In zwei neuen Urteilen hat sich der BFH abermals zu den Finanzamtszinsen (§ 233 ff. AO) zu Wort gemeldet. Ein kurzer Überblick:
Hintergrund
Ich habe in meinen Blogs schon seit geraumer Zeit über die (berechtigte) Kritik an der Höhe der Finanzamtszinsen berichtet. Der Zinssatz von 0,5 Prozent im Monat (6 Prozent im Jahr) nach § 238 AO ist seit 50 Jahren unverändert. Er ist nicht mehr annähernd marktgerecht, weil er sich deutlich über dem tatsächlichem Zinsniveau bewegt. Das beschäftigt zwar seit geraumer Zeit Finanzgerichte und Finanzpolitik – jedoch bislang ohne greifbare Wirkung oder gar Änderung des Gesetzes. Demnächst will das BVerfG über die Höhe der Finanzamtszinsen (§ 238 AO) entscheiden.
BFH zu Hinterziehungszinsen und Erlass von Nachzahlungszinsen
In zwei aktuellen Urteilen hat der BFH wichtige praxisrelevante Fragen zum Zinslauf bei Hinterziehungszinsen sowie zum Erlass von Nachzahlungszinsen Stellung genommen:
Hinterziehungszinsen bei der Schenkungsteuer (BFH v. 28.8.2019 – II R 7/17):
Gemäß § 235 Abs. 1 S. 1 AO sind hinterzogene Steuern zu verzinsen, und zwar unverändert mit 6 Prozent/Jahr (§ 238 AO). § 235 AO soll dem Nutznießer einer Steuerhinterziehung den durch die Tat erlangten Vorteil, dass er die gesetzlich entstandene Steuer erst zu einem späteren Zeitpunkt zahlen muss, wieder entziehen und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherstellen – das ist recht und billig. Jetzt hat der BFH klargestellt:
- Der Lauf der Hinterziehungszinsen beginnt grundsätzlich u.a. mit dem Eintritt der Verkürzung (§ 235 Abs. 2 S. 1 Hs. 1 AO), also mit der Tatvollendung. Jetzt hat der BFH entschieden: Für den Eintritt der Steuerverkürzung ist bei der Schenkungsteuer als stichtagsbezogener Steuer der Zeitpunkt maßgebend, zu dem das FA bei ordnungsgemäßer Anzeige und Abgabe der Steuererklärung die Steuer festgesetzt hätte.
- Dabei kann der Zeitpunkt für den Beginn des Zinslaufs unter Berücksichtigung der Anzeigefrist beim FA gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG von drei Monaten, eine – nach § 31 Abs. 1 S. 2 und Abs. 7 ErbStG mindestens vom FA zu gewährende – Erklärungsfrist von einem Monat und – zusätzlich – der beim zuständigen FA durchschnittlich erforderlichen Zeit für die Bearbeitung eingegangener Schenkungsteuererklärungen bestimmt werden.
Erlass von Nachzahlungszinsen (BFH v. 3.12.2019 – VIII R 25/17):
Das zweite BFH-Urteil betrifft Billigkeitsmaßnahmen im Zusammenhang mit Zinsen gem. § 233a AO, der selbst keine ausdrückliche Billigkeitsregelung enthält. Dennoch sind die §§ 163, 227 AO allgemein auch auf Nachzahlungszinsen anwendbar, so der BFH. Dabei gilt:
- Mit Blick auf den Sinn und Zweck der Nachzahlungszinsen (§ 233 a AO) ist für einen Ausgleich in Form einer Verzinsung nach BFH-Sicht dann kein Raum, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Steuerpflichtige keinen (Zins-)Vorteil erlangt hatte. Denn die Verzinsungsregelung in § 233a AO bezweckt einen typisierten Ausgleich für die Liquiditätsverschiebungen, die aus dem individuell sehr unterschiedlichen Verlauf des Besteuerungsverfahrens entstehen können.
- In einem solchen Fall kommt deshalb – nach Abschluss des Veranlagungsverfahrens – ein Erlass (§ 227 AO) wegen „sachlicher Unbilligkeit“ in Betracht. „Sachliche Unbilligkeit“ ist anzunehmen, wenn ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, seine Geltendmachung aber mit dem Zweck des Gesetzes nicht oder nicht mehr zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft.
- Gleiches gilt für den Fall, wenn der Steuerpflichtige vor Festsetzung der Steuer im Veranlagungsverfahren freiwillige Leistungen auf die erwartete Steuerschuld erbringt und das FA diese Leistungen angenommen und behalten hat. Da aufgrund des Prinzips der Soll-Verzinsung die freiwilligen Leistungen bei der Zinsberechnung und -festsetzung unberücksichtigt bleiben, ist der Steuerpflichtige in einem solchen Fall auf den Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen verwiesen. Hierbei gilt aber: Allein aufgrund einer verspäteten Steuerfestsetzung durch die Finanzbehörde besteht kein Anspruch des Steuerpflichtigen auf Erlass der entstandenen Nachzahlungszinsen wegen sachlicher Unbilligkeit.
Eine verzögerte Bearbeitung des Steuerfalles durch das FA ist deshalb für sich genommen nicht geeignet, eine abweichende Zinsfestsetzung aus Billigkeitsgründen zu begründen. Im Streitfall rechtfertigte die Bearbeitungszeit von 13 Monaten für sich betrachtet daher keinen Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen, weil 233a AO typisierend von einer Bearbeitungsdauer von 15 Monaten ausgeht und diese nicht überschritten wurde. Hiergegen ist nichts einzuwenden.
- Wichtig: Einwendungen des Steuerzahlers gegen die Höhe des Zinssatzes rechtfertigen keinen Erlass der Nachzahlungszinsen aus Billigkeitsgründen! Denn solche Einwendungen sind vorrangig im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Zinsfestsetzung im Veranlagungsverfahren und nicht erst im Erlassverfahren geltend zu machen. Wem also die Zinshöhe nicht „schmeckt“, muss sich bereits rühren, wenn der Veranlagungsbescheid noch anfechtbar ist.
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