Die EU-Kommission beanstandet regelmäßig Verletzungen von EU-Recht, die auf zu später oder falscher Umsetzung von EU-Recht durch die EU-Staaten beruhen. Jetzt hat die Europäische Kommission am 10.10.2019 fünf Entscheidungen zu Deutschland bekanntgegeben: Im Bereich Steuern fordert die Kommission Deutschland auf, die Umsatzsteuerhaftung elektronischer Marktplatzbetreiber nach § 25e UStG, die zulasten europäischer Unternehmen geht, zu widerrufen. Entfällt jetzt die Umsatzsteuerhaftung?
Hintergrund
Am 1.1.2019 ist das neue „Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ (Gesetz v. 14.12.2018, BGBl 2018 I S. 2338) in Kraft getreten (ursprünglich JStG 2018). Es betrifft Betreiber von elektronischen Marktplätzen. Demnach müssen Internethändler von einer Onlineplattform ausgeschlossen werden, wenn diese keine Umsatzsteuerregistrierung vorweisen können. Geschieht dies nicht, haftet der Marktplatzbetreiber für den Umsatzsteuerausfall. Seit 1.3.2019 können Marktplatzbetreiber in Haftung genommen werden, sollten die Händler gegen die Vorgaben verstoßen und nicht vom Marktplatz entfernt werden.
Das bedeutet: Online-Marktbetreiber sind selbst in der Pflicht, die Umsatzsteuerzahlung ihrer Händler sicherzustellen. Nur wenn sie dem Finanzamt eine Bescheinigung über die steuerliche Registrierung ihrer aktiven Verkäufer vorlegen, entfällt eine Haftung. Erst ab 2021 sollen die Betreiber die Umsatzsteuer der Online-Verkäufer automatisch an das zuständige Finanzamt abführen.
Betroffen waren im ersten Schritt ab 1.3.2019 Händler, die nicht dem EU-Wirtschaftsraum angehören. Für Händler aus dem EU-Wirtschaftsraum, die nicht registriert sind, gilt die Haftung seit 1.10.2019. Bereits seit 1.1.2019 gelten – zunächst in Papierform – Aufzeichnungsregeln, die sich insbesondere beziehen auf Name und Adresse der Händler, Steuernummer, Zeitpunkt und Höhe des Umsatzes; über Einzelheiten hat das BMF informiert (BMF-Schreiben v. 17.12.2018 – III C 5 – S 7420/14/10005-06). Grundsätze dieser Neuregelungen hat das BMF in einem Schreiben vom 28.1.2019 (III C 5 -S 7420/19/10002 :002) erläutert. Dieses Schreiben hat das BMF später ergänzt (BMF-Schreiben v. 21.2.2019 – III C 5 – S 7420/19/10002:002).
EU-Kommission beanstandet Haftungsregelung in § 25e UStG
Spätestens seit dem 1.10.2019 haftet nach § 25e UStG folglich ein Marktplatzbetreiber gesamtschuldnerisch für die Mehrwertsteuer auf Waren, die von europäischen Unternehmen über die Plattform verkauft werden, wenn sie von Deutschland aus verbracht oder dorthin geliefert werden. Der Marktplatz kann die Haftung nur dann vermeiden, wenn er eine Bescheinigung auf Papier vorlegen kann, die dem auf seiner Plattform tätigen Verkäufer von der deutschen Steuerbehörde ausgestellt wurde (§ 25e UStG).
Diese Regelung hat die EU-Kommission jetzt beanstandet (Art.258 AEVO). Die Haftungsverpflichtung ist nach Auffassung der Kommission ineffizient und unverhältnismäßig und behindert außerdem den Zugang europäischer Unternehmen zum deutschen Markt, was einen Verstoß gegen das EU-Recht darstellt. Darüber hinaus haben sich die 25 EU-Mitgliedstaaten bereits auf gemeinsame und effizientere Maßnahmen zur Bekämpfung von Mehrwertsteuerbetrug geeinigt, die am 1.1.2021 in Kraft treten. Die den Betreibern digitaler Marktplätze zur Vermeidung der gesamtschuldnerischen Haftung auferlegte Verpflichtung geht nach Ansicht der EU-Kommission über das in den EU-Vorschriften vorgesehene Maß hinaus und steht im Widerspruch zu den Zielen der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt. Aus Sicht der Kommission verstößt § 25e UStG also gegen EU-Recht.
Wie geht´s jetzt weiter?
Deutschland hat jetzt eine Abhilfefrist von zwei Monaten. Geschieht innerhalb dieser Frist nichts, kann die Kommission den deutschen Behörden eine mit Gründen versehene Stellungnahme übermitteln, die zweite Stufe in einem insgesamt maximal dreistufigen Vertragsverletzungsverfahren. Gelangt die Kommission zu dem Schluss, dass das Land seinen Verpflichtungen nach dem EU-Recht nicht nachkommt, gibt sie eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Dabei handelt es sich um eine förmliche Aufforderung, Übereinstimmung mit dem EU-Recht herzustellen. In der Stellungnahme erläutert die Kommission, warum sie der Auffassung ist, dass das Land gegen EU-Recht verstößt. Sie fordert es außerdem auf, sie innerhalb einer festgelegten Frist von in der Regel zwei Monaten über die getroffenen Maßnahmen zu unterrichten. Stellt das EU-Land daraufhin immer noch keine Übereinstimmung mit dem EU-Recht her, kann die Kommission den Gerichtshof mit dem Fall befassen. Teilt ein EU-Land der Kommission Maßnahmen zur fristgerechten Umsetzung einer Richtlinie nicht mit, kann die Kommission den Gerichtshof anrufen, damit dieser gegebenenfalls Sanktionen verhängt. Stellt der Gerichtshof fest, dass ein Land gegen EU-Recht verstoßen hat, muss dieses Maßnahmen treffen, um dem Urteil des Gerichtshofs Folge zu leisten. Muss der EuGH wegen Untätigkeit des Mitgliedstaates ein zweites Mal mit der Sache befasst werden, kann es gegen den untätigen Staat empfindliche finanzielle Sanktionen verhängen (Art. 260 AEVO).
Wer dem Grunde nach seit 1.10,2019 gemäß § 25 e UStG haftet, sollte sich nach dem jetzt eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren keine große Hoffnung machen, das die Umsatzsteuerhaftung kurzfristig entfällt. Denn zunächst muss der Ausgang des Beanstandungsverfahrens abgewartet werden. Und im Übrigen handelt es sich um ein objektives Rechtsbeanstandungsverfahren, das keine subjektiven Rechte des Steuerpflichtigen begründet.
Weitere Informationen:
- EU-Kommission, Pressemitteilung v. 10.10.2019
- BT-Drucks. 19/4455, 19/4858; 19/5595
- BR-Drucks. 372/18 zu JStG 2018, BGBl 2018 I S. 2338
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