass man dies für unvorstellbar hält. Denn diese Personalveränderungen im Aufsichtsrat hatten mich lange beschäftigt.
Finanzanalysten und Prüfer
Die Aufgabe eines Finanzanalysten ist für mich allerdings durch die Erläuterungen von Heike Pauls nicht klar geworden. Das sollte ich wohl als Hausaufgabe mitnehmen. De Masi wird mir dies sicherlich nachsehen, dass ich dies nicht weiß, auch wenn er die Unterrichtsmethode „Hefte raus, Klassenarbeit“ bevorzugt – im Gegensatz zu seiner Kollegin Kiziltepe, die gerne Hausaufgaben an die Zeugen verteilt.
Die Befragung von EY lieferte auch einige interessante Ergebnisse. Es war nur etwas bedauerlich, dass keiner der beiden Prüfer Teil des Prüfungsteams im Jahr 2015-2018 war. Fragen gab es vor allem auch zu der parallel zur Abschlussprüfung laufenden Sonderprüfung von KPMG. Gottschalk stellte aus einem interessanten Memo aus dem Jahr 2016 fest, dass EY offenbar damals die falsche Abfahrt genommen habe. Er empfahl dem Zeugen, sich dieses am Montag anzuschauen, um sich damit nicht das Wochenende versauen. Ein weiterer Knackpunkt war die fehlende Lizenz eines Treuhänders in Singapur. Zwei Tatsachen, die man erst einmal verarbeiten muss.
Für mehr über die Befragung von EY möchte ich Sie auf das u.g. Video verweisen. Denn auch wenn mich dies nicht völlig überrascht hat, werde ich für die verbleibende Zugfahrt eine kurze Wirecard-Pause einlegen…