An welches Datum denken Sie beim Stichwort “7:1” in der Rubrik Internationale Beziehungen? Klar, 8. Juli 2014 – Halbfinale der Fußball-WM in Belo Horizonte. Für Steuer-Nerds kommt nun noch der 15. Dezember 2015 hinzu.
Denn an diesem Tag machte das Bundesverfassungsgericht die Praxis des treaty override sattelfest. Von den achten Robenträgern konnte der BFH– ausgehend vom Sondervotum – nur eine Richterin mit seiner Vorlage überzeugen. Am vergangen Freitag ging der gut 30 Seiten starke Beschluss an die Öffentlichkeit.
Dabei war das Ergebnis abzusehen. Sehr klar und überzeugend machen die Karlsruher Richter deutlich, dass ein völkervertragsrechtswidriges Verhalten nicht per se verfassungswidrig ist. Gemeinsam mit meinem geschätzten Kollegen Dr. Robert Frau hatte ich damals zum Vorlagebeschluss bereits analysiert, dass sich die BFH-Meinung kaum durchsetzen wird. Steuerlich bleibt also erst einmal alles beim Alten.
Für mich sind nach einer ersten Einschätzung drei Passagen im Beschluss besonders interessant:
- Rn. 30 zur Zulässigkeitsvoraussetzung, die BVerfG-Rechtsprechung konsequent durchzuprüfen: „Ein Gebot, auch sämtliche Kammerentscheidungen auszuwerten, ist damit jedoch nicht verbunden.“ Sehr vernünftig. Sonst wären wohl noch viele Vorlagen ziemlich schnell gescheitert.
- Rn. 49 zur Zusammenfassung des Beschlusses in einem Satz: „Das Völkerrecht steht der innerstaatlichen Wirksamkeit völkerrechtswidriger Rechtsakte nicht entgegen.“ Klare Ansage.
- Rn. 53 für das Kernargument: „Demokratie ist Herrschaft auf Zeit. (…) Damit wäre es nicht zu vereinbaren, wenn ein Parlament die Gesetzgeber späterer Legislaturperioden binden und in ihren Möglichkeiten beschränken könnte, gesetzgeberische Entscheidungen der Vergangenheit aufzuheben oder zu korrigieren (…).“ Der Hauch von Pathos täuscht keineswegs darüber hinweg, dass diesem Argument die letzte Durchschlagskraft fehlt. Der Gesetzgeber hat viele Möglichkeiten. Er könnte z. B. Übergangsregelungen schaffen. Oder die Exekutive zur Nachverhandlungen des DBA „ermuntern“. Stattdessen geht die Risikoteilung vollends zulasten der Steuerpflichtigen. Und was ist eigentlich mit den Staaten, in denen das Völkervertragsrecht vorrangige Geltung entfaltet? Ist Polen jetzt ein undemokratischer Staat? Na gut, schlechtes Beispiel derzeit. Besser: Frankreich. Hier stößt die Argumentation für mich schnell an ihre Grenzen.
Dennoch ist der Beschluss überzeugend. Genauso wünschenswert ist im Ergebnis aber die abweichende Auffassung der Richterin König. Im 21. Jahrhundert ist es ein Armutszeugnis für Deutschland im Allgemeinen und die Verhandlungsführer auf DBA-Ebene im Besonderen, das man weiterhin zum treaty override greift. Wo für werden die Delegationsmitglieder – aus Steuermitteln! – eigentlich bezahlt? Eine prinzipielle Verfassungswidrigkeit von treaty overrides ist allerdings die falsche Lösung.
Die deutlichen Worte des Verfassungsgerichts sprechen nun klar für einen Abschluss der Diskussion treaty override ./. Verfassungswidrigkeit. Wäre da nicht ein letztes kleines Hintertürchen: Das Verfassungsgericht erkennt zutreffend einen Eingriff in den Gleichheitsgrundsatz, hält diesen aber für gerechtfertigt. Das war am Ausgangsfall auch leicht, ist die Arbeitnehmer-Klausel doch letztlich der schwächste aller treaty override. Da hat der Gesetzgeber bekanntlich noch ganz andere Brocken in die Steuerlandschaft gesetzt.
Dem Vernehmen nach sucht man in München ja schon seit einiger Zeit nach einem besser geeigneten Fall für die Normenkontrolle. Jetzt wird es aber ganz schwierig, die Verfassungsrichter noch zu überzeugen. Aber die Hoffnung stirb zuletzt. Wenigstens eine Stimme in Karlsruhe haben die Kritiker ja schon.
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