Uneinigkeit der BFH-Senate: Bestehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge?

Mit einem am 2.11.2023 veröffentlichten Beschluss (BFH v. 16.10.2023 – V B 49/22 (AdV)) rückt der V. BFH-Senat von seiner bisherigen Ansicht ab und hat keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfassungsmäßigkeit verwirkter Säumniszuschläge, auch soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind. Der VIII. Senat (v. 22.9.2023 – VIII B 64/22 (AdV)) ist aber anderer Ansicht. Was ist bei so viel Uneinigkeit zu tun?

Hintergrund

Säumniszuschläge sind vom Steuerpflichtigen zusätzlich zur Steuer zu entrichtende steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO), wenn der Steuerpflichtige eine festgesetzte bzw. angemeldete Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet (§ 240 Abs. 1 S. 1 AO). Sie sind ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuern. Sie dienen dazu, den Steuerpflichtigen zur pünktlichen Zahlung anzuhalten. Sie stellen darüber hinaus eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und einen Ausgleich für angefallenen Verwaltungsaufwand dar. Seit der Entscheidung des BVerfG v. 8.7.2021 (1 BvR 2237/14; 2422/17) zur Verfassungswidrigkeit der Finanzamtszinsen (§233a; 238 AO) wird auch die Angemessenheit von Säumniszuschlägen in Zweifel gezogen.

Divergierende BFH-Entscheidungen häufen sich

Inzwischen gibt es in der jüngsten Vergangenheit mehrere divergierende BFH-Entscheidungen in Aussetzungsverfahren zum Säumniszuschlag.

Der VIII. Senat des BFH hat mit Beschluss vom 22.9.2023 (VIII B 64/22 (AdV)) noch ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge, die nach dem 31.12.2018 entstanden sind, bejaht und daher die Aussetzung der Vollziehung von Säumniszuschlägen gewährt. Bis dahin sah das auch der V. BFH-Senat so (BFH vom 23.5.2022 V B 4/22 (AdV)).

In zwei Hauptsacheverfahren hat der VII.Senat verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe des Säumniszuschlags verneint (BFH v. 23.8.2022 – VII R 21/21 und BFH v. 15.11.2022 – VII R 55/20). Am 26.10.2023 und 2.11.2023 wurden jetzt neue Entscheidungen des X. und V. BFH-Senats veröffentlicht, in denen verfassungsrechtliche Zweifel ab 2019 nunmehr verneint werden (BFH v. 13.9.2023 – X B 52/23 (AdV); BFH v. 16.10.2023 V B 49/22 (AdV)).

Der V. Senat des BFH macht eine Rolle rückwärts und verabschiedet sich von seinen Zweifeln, die er am 23.5.2022 noch geäußert hat. Er begründet das – im Anschluss an den VII.BFH-Senat – insbesondere damit, dass die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen nicht Haupt-, sondern nur Nebenzweck sei (BFHE 278, 403, BStBl II 2023, 621, Rz 23 und BFHE 278, 1, BStBl II 2023, 304, Rz 32 f.), und sich beim Säumniszuschlag kein konkreter Anteil bestimmen lasse, der als Zins behandelt werden könne. Das gelte – und das ist neu -auch um Säumniszuschläge für Entstehungszeiträume nach dem 31.12.2018.

Was sollten Steuerpflichtige in dieser Situation tun?

Bei einer derart divergierenden „summarischen Beurteilung“ der Rechtslage liegen  „ernstliche Zweifel“ iSd. § 69 Abs. 3 Satz 1 iVm. Abs. 2 Satz 2 FGO für eine Aussetzung der Vollziehung eigentlich auf der Hand. Dass die Mehrheit der BFH-Senate bislang dennoch die Aussetzung der Vollziehung versagt, ist in der Praxis kaum vermittelbar und klingt wenig einleuchtend.

Was sollten betroffene Steuerpflichtige bzw. deren steuerlichen Berater in dieser Unsicherheit also tun? Entsprechende Verfahren und Abrechnungsbescheide über Säumniszuschläge sind nach Möglichkeit offenzuhalten, bis die angesprochenen Rechtsfragen endgültig geklärt ist. Die Erfolgsaussichten für Anträge auf Aussetzung der Vollziehung sollte der BFH einheitlich beantworten – notfalls durch ein Machtwort des Großen Senats.

 

Verfassungsmäßigkeit gewerbesteuerrechtlicher Hinzurechnungen – auch Höhe des fiktiven Zinsanteils vom BFH abgesegnet

Mit Urteil vom 14. Juni 2018 (III R 35/15) hat sich der BFH wiederholt mit der Verfassungsmäßigkeit der gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen befasst.

Neu ist dabei, dass der BFH sich hier auch zur Verfassungskonformität der fiktiven Finanzierungsanteile in den Miet-, Pacht- und Lizenzaufwendungen geäußert hat. Obwohl inzwischen Bewegung in die Haltung des BFH zur Höhe der abgabenrechtlichen Nachzahlungs- und Erstattungszinsen gekommen ist, verweigert sich der BFH auf Ebene der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung dieser Diskussion.

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BFH: Schluss mit staatlichen Wucherzinsen!?

Die BFH-Entscheidung (Beschluss vom 25.04.2018, IX B 21/18) war ein Paukenschlag:
Das oberste Steuergericht Deutschlands zweifelt an der Verfassungsmäßigkeit von Nachzahlungszinsen für Zeiträume ab dem Jahr 2015, stoppt also die weit überhöhten Nachzahlungszinsen der Finanzverwaltung – wenn auch vorerst nur in einem AdV-Verfahren. Die obersten Finanzrichter haben schwerwiegende Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von §§ 233 a; 238 Abs. 1 S. 1 AO und dem dort gesetzlich festgelegten Zinssatz: Wenn Steuerzahler die vom Finanzamt gesetzte Frist zur Zahlung ihrer Steuern überschreiten, kassiert der Fiskus bei „Normalbürgern“ 0,5 %, bei Unternehmen sogar 1,0 % Zinsen – nicht im Jahr, sondern im Monat! In einem wirtschaftlichen Marktumfeld, in dem sich das tatsächliche Zinsniveau seit Jahren nahezu an der 0-Linie bewegt, wirken die gesetzlich festgesetzten Nachzahlungszinsen wie Wucher, ja wie eine auf die festgesetzte Steuer zusätzlich erhobene „Strafsteuer“.

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