Gesetzgebung 2021 – alles gut oder ein Flecken auf der Demokratie?

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat zuletzt mehrfach in Interviews herausgehoben, dass sich die Demokratie in der Pandemiezeit als sehr wehrhaft gezeigt hat und Bundestag und Bundesregierung jederzeit handlungsfähig waren. Auch hat er darauf hingewiesen, dass die Abgeordneten ihre Aufgabe im repräsentativen System stets wahrgenommen hätten.

Ich möchte Herrn Schäuble nicht im Grundsatz, aber doch im Detail widersprechen. Zugegebenermaßen habe ich nur die Steuergesetzgebung und die angrenzende Gesetzgebung in Wirtschaftsfragen im Blick. Doch hier ist meines Erachtens viel im Argen geblieben.

So haben mir Vertreter zahlreicher Verbände zu erkennen gegeben, dass sie den Eindruck hatten, aus bestimmten Gesetzgebungsverfahren bewusst herausgehalten worden zu sein, damit von vornherein Kritik unterbunden wurde. Oder Gesetzesvorlagen im Umfang von hundert Seiten und mehr wurden den Verbänden nachmittags zugeleitet mit der Bitte, dazu am anderen Morgen bis um 8.00 Uhr Stellung zu nehmen.

Ich selbst habe übrigens unzählige Male versucht, mit einem Bundestagsabgeordneten meines Wahlkreises Kontakt aufzunehmen, um mit ihm eine Passage eines bestimmten Gesetzesvorhabens zu erörtern. Weiterlesen

Aufreger des Monats Mai: Ein (Steuer-)Gesetzgeber außer Rand und Band

Wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen verfolge ich aufmerksam die NWB Nachrichten und den NWB Reform-Radar sowie die Verlautbarungen des Steuerberaterverbandes und anderer Institutionen. Wenn ich allein die Nachrichten der vergangenen Tage über die geplanten Steueränderungen betrachte, erschaudere ich. Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz, Gesetz zur Abwehr von Steuervermeidung, Abzugsteuerentlastungsmodernisierungsgesetz, Fondsstandortgesetz, Gesetz zur Modernisierung des Körperschaftsteuerrechts, Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes – die Aufzählung ist nicht vollständig.

Hinzu kommt die – weitestgehend – zum 1. Juli 2021 in Kraft tretende Zweite Stufe des Mehrwertsteuer-Digitalpakets. Die gesetzlichen Änderungen laut Regierungsentwurf samt Begründung umfassen rund 80 Seiten; das zugehörige BMF-Schreiben hat eine Länge von 35 Seiten.

Des Weiteren sind die Änderungen von drei Corona-Steuerhilfegesetzen, des Gesetzes zur weiteren steuerlichen Förderung der Elektromobilität und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften („Jahressteuergesetz 2019“), des Dritten Gesetzes zur Entlastung insbesondere der mittelständischen Wirtschaft von Bürokratie, des Gesetzes zur Umsetzung des Klimaschutzprogramms 2030 im Steuerrecht, des „Jahressteuergesetzes 2020“, des Behinderten-Pauschbetragsgesetzes und des Zweiten Familienentlastungsgesetzes zu beachten. Ganz zu schweigen von dem „Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019“.

Auch diese Aufzählung ist nicht vollständig, denn wir haben zum Beispiel noch das Forschungszulagengesetz sowie weitere Gesetzesänderungen, etwa im Bereich der Sozialversicherung, des Wohnungseigentumsrechts und der Erneuerbaren Energien, die ins Steuerrecht hineinstrahlen. Wohlgemerkt sind die genannten Gesetzesänderungen innerhalb von etwa eineinhalb bis zwei Jahren beschlossen worden oder werden in Kürze beschlossen.

Auf die stündlich wechselnden FAQs zu den Überbrückungshilfen will ich erst gar nicht eingehen. Das wäre ein Thema für sich.

Ich habe die Seiten der Bundestags- und Bundesratsdrucksachen nicht gezählt, aber ausgedruckt dürften sie die Tausender-Grenze überschritten haben. Ärgerlich ist, dass die Gesetze fast immer auch Änderungen transportieren, auf die der Titel nicht schließen lässt. Wenn es „Gesetz zur Stärkung des Fondsstandorts Deutschland“ heißt, geht man vielleicht noch davon aus, dass die Fondsbesteuerung neu geregelt wird, nicht aber zwingend wichtige lohnsteuerliche Vorschriften. Übrigens, nur am Rande: Selbst wenn Sie die in dem Gesetz geplanten lohnsteuerlichen Vergünstigungen freudig zur Kenntnis nehmen, sollten Sie beachten, dass diese (teilweise) nicht ins Sozialversicherungsrecht übernommen werden. Da will der Gesetzgeber einen kleinen Stolperstein für uns Berater einbauen. Wo kämen wir denn auch hin, wenn das Lohnsteuer- und das Sozialversicherungsrecht hier gleichlaufen würden? Einfach kann jeder; nur große Geister beherrschen das Chaos.

Um es auf den Punkt zu bringen: Der steuerliche Gesetzgeber hat jegliches Augenmaß verloren und entfernt sich von der Praxis mit Lichtgeschwindigkeit. Dabei sind nicht nur die Steuerpflichtigen und ihre Berater, sondern auch die Mitarbeiter der Finanzverwaltung die Leidtragenden. Sprechen Sie einmal mit Leuten, die in den Rechenzentren arbeiten oder die die jeweiligen Steuervordrucke für das kommende Jahr erarbeiten müssen. Und ich nehme an, dass es nach der Bundestagswahl mit steuerlichen Änderungen erst so richtig losgeht. Langweilig wird es jedenfalls nicht.

Ach, fast hätte ich es vergessen: Bitte beachten Sie auch das Vierte Gesetz zur Änderung des Seefischereigesetzes mit der Ausweitung des zeitlichen Rahmens für kurzfristige Beschäftigung. Wohlgemerkt geht es in dem Gesetz nicht nur um die Seefischerei. Wäre ja noch schöner.


Lesen Sie hierzu auch die Fortsetzung, die morgen (11.05.2021) um 7 Uhr erscheint:
https://www.nwb-experten-blog.de/aufreger-des-monats-mai-ich-lege-nach/

 

Das Jahressteuergesetz 2020 und die Anwendungszeitpunkte – da zerlegt es selbst den Finanzausschuss

Zum Jahreswechsel 2020/2021 hat uns der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2020 „beglückt“. In diesem Blog, aber natürlich auch in den verschiedenen Fachzeitschriften, sind viele der Neuerungen vorgestellt worden. Alle Änderungen in der Praxis zu „verarbeiten“, ist schon schwierig genug. Den erstmaligen Anwendungszeitpunkt der jeweiligen Änderung herauszufinden ist aber erst recht mühsam. Der Gesetzgeber hat es geschafft, in einem einzigen Gesetz die Anwendungszeitpunkte 1.1.2020, 1.1.2021, 1.7.2021, 1.1.2022 und „mit Verkündung des Gesetzes“ unterzubringen. Möglicherweise sind es noch mehr – ich weiß es nicht.

Jedenfalls stelle ich fest, dass es mich derzeit bei der Feststellung des richtigen bzw. erstmaligen Anwendungszeitpunktes „zerreißt“. Und selbst die erfahrensten Kolleginnen und Kollegen und auch die Mitglieder des Finanzausschusses werden dem Geschehen nicht mehr Herr. Eine kleine Kostprobe: Weiterlesen

Aufreger des Monats Juni: Das Ende des föderalen Systems im Steuerrecht

Ich bin ein großer Anhänger unseres parlamentarischen und föderalen Systems. Zwar bin ich nicht mit allem einverstanden, was in Bundestag und Bundesrat verabschiedet wird, aber das gehört halt zur Demokratie dazu. Derzeit habe ich indes den Eindruck, dass sowohl das parlamentarische also auch das föderale System bei der Verabschiedung von steuerlichen Gesetzen aus den Fugen geraten sind. Die handelnden Politiker, allen voran Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, betonen zwar, dass wir derzeit quasi vielmehr eine Sternstunde der Demokratie erleben, doch ich bin anderer Meinung. Weiterlesen

Keine Kleinbetragsrechnung bis 200 Euro

Im Sommer 2016 überraschte die Bundesregierung mit dem Vorschlag, den umsatzsteuerlichen Schwellenwert für Kleinbetragsrechnungen von 150 € auf 200 € anzuheben. Seit dem zieht sich der Gesetzgebungsprozess etwas. Es überrascht, dass kaum ablehnende Stimmen zu hören sind.

Vielmehr hatten sich in der öffentlichen Anhörung die Lobbyisten Sachverständigen dafür ausgesprochen, eine noch weitergehende Anhebung auf 300 € oder sogar 400 € vorzunehmen. Besonders plump ist dabei das Argument, dass schließlich auch andere Mitgliedstaaten so verfahren würden. Das ist zwar nicht völlig unzutreffend. Nur wird gern unterschlagen, dass ausschließlich Österreich den Handlungsspielraum der EU-Richtlinie vorbehaltlos ausreizt. Österreich! Ich habe hier im Blog ja schon öfter dargestellt, dass unsere Alpennachbarn schlicht schlauere Umsatzsteuergesetze machen als wir. Aber dieser Regelung ist keine Vorbildfunktion zuzumessen. Weiterlesen