Update: BFH bestätigt abermals die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Säumniszuschlags

Nach Ansicht des X. BFH-Senats (BFH v. 23.8.2023 – X R 30/21) bestehen gegen die gesetzliche Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 S. 1 AO auch für Zeiträume nach dem 31.12.2018 keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Andere BFH-Senate sind weiterhin anderer Ansicht.

Hintergrund

Säumniszuschläge sind vom Steuerpflichtigen zusätzlich zur Steuer zu entrichtende steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO), wenn der Steuerpflichtige eine festgesetzte bzw. angemeldete Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet (§ 240 Abs. 1 S. 1 AO). Sie sind ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuern. Sie dienen dazu, den Steuerpflichtigen zur pünktlichen Zahlung anzuhalten. Sie stellen darüber hinaus eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und einen Ausgleich für angefallenen Verwaltungsaufwand dar. Seit der Entscheidung des BVerfG v. 8.7.2021 (1 BvR 2237/14; 2422/17) zur Verfassungswidrigkeit der Finanzamtszinsen (§ 233a; 238 AO) wird auch die Angemessenheit von Säumniszuschlägen in Zweifel gezogen. Divergierende Entscheidungen der BFH-Senate häufen sich, ich hatte dazu bereits im November 2023 im Blog berichtet. Weiterlesen

Uneinigkeit der BFH-Senate: Bestehen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Säumniszuschläge?

Mit einem am 2.11.2023 veröffentlichten Beschluss (BFH v. 16.10.2023 – V B 49/22 (AdV)) rückt der V. BFH-Senat von seiner bisherigen Ansicht ab und hat keine ernstlichen Zweifel mehr an der Verfassungsmäßigkeit verwirkter Säumniszuschläge, auch soweit diese nach dem 31.12.2018 entstanden sind. Der VIII. Senat (v. 22.9.2023 – VIII B 64/22 (AdV)) ist aber anderer Ansicht. Was ist bei so viel Uneinigkeit zu tun?

Hintergrund

Säumniszuschläge sind vom Steuerpflichtigen zusätzlich zur Steuer zu entrichtende steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO), wenn der Steuerpflichtige eine festgesetzte bzw. angemeldete Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet (§ 240 Abs. 1 S. 1 AO). Sie sind ein Druckmittel zur Durchsetzung fälliger Steuern. Sie dienen dazu, den Steuerpflichtigen zur pünktlichen Zahlung anzuhalten. Sie stellen darüber hinaus eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung und einen Ausgleich für angefallenen Verwaltungsaufwand dar. Seit der Entscheidung des BVerfG v. 8.7.2021 (1 BvR 2237/14; 2422/17) zur Verfassungswidrigkeit der Finanzamtszinsen (§233a; 238 AO) wird auch die Angemessenheit von Säumniszuschlägen in Zweifel gezogen.

Divergierende BFH-Entscheidungen häufen sich

Inzwischen gibt es in der jüngsten Vergangenheit mehrere divergierende BFH-Entscheidungen in Aussetzungsverfahren zum Säumniszuschlag.

Der VIII. Senat des BFH hat mit Beschluss vom 22.9.2023 (VIII B 64/22 (AdV)) noch ernstliche verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge, die nach dem 31.12.2018 entstanden sind, bejaht und daher die Aussetzung der Vollziehung von Säumniszuschlägen gewährt. Bis dahin sah das auch der V. BFH-Senat so (BFH vom 23.5.2022 V B 4/22 (AdV)).

In zwei Hauptsacheverfahren hat der VII.Senat verfassungsrechtliche Zweifel an der Höhe des Säumniszuschlags verneint (BFH v. 23.8.2022 – VII R 21/21 und BFH v. 15.11.2022 – VII R 55/20). Am 26.10.2023 und 2.11.2023 wurden jetzt neue Entscheidungen des X. und V. BFH-Senats veröffentlicht, in denen verfassungsrechtliche Zweifel ab 2019 nunmehr verneint werden (BFH v. 13.9.2023 – X B 52/23 (AdV); BFH v. 16.10.2023 V B 49/22 (AdV)).

Der V. Senat des BFH macht eine Rolle rückwärts und verabschiedet sich von seinen Zweifeln, die er am 23.5.2022 noch geäußert hat. Er begründet das – im Anschluss an den VII.BFH-Senat – insbesondere damit, dass die Abschöpfung von Liquiditätsvorteilen nicht Haupt-, sondern nur Nebenzweck sei (BFHE 278, 403, BStBl II 2023, 621, Rz 23 und BFHE 278, 1, BStBl II 2023, 304, Rz 32 f.), und sich beim Säumniszuschlag kein konkreter Anteil bestimmen lasse, der als Zins behandelt werden könne. Das gelte – und das ist neu -auch um Säumniszuschläge für Entstehungszeiträume nach dem 31.12.2018.

Was sollten Steuerpflichtige in dieser Situation tun?

Bei einer derart divergierenden „summarischen Beurteilung“ der Rechtslage liegen  „ernstliche Zweifel“ iSd. § 69 Abs. 3 Satz 1 iVm. Abs. 2 Satz 2 FGO für eine Aussetzung der Vollziehung eigentlich auf der Hand. Dass die Mehrheit der BFH-Senate bislang dennoch die Aussetzung der Vollziehung versagt, ist in der Praxis kaum vermittelbar und klingt wenig einleuchtend.

Was sollten betroffene Steuerpflichtige bzw. deren steuerlichen Berater in dieser Unsicherheit also tun? Entsprechende Verfahren und Abrechnungsbescheide über Säumniszuschläge sind nach Möglichkeit offenzuhalten, bis die angesprochenen Rechtsfragen endgültig geklärt ist. Die Erfolgsaussichten für Anträge auf Aussetzung der Vollziehung sollte der BFH einheitlich beantworten – notfalls durch ein Machtwort des Großen Senats.

 

Höhe der Säumniszuschläge ist verfassungsgemäß

Nachdem das Bundesverfassungsgericht entschieden hatte, dass ein Zinssatz von 6 Prozent p.a. für Steuernachforderungen und -erstattungen seit dem 1.1.2014 verfassungswidrig ist und ab dem 1.1.2019 vermindert werden muss (was zwischenzeitlich geschehen ist), gab – und gibt es – es zunehmend Stimmen, die auch eine Senkung der anderen Zinsarten fordern (BVerfG-Beschluss vom 8.7.2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17). Auch die Höhe der Säumniszuschläge wurde vielfach für verfassungswidrig, zumindest für unangemessen gehalten. Allerdings erfüllen Säumniszuschläge gleich mehrere Funktionen:

  • Einerseits sollen sie den Zinsvorteil abschöpfen, den ein säumiger Steuerpflichtiger durch die verspätete Zahlung der Steuerschuld erlangt.
  • Andererseits sind sie ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung der Steuerschuld anhalten soll, sodass sie insoweit eine Art Zwangsmittel oder Strafe darstellen.
  • Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die den Finanzämtern dadurch entstehen, dass ein Steuerpflichtiger eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlt.

Nunmehr hat der BFH entschieden: Gegen die Höhe des Säumniszuschlags nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO bestehen auch bei einem strukturellen Niedrigzinsniveau keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BFH-Urteil vom 15.11.2022, VII R 55/20).

Die Begründung des BFH ist recht ausführlich. Letztlich ist aber von Bedeutung, dass der BFH in dem Strafcharakter der Säumniszuschläge den Hauptzweck und in der Verzinsung bzw. der Abschöpfung des Zinsvorteils nur den Nebenzweck sieht. Weiterlesen

Erlass von Säumniszuschlägen im Billigkeitsverfahren

Auch steuerliche Nebenleistung, wie die Säumniszuschläge nach § 240 AO, können Gegenstand eines Erlasses aufgrund der Regelung nach § 227 AO sein.

Dennoch wird insbesondere ein solcher Erlass im Billigkeitsverfahren nur gelingen, wenn den Steuerpflichtigen auch keine Schuld trifft. Zwar hat der BFH bereits mit Urteil vom 29.8.1991 (Az: V R 78/86) klargestellt, dass die Erhebung der vollen Säumniszuschläge eine unbillige Härte darstellen kann und somit der Erlass bzw. der teilweise Erlass der Säumniszuschläge im Billigkeitsverfahren gerechtfertigt ist. Weiterlesen

Bauchlandung der Bargeldretter

Anfang vergangenen Jahres berichtete ich über die Bargeldretter. Dabei ging es um die Barzahlung beim Finanzamt in dem Versuch, wegen der generellen Bargeldablehnung der Behörden eine zinslose Stundung zu erwirken. Nun hat das Hessische Finanzgericht einen Präzedenzfall geschaffen. Weiterlesen

Bei Gericht: Interessante Steuerstreitigkeiten im Mai 2017

Wie gewohnt an dieser Stelle wieder drei neue Anhängigkeiten beim Bundesfinanzhof im München. Diesmal geht es um den Abzug eines dem Erblasser entstandenen Verlusts, den Erlass von Säumniszuschlägen aufgrund sachlicher Unbilligkeit und der Frage, ob es für den Kindergeldbezug eines nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt zu behandelnden Menschen auf das Tätigwerden oder den Geldzufluss ankommt.  Weiterlesen