Übernahme von Pflegekosten für die Eltern – jetzt wírd´s kompliziert!

Im Jahre 2019 hat der BFH entschieden, dass die Steuermäßigung nach § 35a EStG nur für Aufwendungen gewährt wird, die einem Steuerbürger für seine eigene Unterbringung in einem Heim oder für seine eigene Pflege entstehen. Hingegen ist der Steuervorteil ausgeschlossen für Aufwendungen, die er für eine andere Person übernimmt (BFH-Urteil vom 3.4.2019, VI R 19/17). Die Finanzverwaltung war diesbezüglich viele Jahre großzügiger. Aufgrund der Veröffentlichung des Urteils im BStBl 2019 II S. 445 wendet sie das negative Urteil aber an.

Etwas später hatte sich auch das FG Berlin-Brandenburg mit der Übernahme von Pflegekosten für einen Elternteil befasst. Danach galt: § 35a EStG begünstigt nur Aufwendungen für die ambulante Pflege von Angehörigen im eigenen Haushalt des Steuerpflichtigen, nicht aber für die ambulante Pflege von Angehörigen in deren Haushalt. Im Ergebnis könnten daher zwar die Aufwendungen für die ambulante Pflege eines Angehörigen, der im Haushalt des Steuerpflichtigen lebt, nicht jedoch für die ambulante Pflege eines Angehörigen, der in seinem eigenen Haushalt lebt, abgezogen werden (Urteil vom 11.12.2019, 3 K 3210/19). Es wurde aber die Revision zugelassen.

Der BFH ist anderer Auffassung als das FG und hat der Revision der Klägerin entsprochen. Doch jetzt wird´s richtig kompliziert, denn der BFH hat die Vorschrift des § 35a bis sozusagen bis in die letzte Silbe hinein seziert und kommt zu einer Differenzierung, die Laien und Fachleute gleichermaßen staunen lässt (BFH-Urteil vom 12.4.2022, VI R 2/20).

Zunächst zur stationären Unterbringung bzw. Pflege: Hier bleibt der BFH bei seiner Rechtsprechung aus 2019. Maßgebend ist § 35a Abs. 2 Satz 2 zweiter Halbsatz EStG. Danach kann die Steuerermäßigung nur derjenige beanspruchen, dem die Aufwendungen wegen seiner eigenen Unterbringung/Pflege entstanden sind.

Ganz anders bei der ambulanten Pflege bzw. Betreuung: Hier gilt § 35a Abs. 2 Satz 2 erster Halbsatz EStG, der die Beschränkung auf die eigenen Kosten nicht enthält. Folglich können Kinder die Kosten für eine ambulante Pflege ihrer Eltern abziehen, wenn sie die Kosten getragen haben. Dies gilt auch, wenn die Pflege- und Betreuungsleistungen nicht im eigenen Haushalt des Steuerpflichtigen, sondern im Haushalt der gepflegten oder betreuten Person ausgeübt oder erbracht werden.

In dem BFH-Urteil VI R 2/20 ging es um folgenden Sachverhalt:

Die Mutter der Klägerin wohnt in einem eigenen Haushalt, knapp 100 km vom Wohnort der Tochter entfernt. Sie bedurfte Hilfe für Einkäufe und Wohnungsreinigung. Mit einer Sozialstation wurde eine Vereinbarung zur Erbringung von Pflegeleistungen abgeschlossen. Die Mutter ist als Leistungsnehmerin aufgeführt, der Vertrag ist jedoch von der Tochter unterschrieben. Die Rechnungen wiesen die Mutter als Rechnungsempfängerin aus und wurden der Tochter übersandt, die sie jeweils per Banküberweisung beglich. Mit ihrer Einkommensteuererklärung machte die Tochter den Gesamtbetrag ihrer Aufwendungen für die Mutter in Höhe von 1.071 Euro geltend. Finanzamt und Finanzgericht lehnten den Abzug nach § 35a EStG ab, doch der BFH gab der Revision der Klägerin statt (mehr Infos in der NWB Online-Nachricht).

Dabei hat er sich auch mit den formellen Voraussetzungen für den Abzug befasst und hat hier eine wortgetreue Auslegung parat: Für die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung für ambulant erbrachte Pflege- und Betreuungsleistungen ist weder Voraussetzung, dass der Steuerpflichtige für die Aufwendungen eine Rechnung erhalten noch in den Zahlungsvorgang ein Kreditinstitut eingebunden hat. Da muss man § 35a Abs. 5 EStG schon sehr genau studieren. In Satz 5 der Vorschrift heißt es: „Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung für haushaltsnahe Dienstleistungen nach Absatz 2 … ist, dass der Steuerpflichtige für die Aufwendungen eine Rechnung erhalten hat und die Zahlung auf das Konto des Erbringers der Leistung erfolgt ist.“ Die Regelung erstreckt sich aber nicht auf Pflege- und Betreuungsleistungen. Ein gesetzgeberisches Versehen vermag der Senat darin nicht zu erblicken. Dass der BFH dem Gesetzgeber so viel Spitzfindigkeit zutraut, ist aller Ehren wert.

So weit, so kompliziert

Allerdings ist die Sache damit noch nicht beendet, denn nun muss sehr genau ins Vertragsverhältnis zwischen der zahlenden Tochter und dem Pflegedienst geschaut werden. Zwar hat die Tochter die von der Sozialstation zugunsten ihrer Mutter erbrachten und dieser in Rechnung gestellten Leistungen beglichen. Für den BFH war jedoch nicht ersichtlich, ob die Tochter hiermit eigene Aufwendungen (aufgrund eines eigenen Schuldverhältnisses) oder den Aufwand ihrer Mutter (aufgrund eines Schuldverhältnisses der Mutter) getragen hat. Die Steuerermäßigung kann nur im ersten Fall, also bei eigenem Aufwand aufgrund einer eigenen Schuld, gewährt werden. Im zweiten Fall würde Drittaufwand vorliegen, der steuerlich unerheblich ist. Die Vorinstanz muss dazu nun Feststellungen treffen.

In meinem Blog-Beitrag „Einkommensteuererklärung 2020: Der Wirrwarr um Pflegeleistungen“ habe ich bereits darauf hingewiesen, dass die Steuererklärungsvorducke bezüglich der Geltendmachung von Pflegekosten undurchschaubar sind. Versuchen Sie einmal zu durchdringen, wie Pflegekosten geltend zu machen sind. Nach dem jüngsten BFH-Urteil wird es bestimmt nicht einfacher.

Zu guter Letzt übrigens noch ein Hinweis:

Auch wenn oben davon die Rede ist, dass Kinder die Kosten für die stationäre Unterbringung ihrer Eltern nicht geltend machen können, soll der guten Ordnung darauf hingewiesen werden, dass im Einzelfall aber ein Abzug bei den außergewöhnlichen Belastungen möglich sein kann.


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