Unfallbedingter Verdienstausfallschaden nach ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Ein Unfallopfer kann einen zu ersetzenden Verdienstausfallschaden erleiden, wenn er berechtigterweise auf die ihm ärztlicherseits bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht zur Arbeit geht – so der BGH 8.10.2024, VI ZR 250/22.

Sachverhalt im Streitfall

Der Kläger erlitt 2019 während seiner Arbeit in einer Waschstraße eine tiefe, klaffende Riss- und Quetschwunde am linken Unterschenkel. Die volle Haftung der Beklagten dem Grunde nach war unstreitig. Der Kläger war unfallbedingt vom 8. bis zum 22.5.2019 und vom 26. bis zum 27.8.2019 in stationärer Behandlung. Laut fachärztlicher Bescheinigung vom 17.8.2020 war er unfallbedingt bis voraussichtlich zum 14.9.2020 arbeitsunfähig.

Mit der Klage machte der Kläger die Differenz zwischen seinem letzten monatlichen Gehalt und dem Krankengeld nebst anteiliger vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten und Zinsen geltend. Er meinte, er habe sich auf die Krankschreibung seines Arztes verlassen und sein Verhalten danach ausrichten dürfen. Es handele sich um einen Fehler des Arztes, welchen er nicht zu vertreten habe und welcher im Risikobereich des Schädigers liege.

Das LG verurteilte die Beklagten zur Zahlung von Verdienstausfall nebst Zinsen und anteiligen vorgerichtlichen Rechtsanwalts- kosten für den Zeitraum nach Ende der Lohnfortzahlung bis zum 5.9.2019 (zweieinhalb Monate) und wies die Klage im Übrigen ab. Die Berufung des Klägers wies das OLG zurück.

Entscheidung des BGH

Die Revision des Klägers war erfolgreich: Der BGH hat das OLG-Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das OLG zurückverwiesen. Der Geschädigte könne einen adäquat kausal unfallbedingten und nach § 842 BGB, § 11 StVG zu ersetzenden Verdienstausfallschaden erleiden, wenn er berechtigterweise auf die ihm ärztlicherseits bescheinigte Arbeitsunfähigkeit vertraut und deshalb nicht zur Arbeit geht.

Praktische Konsequenzen

Bei der Beurteilung, ob eine solche verletzungsbedingte Beeinträchtigung der Arbeitskraft vorliegt, ist der Arbeitnehmer grundsätzlich auf die Einschätzung des ihn behandelnden Arztes angewiesen, insbesondere wenn es um die Frage geht, ob durch die Aufnahme der Arbeitstätigkeit die Heilung nach ärztlicher Prognose verhindert oder verzögert würde. Der Arbeitnehmer ist arbeitsrechtlich verpflichtet, alles zu unterlassen, was seine Genesung verzögert, und er pflichtwidrig handelt, wenn er den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet. Deshalb kommt ein Verdienstausfallschaden nicht nur bei objektiv festgestellter Arbeitsunfähigkeit in Betracht, sondern auch, wenn der Geschädigte aufgrund der ärztlichen Beratung von einer solchen Einschränkung ausgehen musste.

Allerdings schiebt der BGH einer ausufernden Schadenersatzpflicht auch einen Riegel vor: Erstens muss die Arbeitsunfähigkeit verletzungsbedingt sein, was der Geschädigte zu beweisen hat; zweitens muss der Geschädigte den Arzt vollständig und zutreffend informiert haben, insbesondere über die von ihm empfundenen gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die der Arzt zur Grundlage seiner Beurteilung und Empfehlung gemacht hat (z.B. Schmerzen). Und drittens muss das ärztliche Verfahren (siehe hierzu auch die sog. Arbeitsunfähigkeitsrichtlinie i.d.F. v. 14.12.2013, BAnz AT 27.01.2014 B 4) zur Feststellung der Arbeitsunfähigkeit so gestaltet sein, dass der Geschädigte auf die Richtigkeit der ärztlichen Feststellung vertrauen darf.

Das BGH-Urteil ist durchaus auch für Arbeitgeber interessant: Da das Entgeltfortzahlungsgesetz keine Einschränkungen bei Arbeitsunfähigkeit infolge von Unfällen oder Verletzungen durch Dritte macht, ist die Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber auch in diesen Fällen bis zu sechs Wochen zu leisten, obwohl der Verletzte zivilrechtlich vom Schädiger Schadensersatz wegen des Verdienstausfalls beanspruchen kann.

Der Schadensersatzanspruch des verletzten Arbeitnehmers wegen des Verdienstausfalls geht aber auf den Arbeitgeber über, wenn dieser das Arbeitsentgelt fortgezahlt hat. Durch den in § 6 EFZG geregelten Forderungsübergang bei Dritthaftung ist der Arbeitgeber also in der Lage, den Schadensersatzanspruch auch selbst geltend zu machen.

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