Neue EU-Richtlinie verschärft Produkthaftung – Worauf sich Unternehmen einstellen müssen

Am 8.12.2024 ist die neue EU-Produkthaftungs-RL (ProdHaftRL) in Kraft getreten, die von den Mitgliedstaaten bis spätestens 9.12.2026 umzusetzen ist. Damit entsteht ein neuer Rahmen für Schadenersatzansprüche für durch fehlerhafte Produkte verursachte Schäden. Was ist zu beachten?

Hintergrund der Produkthaftung

Wird ein fehlerhaftes Produkt (bewegliche Sache außer Arzneimittel) hergestellt, das zu einem Personen- oder Sachschaden, haftet der Hersteller des fehlerhaften Produkts (selbst bei sog. „Ausreißern“) und muss dem Geschädigten den Schaden ersetzen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Hersteller den Produktfehler verschuldet hat, da die Haftung unabhängig vom Verschulden des Herstellers eintritt (sog.  Gefährdungshaftung). Neben dem Produkthersteller haftet gesamtschuldnerisch auch der Importeur der Ware. Selbst der Händler kann zur Haftung herangezogen werden.

Grundlage der Produkthaftung ist das Produkthaftungsgesetz (v. 15.12.1989, BGBl 1989 I S. 2198), das auf Basis der EU-Produkthaftungs-RL aus dem Jahr 1985 (Richtlinie des Rates vom 26.7.1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (85/374/EWG) erlassen worden ist.

Neue EU-ProdHaftRL bis 9.12.2026 umzusetzen

Nach Zustimmung des EU-Rates am 23.10.2024 wurde am 18.11.2024 wurde die neue EU-Produkthaftungsrichtlinie 2024/2853 (im Folgenden „ProdHaftRL“) im EU-Amtsblatt veröffentlicht und ist nach Verkündung am 9.12.2024 in Kraft getreten. Die EU-Mitgliedstaaten haben nun bis zum 9.12.2026 Zeit, die neuen Vorschriften zur Produkthaftung in nationales Recht umzusetzen. Die bisherige Richtlinie 85/374/EWG wird mit Wirkung vom 9.12.2026 aufgehoben und durch die neue ProdHaftRL ersetzt. Mit der überarbeiteten Richtlinie werden die Vorschriften für die Entschädigung von Personenschäden, Sachschäden oder Datenverlusten modernisiert und verstärkt. Aus Sicht der Wirtschaft ist aber zu bedenken, dass die neue ProdHaftRL die verschuldensunabhängige Haftung mit einer Vielzahl neuer Risiken einseitig zu Lasten (produzierender) Unternehmen durch folgende Neuregeln verschärft:

  • Erweiterung von Produktbegriff und Fehlerbegriff: Neu ist, dass vom Produkt-Begriff auch digitale Konstruktionsunterlagen, Rohstoffe und Software (Art. 4 Nr. 1 Hs. 1 ProdHaftRL) erfasst werden.
  • Der Produktfehlerbegriff wird erweitert: Künftig wird die Fehlerhaftigkeit eines Produkts auch dadurch begründet, dass es nicht die Sicherheit bietet, die die „breite Öffentlichkeit“ erwarten darf. Die ProdHaftRL lässt leider offen, wann eine relevante Sicherheitslücke vorliegt.
  • Erweiterung der Haftungsverantwortlichen: Derzeit haftet in erster Linie nur der Hersteller, wobei dazu auch der sog. Quasi-Hersteller rechnet. Der Importeur wiederum haftet gemäß Art. 3 Abs. 2 RL 85/374/EWG wie ein Hersteller. Der Lieferant haftet hingegen nur subsidiär (Art. 3 Abs. 3 Richtlinie 85/374/EWG), wenn der Hersteller nicht festgestellt werden kann und er dem Geschädigten nicht innerhalb angemessener Zeit den Hersteller oder seinen Lieferanten nennen kann. Künftig zählen nach Art. 8 ProdHaftRL zu den haftenden Wirtschaftsakteuren der Bevollmächtigte, wenn der Hersteller des fehlerhaften Produkts außerhalb der EU niedergelassen ist (Art. 8 Abs. 1 lit. c) ii) ProdHaftRL) und der Fulfilment-Dienstleister, wenn der Hersteller des fehlerhaften Produkts außerhalb der EU niedergelassen ist und auch weder Importeur mit Sitz in der EU noch Bevollmächtigter vorhanden ist (Art. 8 Abs. 1 lit. c) iii) ProdHaftRL). Da die ProdHaftRL den Kreis der Haftungssubjekte also erheblich ausweitet, müssen gerade solche Unternehmen sich auf potenzielle Schadensersatzansprüche einstellen, die bislang nicht zu den typischen Haftungsschuldnern zählten.
  • Beweiserleichterungen für Geschädigte: Die Beweislast vor Gericht ändert sich durch Art. 10 ProdHaftRL zum Nachteil der Unternehmen. Bislang muss der Geschädigte den vollen Nachweis bringen für den Fehler, den Schaden, und die Ursächlichkeit zwischen Fehler und Schaden. Nach der neuen Regelung ist der Geschädigte im Prozess auch dann erfolgreich, wenn bloß wahrscheinlich ist, dass der Produktfehler den Schaden verursacht hat. Dies führt praktisch zu einer Beweislastumkehr zulasten des Unternehmers.

Was Unternehmen jetzt veranlassen sollten

Da die ProdHaftRL den Kreis der haftenden Wirtschaftsakteure erheblich ausweitet, sollten gerade solche Unternehmen sich auf potenzielle Schadensersatzansprüche einstellen, die bislang nicht zu den typischen Haftungsschuldnern gezählt haben (verändernde Hersteller, Bevollmächtigte des Herstellers, Fulfillment-Dienstleister, Betreiber von Online-Verkaufsplattformen). Gerade für Unternehmen, die smarte Produkte oder KI-Systeme entwickeln oder vertreiben ist die uneingeschränkte Erweiterung der Produkthaftung auf Software-Produkte und die Erweiterung des Fehlerbegriffs von großer Relevanz.

Für alle Unternehmen werden sich insbesondere die neuen prozessualen Pflichten und Risiken auswirken. Die Offenlegungspflicht wird weitreichende Konsequenzen für die Erfolgsaussichten von Haftungsprozessen haben, da sie praktisch zu einer Quasi-Beweislastumkehr führt. Der Anspruchsteller muss ggf. nur noch die Plausibilität seines Anspruchs nachweisen. Unternehmen sollten deshalb ihre Dokumentationsprozesse anpassen, um bei Offenlegung im Haftungsfall nicht ungewollt Geschäftsgeheimnisse preiszugeben.

Bislang schließen überwiegend Endhersteller eine Produkthaftpflichtversicherung ab. Nach der neuen ProdHaftRL sollten jetzt auch die „neuen“ haftenden Wirtschaftsakteure, z.B. die Hersteller von Komponenten, wie Hersteller von Microchips, das Risiko des Endprodukts versichern. Unternehmen, die bislang mangels Haftungsrisiko ohne Versicherungsschutz ausgekommen sind, sollten den Abschluss einer Produkthaftpflichtversicherung prüfen.

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