Übertragung des Betreuungsfreibetrages: Der Rechtsanwender ist verwirrt

Bei getrennt lebenden Eltern stellt sich häufig die Frage, welchem Elternteil der Kinderfreibetrag und der Freibetrag für Betreuung, Erziehung und Ausbildung (kurz: Betreuungsfreibetrag oder BEA-Freibetrag) zustehen. Grundsätzlich stehen die Freibeträge zwar beiden Elternteile zur Hälfte zu. Doch der halbe Kinderfreibetrag kann auf Antrag übertragen werden, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil seiner Unterhaltsverpflichtung nicht im Wesentlichen nachkommt oder mangels Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist.

Die bisherige Verwaltungspraxis sah vor, dass bei minderjährigen und volljährigen Kindern der Betreuungsfreibetrag der Übertragung des Kinderfreibetrags folgt. Dieser Grundsatz ergab sich nach Auffassung der Verwaltung aus § 32 Absatz 6 Satz 6 EStG. Der BFH hat jedoch mit Urteilen vom 22.4.2020 (III R 61/18 und III R 25/19) entschieden, dass der dem anderen Elternteil zustehende BEA-Freibetrag nach Volljährigkeit des Kindes auch im Fall der Verletzung der Unterhaltsverpflichtung nicht auf den alleinerziehenden Elternteil übertragen werden kann. Dadurch erhält ein seiner Unterhaltsverpflichtung nicht nachkommender Elternteil den halben BEA-Freibetrag, obwohl er nicht mit Unterhaltsaufwand belastet ist. Infolge dieser Rechtsprechung wird einem alleinerziehenden Elternteil der halbe BEA-Freibetrag für das volljährige Kind verwehrt, obwohl er die Unterhaltslasten des Kindes alleine trägt.

Mit einer Ergänzung des § 32 Absatz 6 Satz 6 EStG ist dann aber geregelt worden, dass mit Wirkung ab Veranlagungszeitraum 2021 die Übertragung des Kinderfreibetrags stets auch zur Übertragung des BEA-Freibetrages führt („Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz“).

Bis hierhin ist es schon recht kompliziert, doch immerhin kann ich dem Gesetzgeber noch folgen. Bei dem nun folgenden Punkt bin ich selbst allerdings etwas verwirrt. Denn nicht geändert hat der Gesetzgeber die Sätze 8 und 9 des § 32 Abs. 6 EStG, in denen es etwas verkürzt heißt:

„Bei minderjährigen Kindern wird der dem Elternteil, in dessen Wohnung das Kind nicht gemeldet ist, zustehende Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf auf Antrag des anderen Elternteils auf diesen übertragen, ….  Eine Übertragung …. scheidet aus, wenn der Übertragung widersprochen wird ……“.

Das heißt also: Obwohl die Übertragung des Kinderfreibetrags durch eine gesetzliche Fiktion (§ 32 Abs. 6 Satz 6 EStG) stets auch zur Übertragung des BEA-Freibetrages führt, bleibt die Möglichkeit des Widerspruchs bei minderjährigen Kindern erhalten.

Mir selbst fällt allenfalls noch folgender Fall ein, den die Sätze 8 und 9 im Blick haben: Elternteil A kommt seiner Unterhaltsverpflichtung für ein minderjähriges Kind zwar nach, so dass Elternteil B nicht den (halben) Kinderfreibetrag übertragen lassen kann. B ist aber der Meinung, dass sich A nicht um das gemeinsame Kind kümmert und beantragt die Übertragung des BEA-Freibetrages. A kann nun widersprechen, wenn er nachweist, dass er auch Betreuungskosten trägt oder das Kind in einem nicht unwesentlichen Umfang betreut. Dann bleibt es dabei, dass Kinderfreibetrag und BEA-Freibetrag beiden Elternteilen je zur Hälfte zustehen. Das Übertragungs- und das Widerspruchsrecht sind aber nur bei minderjährigen Kindern gegeben.

Ich hoffe, ich habe das Ganze richtig verstanden und freue mich auf Ihre Kommentare. Jedenfalls ist das gesamte Thema „Familienleistungsausgleich“ nicht ganz trivial.

Können Sie weiterhelfen? Welche Sachverhalte könnte der Gesetzgeber mit den Sätzen 6-9 des § 32 Abs. 6 EStG noch im Blick gehabt haben?

Ein Kommentar zu “Übertragung des Betreuungsfreibetrages: Der Rechtsanwender ist verwirrt

  1. So, wie ich es bisher überall gelesen habe ist der halbe Kinderfreibetrag nicht übertragbar, wenn der unterhaltspflichtige Elternteil mindestens 75% seiner Unterhaltspflicht nachkommt ODER zwar kein Unterhalt, dafür aber Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz gezahlt werden. Warum auch immer, der Nichtzahler ist fein raus.
    Der Freibetrag für den Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf ist allerdings übertragbar, solange das Kind nicht auch beim anderen Elternteil gemeldet ist und er keine Betreuungleistung leistet.

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