Beschränkung der betragsmäßigen Verlustverrechnung bei Termingeschäften – auch der BFH hat ernsthafte Zweifel

Anfang Februar hatte ich bereits darauf hingewiesen, dass das FG Rheinland-Pfalz in einem AdV-Verfahren Bedenken gegen die betragsmäßige Beschränkung der Verlustverrechnung bei Termingeschäften geäußert hat (FG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.12.2023, 1 V 1674/23). Soeben hat der BFH diese Bedenken geteilt und der AdV ebenfalls entsprochen. Der BFH hält die betragsmäßige Beschränkung der Verlustverrechnung für verfassungswidrig (BFH-Beschluss vom 7.6.2024, VIII B 113/23 (AdV)).

Zum Hintergrund

Zum 1.1.2021 wurde mit § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG (i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2020) geregelt, dass Verluste aus Termingeschäften nur mit maximal 20.000 Euro pro Jahr mit Gewinnen aus anderen Termingeschäften oder Stillhalterprämien verrechnet werden können. Nicht verrechnete Verluste können auf Folgejahre vorgetragen werden und jeweils auch nur in Höhe von maximal 20.000 Euro verrechnet werden. Wer mit seinen Termingeschäften also nur ein einziges Mal „richtig danebenlag“, muss schon extrem alt werden und jahrzehntelang Gewinne erzielen, um die vollständige Verrechnung des Verlustes erleben zu können.

Der Sachverhalt

Ein Steuerpflichtiger erklärte in 2021 Kapitalerträge aus Termingeschäften in Höhe von 250.631 Euro und Verluste aus entsprechenden Geschäften in Höhe von 227.289 Euro. Das Finanzamt verrechnete die laufenden Verluste aus Termingeschäften nur in Höhe von 20.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften. Die noch nicht verrechneten laufenden Verluste in Höhe von 207.289 Euro berücksichtigte es lediglich in der Verlustfeststellung. Hiergegen wandte sich der Steuerpflichtige und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Weiterlesen

Beschränkung der betragsmäßigen Verlustverrechnung bei Termingeschäften – FG hat ernsthafte Zweifel

Verluste aus (gewissen) Kapitalanlagen sind aus Sicht des Fiskus Teufelszeug und sollen nach Möglichkeit nur eingeschränkt verrechnet werden können. Das hält die Finanzverwaltung selbstredend nicht davon ab, Gewinne vollumfänglich zu besteuern. Dieses Ungleichgewicht ist zum 1.1.2021 noch einmal verschärft worden, indem mit § 20 Abs. 6 Satz 5 geregelt wurde, dass Verluste aus Termingeschäften nur mit maximal 20.000 Euro pro Jahr mit Gewinnen aus anderen Termingeschäften oder Stillhalterprämien verrechnet werden können. Nicht verrechnete Verluste können auf Folgejahre vorgetragen werden und jeweils auch nur in Höhe von maximal 20.000 Euro verrechnet werden. Wer mit seinen Termingeschäften also nur ein einziges Mal „richtig danebenlag“, muss schon extrem alt werden und jahrzehntelang Gewinne erzielen, um die vollständige Verrechnung des Verlustes erleben zu können.

Das FG Rheinland-Pfalz hat jetzt in einem AdV-Verfahren Bedenken gegen die betragsmäßige Beschränkung der Verlustverrechnung geäußert (FG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 05.12.2023, 1 V 1674/23).

Der Sachverhalt:

Ein Steuerpflichtiger erklärte in 2021 Kapitalerträge aus Termingeschäften in Höhe von 250.631 Euro und Verluste aus entsprechenden Geschäften in Höhe von 227.289 Euro. Das Finanzamt verrechnete die laufenden Verluste aus Termingeschäften nur in Höhe von 20.000 Euro mit Gewinnen aus Termingeschäften. Die noch nicht verrechneten laufenden Verluste in Höhe von 207.289 Euro berücksichtigte es lediglich in der Verlustfeststellung. Hiergegen wandte sich der Steuerpflichtige und beantragte die Aussetzung der Vollziehung. Die Beschränkung der Verrechnung von Gewinnen und Verlusten aus Termingeschäften hielt er für unzulässig. Er wies darauf hin, dass vom Bundesverfassungsgericht derzeit ohnehin geprüft werde, ob die Beschränkung der Verlustverrechnung für Aktienverluste rechtens ist (2 BvL 3/21). Die Entscheidung werde präjudizierend auch für die Verrechnung von Verlusten aus Termingeschäften sein. Das FG gab dem AdV-Antrag statt.

Die Begründung:

Das FG habe nach vorläufiger Prüfung ernstliche Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung gemäß § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des JStG 2020. Die Vorschrift bewirke, dass Verluste aus Termingeschäften zwar nicht generell versagt, jedoch nur bei (späteren) Gewinnen aus Termingeschäften bzw. Stillhalterprämien und dann nur zeitlich gestreckt abgezogen werden dürfen. Die Vorschrift behandele damit Steuerpflichtige bei der Bestimmung ihrer steuerpflichtigen Einkünfte unterschiedlich, je nachdem, ob sie Verluste aus Termingeschäften oder anderen Kapitalanlagen haben. Für diese Ungleichbehandlung fehle es an einem sachlichen Rechtfertigungsgrund. Dass es mehr oder weniger risikoreiche Kapitalanlagen gibt, rechtfertige noch nicht eine Verlustverrechnungsbeschränkung. Diese gehe mit der Gefahr einher, dass eine Verlustberücksichtigung faktisch ganz ausgeschlossen sein kann.

Denkanstoß:

Die Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus. Auch hat das AdV-Verfahren bereits den BFH erreicht, denn die Beschwerde wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen (Az. VIII B 113/23). Jedenfalls zeigt die Entscheidung, dass die – betragsmäßige – Beschränkung der Verlustverrechnung zweifelhaft ist. Entsprechende Fälle sollten daher bis auf Weiteres offen gehalten werden.

Markt- und systemwidrige Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen?

Immer wieder kommen Spekulationen darüber auf, ob die Einkünfte aus Kapitalvermögen in Deutschland nicht hoch genug besteuert werden und ob Anpassungsbedarf nach oben bestünde. Andererseits wird bei der recht unabhängig von Gesetzen und Prinzipien nur emotional geführten Debatte überhaupt nicht berücksichtigt, dass bei den Einkünften aus Kapitalvermögen die Verrechnungsmöglichkeiten mit Verlusten, die es bei jeder Einkunftsart leider faktisch nun gibt, doch stark in Deutschland eingeschränkt sind.

Sogar der Bundesfinanzhof (v. 17.11.2020, VIII R 11/18) hat diese Regelung für verfassungswidrig erachtet und die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Verluste aus der Veräußerung von Aktien dürfen nur mit Gewinnen aus Aktienverkäufen verrechnet werden, sofern diese im privaten Bereich erzielt werden. 2008 wurde dies mit dem Unternehmenssteuerreformgesetz im Rahmen der Besteuerung der Kapitalanlagen neu geregelt.

Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz?

Der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs hat dem Bundesverfassungsgericht die Frage zu dem einzelnen Punkt vorgelegt, ob es mit dem Grundgesetz vereinbar ist, dass nach § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i.d.F. des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 vom 14.08.2007 (BGBl I 2007 S. 1912) Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur wiederum mit Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien und nicht mit sonstigen positiven Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen. Im Streitfall hatte der Kläger aus der Veräußerung von Aktien ausschließlich Verluste erzielt. Er beantragte, diese Verluste mit seinen sonstigen Einkünften aus Kapitalvermögen, die nicht aus Aktienveräußerungsgewinnen bestanden, zu verrechnen. Das FA lehnte dies ab. Es stellen sich Fragen Geichheitsgrundsatzes u. a, weil es bei der Veräusserung anderer Kapitalanlagen als speziell Aktien nicht zu diesen speziellen Beschränkungen kommt.

Die entsprechende Beschränkung ergibt sich aus § 20 Abs. 6 S. 4 EStG. Dies führt zu der marktwidrigen Situation, dass ein privater Anleger nicht Dividenden und Zinsen mit Verlusten aus getätigten Aktienveräußerungen unter dem Einstandswert verrechnen kann. Ist eine Berücksichtigung der Verluste in einem Veranlagungsjahr nicht möglich, werden die Verluste aus Aktien vorgetragen, bis der Anleger entsprechende Gewinne aus Aktiengeschäften realisiert.

Dafür werden entsprechende Verlustverrechnungstöpfe bei den Depotbanken und später beim Finanzamt geführt. Ferner ist eine Besonderheit im deutschen Steuerrecht, dass Verluste aus Kapitalvermögen ausschließlich mit Gewinnen aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen, aber nicht mit anderen Einkünften, z.B. Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft oder Gewerbebetrieb – oder gar aus einer Angestelltentätigkeit. In den anderen Einkunftsarten ist es aber nicht so, dass derartige gravierende und zahlreiche Einschränkungen für Verluste bestehen.

Es ist deshalb fraglich, warum ausgerechnet bei der Einkunftsrealisierung im Rahmen von Kapitalvermögen steuerliche Besonderheiten bei mit erheblichen Risiken behafteten wirtschaftlichem Handeln an den Märkten bestehen sollen.

Bei Termingeschäften ist es steuerlich noch extremer

Dort dürfen Verluste aus diesen Geschäften nur mit Gewinnen aus Termingeschäften verrechnet werden. Darüber hinaus gibt es dort eine Regelung, dass eine Verrechnung von Verlusten lediglich auf 20.000 € im Jahr möglich ist. Inwieweit hier Änderungen vom Bundesverfassungsgericht auf diesen Themenkreis erfolgen, bleibt abzuwarten. Andererseits hat das Bundesfinanzministerium ein BMF-Schreiben veröffentlicht, wonach Zertifikate und  Optionsscheine nicht unter die genannte Regelung fallen (BMF v. 19.05.2022 – IV C 1 – S 2252/19/10003 :009). Dort gilt also auch nicht die Höchstgrenze von 20.000 € im Jahr.

Auch der gesamte Verfall von Wirtschaftsgütern, wie z.B. Aktien und Forderungen, wie es z.B. im Fall Wirecard (Dax-Konzern in Insolvenz) oder bei dem Zusammenbruch der zweitgrößten Krypto-Börsenplattform (FTX) in den USA massenhaft der Fall war, sieht das deutsche Einkommensteuerrecht seit 2020 vor, dass sie lediglich i.H. v. 20.000 € im Jahr mit Einkünften aus Kapitalvermögen (wie z.B. Zinsen und Dividenden) verrechnet werden können. § 20 VI 6 EStG bestimmt insoweit, dass Verluste aus Kapitalvermögen aus der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung, aus der Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter im Sinne des Absatzes 1, aus der Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter im Sinne des Absatzes 1 auf einen Dritten oder aus einem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern im Sinne des Absatzes 1, nur in Höhe von 20 000 Euro mit Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden dürfen.

Gerechte und leistungsgerechte Besteuerung?

Steht all dies mit Gerechtigkeitserwägungen und leistungsgerechter Besteuerung nach allgemeinem Steuerrecht noch in Einklang? Ist diese Besteuerung beim Kapitalvermögen mit den allgemeinen Grundsätzen überhaupt vereinbar? Dies auch vor dem Hintergrund der derzeitigen Inflation (= Geldentwertung)?

Die Bemessungsgrundlage für jede Art der Einkommensteuer hat die steuerliche Leistungsfähigkeit möglichst richtig zu messen und soll das für die Steuerzahlung disponible Einkommen möglichst richtig ausweisen. Normalerweise gilt das Prinzip der reinen Einkünfte unter Berücksichtigung von Verlusten (sogenanntes objektives Nettoprinzip).

Besteuert werden soll dasjenige, was am Markt tatsächlich in der jeweiligen Einkunftsart (sogenanntes Marktprinzip) verdient wurde. Die Summe der Einkünfte sollte einig das Einkommen im ökonomischen Sinne umfassen (vgl. DStZ 2005, 564). Grundsätzlich geht es immer um ein Markteinkommen. Dieses ist unter allen Sachverhaltselementen stets zu ermitteln. Man hat sich für sieben Einkunftsarten entschieden (§ 2 EStG). Bei den Einkünften aus Kapitalvermögen hat man sich für Überschusseinkünfte entschieden, da man immer schon wusste, dass es Gewinne und Verluste bei der Kapitalanlage geben kann. Besteuert werden sollte doch nur das wirtschaftliche Ergebnis einer Erwerbstätigkeit, hier das Erzielen von Einkünften am Kapitalmarkt.

Objektives Netto-Prinzip

Wenn jede unternehmerische Tätigkeit, in beinahe jeder Einkunftsart, immer mit Einnahmen und Ausgaben sowie mit Verlusten verbunden ist oder verbunden sein kann, so gebietet doch das objektive Netto-Prinzip die uneingeschränkte Berücksichtigung von Erwerbsaufwendungen, folglich auch der erzielten Verluste. Das objektive Netto-Prinzip bedeutet im Wesentlichen, dass Verluste auch die Bemessungsgrundlage vom Grundsatz mindern müssen, gerade auch in dem Jahr, in dem sie anfallen. Zwar gibt es auch bei anderen Einkunftsarten spezielle Vorschriften betreffend der Einkünfte und entsprechende punktuelle Abzugsverbote. Die Intention, Steuermehreinnahmen zu erwirtschaften bzw. Steuermindereinnahmen zu verhindern, ist jedoch zur Rechtfertigung der Durchbrechung des Nettoprinzips per se ungeeignet. Stets muss auch die leistungsfähigkeitskonforme Besteuerung, gerade auch bei privaten Anlegern, im Vordergrund stehen.

Es kann in einzelnen Fällen die Frage schwierig sein, wenn im Einzelfall ein Verlust „final“ wird (vgl. dazu u.a. BFH Urteil v. 22.08.2012 – I R 9/11). Manchmal verharren nach Negativmeldungen Aktienwerte monatelang noch im Penny-Stock-Bereich. Teilweise wurde versucht, dies durch eine bankseitige Depot -Ausbuchung zu belegen. Letztlich geht es aber auch um das Verhältnismäßigkeitsprinzip und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, wenn man das Wirtschaften bei den Einkünften aus Kapitalvermögen einer gerechte (re)n Besteuerung unterziehen will.

Derzeitige Ungereimtheiten

Wenn Gewinne und Dividenden immer im selben Jahr gleich an der Quelle besteuert werden sollen, Verluste aber sehr viel später und unter Unwägbarkeiten (etwaige künftige Gewinne) zum Tragen kommen, liegt wertungsmäßig eine Asymmetrie vor, die bei den Einkunftsarten ihresgleichen sucht. Auch das Prinzip gegenwartsnaher Besteuerung sagt nicht aus, dass man nur Gewinne sofort besteuert und Verluste „irgendwann“ einmal berücksichtigt. Es geht bei unternehmerischem Handeln und Eingehen von Risiken auch um Liquiditäts- und Wirtschaftlichkeitsfragen.

Vielmehr bedeutet dies, dass das Prinzip gegenwartsnaher Besteuerung nicht nur einseitig für positive Erfolgsbeiträge zur Anwendung gebracht werden darf. Das objektive Nettoprinzip muss in jedem Veranlagungszeitraum insgesamt erfüllt sein.

Zukunftsaussichten und Fazit

Sollte deshalb bei der anfänglich geschilderten Debatte einer etwaigen höheren Besteuerung von Kapitalvermögen dieses Thema der gegenwärtigen umfassenden Verlust- und Verrechnungsbeschränkungen nicht gleichzeitig  angegangen werden, wäre eine neue Regelung der Gesetzgebungsorgane im Inland insgesamt als verfassungswidrig zu beurteilen, weil dann einerseits die Gewinne im selben Jahr noch höher – und zwar sofort durch eingeschaltete private Depotbanken – quellenbesteuert werden und Verluste in allen Richtungen und auch grenzüberschreitend im Grunde weitgehend für private Anleger geblockt sind.

Beachtet man auch den allgemeinen Gleichheitssatz und die Freiheitsrechte so ist die Einkommensteuer die falsche Steuer, um das generelle Steueraufkommen vom in wechselhaften Konjunkturphasen unterschiedlichen Konjunkturverlauf abzukoppeln, man könnte auch sagen, der Wirtschafts- und Geschäftsjahrverlauf muss insgesamt, d.h. ganzheitlich, betrachtet werden, bei jeder Einkunftsart.

Auf eine in irgendeinem Punkt positive Anleger-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kann nur gehofft werden, wenn dort auch nur ein Teilaspekt der ganzen Problematik gestreift werden sollte. Jedenfalls wäre bei einer geänderten zeitnahen Verlustberücksichtigung im Wege Gesetzes weder missbräuchliche Gestaltungen zu befürchten, noch wäre die bisherige Regelung wegen außerfiskalischer Förderungs- und Lenkungsziele zu rechtfertigen. Es geht letztlich auch um die Unversehrtheit des (Aktien-)Eigentumsrecht (Freiheitsrecht) der Anleger (garantiert in Art. 14 GG) sowie letztlich allein um gerechte Besteuerung innerhalb der Einkunftsart nach allgemeinen Steuergrundsätzen.

Müssen Genossenschaftsmitglieder Mietminderungen versteuern?

Im Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen gibt es fast 2.000 Baugenossenschaften, die rund 2,2 Millionen Wohnungen verwalten. Der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband schätzt, dass mehr als 5 Millionen Menschen in einer Genossenschaftswohnung leben (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Wohnungsbaugenossenschaft)

Insofern dürfte die folgende Information viele Wohnungsbaugenossenschaften und deren Mitglieder aufhorchen lassen: Das Finanzgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden, dass eine Mietminderung, die eine Wohnungsbaugenossenschaft ihren Mitglieder anstelle einer Gewinnberechtigung gewährt, als Kapitalertrag zu versteuern ist (Urteil vom 15.6.2021, 9 K 9068/20). Dies beruhe auf dem Zusammenspiel von § 20 Abs. 3 und § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Weiterlesen

Ausgleichsbeschränkung bei Aktienverlusten und die Tücke mit dem Vorläufigkeitsvermerk

Traue niemals einem Vorläufigkeitsvermerk – so lautete die Überschrift eines meiner Blog-Beiträge aus dem Jahre 2019. Ich wollte sie nicht einfach wiederholen, doch passt sie meines Erachtens gut auf den aktuellen Vorläufigkeitsvermerk zur Ausgleichsbeschränkung bei Aktienverlusten.

Zum Hintergrund: Verluste aus der Veräußerung von Aktien dürfen nicht mit allen positiven Kapitalerträgen und schon gar nicht Gewinnen aus anderen Einkunftsarten verrechnet werden, sondern nur mit Gewinnen aus dem Verkauf von Aktien (§ 20 Abs. 6 Satz 4 EStG; früher Satz 5). Dies gilt für Aktien, die seit dem 1.1.2009 erworben wurden (§ 52 Abs. 28 Satz 11 EStG).

Nach Auffassung des BFH bewirkt die Vorschrift des § 20 Abs. 6 EStG aber eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung, weil sie Steuerpflichtige ohne rechtfertigenden Grund unterschiedlich behandelt, je nachdem, ob sie Verluste aus der Veräußerung von Aktien oder aus der Veräußerung anderer Kapitalanlagen erzielt haben. Eine Rechtfertigung für diese Beschränkung sieht er nicht. Daher hat er das Bundesverfassungsgericht angerufen (BFH-Beschluss vom 17.11.2020, VIII R 11/18). Nun verfügt das BMF, dass Steuerbescheide, in denen der Verlustausgleich bei Aktienveräußerungen streitig ist, in dem betreffenden Punkt vorläufig ergehen. Steuerpflichtige müssen also keinen Einspruch gegen die entsprechenden Steuerbescheide einlegen (BMF-Schreiben vom 31.1.2022, IV A 3-S 0338/19/10006 :001).

Betroffene Anleger sollten aber Obacht walten lassen: Weiterlesen

Kapitalmaßnahmen von Hewlett-Packard, eBay und Vodafone: Urteilsserie des BFH

„Kaufe am Ort“, so lautet das Credo vieler Fachhändler und ihrer Kunden. Übertragen auf Anleger könnte es lauten „Kauft Aktien deutscher Kapitalgesellschaften“. Wahrscheinlich haben sich dies Anleger von Hewlett-Packard, eBay und Vodafone auch gedacht, nachdem sie sich zunächst mit diversen Kapitalmaßnahmen der Konzerne und im Anschluss mit steuerlichen Problemen konfrontiert sahen. Während diese in Sachen „Hewlett-Packard“ und „eBay“ nach einer Urteilsserie des BFH nun offenbar ausgeräumt sind, geht die Sache „Vodafone“ in die nächste Runde, möglicherweise sogar bis vor den EuGH.

Worum geht es? Ich möchte die Fälle hier nur in aller Kürze vorstellen. Zunächst zu den Fällen „Hewlett-Packard“ und „eBay“: Weiterlesen

Sachleistungen von Banken an Privatkunden – herbe Schlappe für den Fiskus

Während der normale Bankkunde froh ist, überhaupt noch irgendwo eine Filiale mit menschlichen Wesen zu finden und nicht nur aufs Online-Banking verwiesen zu werden, sieht die Welt für gute Privatkunden anders aus. Sie werden von den Banken hofiert und gerne zu mehr oder weniger teuren Events eingeladen, etwa zu einer Weinprobe oder einem Golfturnier. Derartige „Sachleistungen“ spielen sich immer irgendwo im Graubereich zwischen Marketing, der Hingabe von – steuerlich relevanten – Geschenken und der Erzielung von steuerpflichtigen Einkünften ab. Natürlich bekommen die Kunden von einer eventuellen Steuerpflicht nur am Rande etwas mit, da die Einladenden die Pauschalsteuer nach § 37b EStG entrichten.

§ 37b EStG hat nach seiner Einführung ein gewisses Eigenleben entwickelt. Die einen nutzen die Vorschrift um „alles Mögliche“ pauschal zu versteuern, die anderen – sprich die Mitarbeiter der Finanzverwaltung – haben § 37b EStG quasi zu einer eigenen Einkunftsart gemacht, die ihrerseits „alles Mögliche“ versteuern will. Letztlich bleibt aber festzuhalten, dass dort, wo es von vornherein keine Einkünfte gibt, auch nichts versteuert werden muss, und zwar weder individuell noch pauschal.

Das FG Baden-Württemberg musste sich nun mit der Frage befassen, ob Sachleistungen von Banken an Privatkunden, also die oben erwähnten Weinproben und Einladungen zu Golfturnieren, bei den Kunden zu Einkünften (hier: aus Kapitalvermögen) führen, die nach § 37b EStG zu versteuern sind. Weiterlesen

Ist die Beschränkung der Verlustverrechnung bei Aktienverlusten verfassungswidrig?

Der BFH hält die Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienveräußerungsverluste für verfassungswidrig – so lautet die Überschrift der Pressemitteilung des BFH vom 4. Juni 2021. Nachdem in den letzten Jahren stets das Thema „Verluste bei der reinen Wertloswerdung von Aktien“, also die Ausbuchung aus dem Depot, im Vordergrund stand und der Gesetzgeber diesbezüglich mit einer betragsmäßigen Verlustbeschränkung reagiert hatte, dachte ich zunächst, es geht schon jetzt um die neue 20.000 Euro-Grenze des § 20 Abs. 6 EStG.

Doch weit gefehlt: Es geht um die ganz „klassische“ Frage, ob es zulässig ist, dass Verluste aus der Veräußerung von Aktien nur mit Aktiengewinnen und nicht mit allen Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen. Der Bundesfinanzhof hält diese Einschränkung für verfassungswidrig und hat daher das Bundesverfassungsgericht angerufen (Vorlagebeschluss vom 17.11.2020, VIII R 11/18). Weiterlesen

Zu welchem Zeitpunkt tritt ein Wertverlust bei Aktien steuerlich relevant ein?

Bereits mehrfach ist im Rahmen des NWB Experten-Blogs die Thematik „Berücksichtigung von Verlusten aus wertlos gewordenen Aktien“ behandelt worden. Eine Frage blieb dabei bislang ausgespart, nämlich zu welchem Zeitpunkt ein Wertverlust mit steuerlicher Relevanz eigentlich eintritt. Kürzlich hat der BFH diese Frage wie folgt beantwortet (BFH-Urteil vom 17.11.2020, VIII R 20/18):

Erlischt das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs einer inländischen AG, weil diese infolge einer Insolvenz aufgelöst, abgewickelt und im Register gelöscht wird, entsteht dem Aktionär ein steuerbarer Verlust, wenn er seine Einlage ganz oder teilweise nicht zurückerhält. Werden solche Aktien schon vor der Löschung der AG im Register durch die depotführende Bank aus dem Depot des Aktionärs ausgebucht, entsteht der Verlust bereits im Zeitpunkt der Ausbuchung. Von einer Verlustentstehung kann aber nicht bereits zu einem Zeitpunkt ausgegangen werden, zu dem mit einer Auskehrung von Vermögen im Rahmen der Schlussverteilung des Vermögens der AG objektiv nicht mehr rechnen ist oder die Notierung der Aktien an der Börse eingestellt oder deren Börsenzulassung widerrufen wird. Weiterlesen

Negativzinsen: BMF bleibt bei harter Linie – mit einer Ausnahme

Negativzins, Strafzins, Minuszins – immer mehr Anleger zahlen für ihre Einlagen bei den Banken „drauf“. Und wie steht die Finanzverwaltung zu den Negativzinsen? Sie sieht darin wirtschaftlich eine Verwahr- oder Einlagegebühr und mithin Werbungskosten. Diese sind aber bei Privatanlegern vom Sparer-Pauschbetrag erfasst, mit ihm also abgegolten (BMF-Schreiben vom 27.5.2015, BStBl 2015 I S. 473). Jüngst hat das BMF seine Haltung noch einmal bekräftigt, und zwar mit BMF-Schreiben vom 19.2.2021 (IV C 1-S 2252/19/10003 :007, Rz. 129a).

Doch immerhin: Bei Anlageprodukten mit gestaffelten Zinskomponenten („Staffelzinsen“) sei die Gesamtverzinsung im Zeitpunkt des Zuflusses zu betrachten. Sei die Gesamtverzinsung positiv, so handele es sich insgesamt um Einnahmen im Sinne des § 20 Absatz 1 Nr. 7 EStG – eine Verrechnung ist also zulässig. Eine negative Gesamtverzinsung sei hingegen stets insgesamt als Verwahr- oder Einlagegebühr zu behandeln.

Herr Professor Jahn hat bereits in seinem Blog „Negativzinsen bleiben weiterhin nicht abzugsfähig“ von Anfang 2020 darauf hingewiesen, dass von politischer Seite keine Unterstützung zu erwarten ist. Der BT-Finanzausschuss hatte eine Gesetzesinitiative der FDP-Fraktion (BT-Drs. 19/15771) zurückgewiesen, künftig Negativzinsen im Steuerrecht stärker zu berücksichtigen.

An dieser Stelle kann ich nicht anders und muss aus der damaligen Pressemeldung „heute im Bundestag – hib“ vom 15.1.2020 zitieren: Weiterlesen