Gesetzliche Ausbildungsgarantie – Zauberformel oder Mogelpackung?

Am 28.4.2023 hat der Bundestag erstmals einen Regierungsentwurf für ein Gesetz zur Stärkung der Weiterbildungs- und Ausbildungsförderung beraten und an die Ausschüsse überwiesen. Mit dabei ist eine „Ausbildungsgarantie“ mit dem Ziel, Nachwuchsprobleme der Wirtschaft zu bekämpfen und jungen Menschen ohne Bildungsabschluss eine berufliche Perspektive zu eröffnen. Wie sind die Pläne zu bewerten?

Hintergrund

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) beziffert die Zahl der offenen Stellen in Deutschland auf 1,8 Millionen. 80 Prozent der Stellen benötigen hiervon einen Berufsschulabschluss oder ein Hochschulstudium, nur 20 Prozent der Stellen sind hiernach für Ungelernte und Minderqualifizierte geeignet. Mit einer Novelle zum Fachkräfteeinwandrungsgesetz – am 27.4.2023 in erster Lesung im Bundestag behandelt – will die Bundesregierung Abhilfe schaffen: Erleichterte Zuwanderung und Abbau von Beschäftigungshemmnissen, ich habe im Blog berichtet.

Aber nicht nur am Fach- und Arbeitskräftemarkt herrscht Flaute. In etlichen Wirtschaftsbranchen besteht bereits seit Jahren Nachwuchsmangel bei den Auszubildenden. Dennoch sind aktuell mehr als 2,3 Millionen junge Menschen ohne Berufsabschluss, im Jahr 2020 waren es nach Regierungsangaben 1,38 Millionen Menschen im Alter von 20 bis 30 Jahren. Es gibt seit Jahren ein Überangebot an Ausbildungsplätzen: per 30.9.2020 konnten 68.900 Ausbildungsstellen, also13 Prozent aller gemeldeten betrieblichen Ausbildungsstellen nicht besetzt werden. Damit setzt sich der Trend einer steigenden Anzahl unbesetzter Ausbildungsstellen fort. Die Koalitionäre der Bundesregierung wollen deshalb jetzt u.a. das Versprechen einer Ausbildungsgarantie umsetzen, wie bereits im Koalitionsvertrag 2021 vereinbart.

Was plant die Bundesregierung konkret?

Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf die Förderinstrumente der Arbeitsmarktpolitik für Beschäftigte und Ausbildungssuchende weiterentwickeln, um der beschleunigten Transformation der Arbeitswelt zu begegnen, Arbeitslosigkeit aufgrund von Strukturwandel zu vermeiden, Weiterbildung zu stärken und die Fachkräftebasis zu sichern, z.B. mit der Einführung eines Qualifizierungsgeldes.

Der aktuelle Gesetzentwurf des BMAS sieht in einem umfangreichen Paket auch Maßnahmen einer „Ausbildungsgarantie“ vor, z.B. geförderte Kurzpraktika, einen Mobilitätszuschuss und bessere Beratungen durch die Arbeitsagenturen und Jobcenter vor. Das BMAS geht hierbei davon aus, dass ab 2024 zwischen 3000 und 4000 junge Menschen zusätzlich in außerbetrieblichen Ausbildungsstätten untergebracht werden können, die keine „normale“ Ausbildung in einem Betrieb beginnen können. Ziel ist, allen jungen Menschen, die nicht über einen Berufsabschluss verfügen, den Zugang zu einer vollqualifizierenden, möglichst betrieblichen Berufsausbildung zu eröffnen. Dabei bleibe die „primäre Verantwortung der Wirtschaft für die Ausbildung“ des Fachkräftenachwuchses unangetastet, heißt es im Gesetzentwurf.

Was ist davon zu halten?

Ohne Einschränkung zu begrüßen ist, dass der Gesetzgeber von der Einführung einer branchenübergreifenden Ausbildungsumlage zur Finanzierung der Ausbildungsgarantie Abstand nimmt. Solche Überlegungen waren schon früher zum Scheitern verurteilt, weil die Unternehmen tatsächlich seit Jahren mehr Ausbildungsplätze anbieten als am Ende tatsächlich besetzt werden können. Vernünftig ist auch, Berufsausbildung in außerbetrieblichen Einrichtungen nur ergänzend zu nutzen, quasi als „Ultima Ratio“, weil sie eine persönliche Ausbildung und Erziehung im Betrieb nicht ersetzen kann.

Wichtig ist aber auch, dass junge Menschen Unterstützung bei der Suche einer Ausbildungsstätte sowie während und nach der Ausbildung erhalten. Ob der BMAS das Versprechen einer Ausbildung (mit Abschluss!) „garantiert“ mit dem jetzigen Entwurf einlösen kann, erscheint zweifelhaft, erst recht für den „Wunschberuf“. Deswegen lehnen dies nach einer aktuellen DIHK-Ausbildungsumfrage 80 Prozent der Unternehmen ab. Besser wäre stattdessen eine Chancengarantie: Jeder ausbildungsinteressierte Jugendliche, der bis Ende September ohne Ausbildungsplatz ist, erhält drei Angebote für eine betriebliche Ausbildung – wenn auch nicht immer im Wunschberuf – alles andere wäre Augenwischerei. Nun bleibt abzuwarten, welche Verbesserungen im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch umsetzungsfähig sind.

Weitere Informationen:


Bundeskabinett beschließt Ausbildungsprämien

Von der Corona-Krise gebeutelte Unternehmen sollen zur Förderung der Ausbildungsbereitschaft eine Ausbildungsprämie von bis zu 3.000 Euro für jeden in diesem Jahr geschlossenen Lehrvertrag erhalten. Die Eckpunkte hat das Bundeskabinett am 24.6.2020 beschlossen. Weiterlesen

Anspruch auf Kindergeld, wenn die Ausbildung wegen Krankheit nicht beginnt

Zuweilen können volljährige Kinder eine Ausbildung wegen einer Erkrankung gar nicht erst beginnen oder sich um eine Ausbildungsstelle bemühen. Besteht auch in diesen Fällen ein Anspruch auf Kindergeld? Nach Ansicht der Finanzgerichte Düsseldorf und Hamburg ist die Antwort klar: Ja, der Anspruch besteht. Und vor allem darf die Familienkasse keine zu hohen Anforderungen an den Nachweis der Ausbildungswilligkeit des Kindes stellen; die DA-Kindergeld ist für die Gerichte nicht bindend. Allerdings wird sich alsbald der BFH der Sache annehmen. Weiterlesen

Kurzarbeitergeld für Auszubildende?

Über 11 Mio. Arbeitnehmer befinden sich Corona-bedingt bereits in Kurzarbeit. Der Bund hat die Bezugsvoraussetzungen für das Kurzarbeitergeld während der Corona-Krise spürbar vereinfacht. Allerdings sind Auszubildende für die Dauer von sechs Wochen vom Bezug von Kurzarbeitergeld bislang ausgeschlossen. Macht ein Kurzarbeitergeld für Azubis Sinn?

Hintergrund

In der aktuellen Corona-Krise stehen zahlreiche Unternehmen in Deutschland
vor enormen Problemen und Herausforderungen. Das trifft auch für viele
Ausbildungsbetriebe zu. Wenn Einnahmen fehlen, werden auch
Ausbildungsvergütungen zu einem wichtigen Kostenfaktor – vor allem für
kleine und mittlere Unternehmen. Immerhin ist die Zahl der Ausbildungsbetriebe bundeweit von 482.439 im Jahr 2005 auf 427.227 im Jahr 2017 gesunken. In der Corona-Krise sind Ausbildungsplätze in Gefahr, da den Ausbildungsbetrieben Einnahmen fehlen. Deshalb geht bei etlichen Unternehmen unter Sparzwang die Ausbildungsneigung zurück. Höchste Priorität sollte es haben, Beendigungen von Ausbildungsverhältnissen durch Kündigung oder Insolvenz zu vermeiden. Vor diesem Hintergrund setzt sich die IHK-Organisation über den DIHK seit Wochen gegenüber der Bundesregierung dafür ein, Kurzarbeitergeld (KUG) auch für Azubis vom ersten Tag an zu ermöglichen. Weiterlesen

Kindergeld für ein Kind im Praxisjahr – auch das FG Münster entscheidet

Kürzlich habe ich einen Blog-Beitrag mit der Überschrift „Wann wird für ein Kind im Praxisjahr Kindergeld gewährt?“ veröffentlicht. Darin bin ich auf das aktuelle BFH-Urteil vom 10.4.2019 eingegangen, mit dem die obersten Finanzrichter eine – positive – Entscheidung des FG Nürnberg zurückgewiesen haben.

Der BFH konnte in der Sache zwar nicht abschließend entscheiden. Allerdings hat er die Kriterien für eine weitere Prüfung festgelegt. Für die Gewährung von Kindergeld während eines Praxisjahres kommt es danach darauf an, dass die Ausbildungsmaßnahmen im Vordergrund stehen und nicht der reine Erwerbscharakter. Für einen im Vordergrund stehenden Ausbildungscharakter sprechen u.a. das Vorhandensein eines Ausbildungsplanes, die Unterweisung in Tätigkeiten, welche qualifizierte Kenntnisse und/oder Fertigkeiten erfordern, die Erlangung eines die angestrebte Berufstätigkeit ermöglichenden Abschlusses und ein gegenüber einem normalen Arbeitsverhältnis geringeres Entgelt. Interessanterweise hat nun das FG Münster in einem sehr ähnlichen Sachverhalt das Kindergeld gewährt – und zwar ohne nähere Auseinandersetzung mit den Aussagen im genannten BFH-Urteil, obwohl dieses dem FG Münster eigentlich hätte bekannt sein müssen.

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Kindergeld: Eltern von Spitzensportlern haben das Nachsehen

Für volljährige Kinder, die für einen Beruf ausgebildet werden, wird bis zum 25. Lebensjahr Kindergeld gewährt. Die Kinder werden auch dann berücksichtigt, wenn sie sich in einer Übergangszeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten befinden (§32 Abs. 4 Nr. 2b EStG). Die Übergangszeit darf höchstens vier Kalendermonate dauern.

Das FG München hat jüngst entschieden, dass aber eine achtmonatige Freistellung zur Ausübung von Spitzensport während der Ausbildung zur Versagung des Kindergeldes in diesem Zeitraum führt. Dies gilt auch dann, wenn das Kind während der Freistellungsphase einige Präsenztage beim Ausbilder verbringen muss (Urteil vom 16.5.2019, 10 K 135/19).

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Aufwendungen für Studienplatzklage mit Kinderfreibetrag abgegolten

Zahlreiche Studenten machen von der so genannten Studienplatz- oder Kapazitätsklage Gebrauch, um ihren gewünschten Studienplatz – ohne Wartezeiten – zu ergattern. Die Kosten für eine solche Klage, die oftmals von den Eltern getragen werden, können jedoch enorm hoch sein und so stellt sich die Frage, ob diese – von den Eltern – wenigstens steuerlich geltend gemacht werden können.

Jüngst hat jedoch das FG Münster entschieden, dass Aufwendungen der Eltern, die sie im Zusammenhang mit einer Studienplatzklage für ihr Kind getragen haben, nicht abziehbar sind. Die Kosten seien ihrem Wesen nach den Aufwendungen für eine Berufsausbildung zuzuordnen, die mit dem Kindergeld oder dem Kinderfreibetrag abgegolten sind. Folglich kommt weder ein Abzug als Ausbildungskosten noch als außergewöhnliche Belastung in Betracht (Urteil vom 13.8.2019, 2 K 3783/18 E).

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Kindergeld bei neben der Ausbildung ausgeübter Erwerbstätigkeit

Einheitliche Erstausbildung versus Weiterbildung


Für in Ausbildung befindliche volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, besteht nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums nur dann ein Kindergeldanspruch, wenn sie keiner Erwerbstätigkeit nachgehen, die regelmäßig mehr als 20 Wochenstunden umfasst. Dabei können mehrere Ausbildungsabschnitte zu einer einheitlichen Erstausbildung zusammen zu fassen sein. Von einer solchen einheitlichen Erstausbildung muss jedoch eine berufsbegleitend durchgeführte Weiterbildung abgegrenzt werden.

Dass dies nicht immer einfach und daher auch streitbar ist, zeigt der Fall, über den der BFH am 11.12.2018 (AZ: III R 26/18) zu urteilen hatte. Weiterlesen

Kindergeld für kranke Kinder

Ein Kind, das das 18. Lebensjahr vollendet hat, wird unter Anderem berücksichtigt, wenn es noch nicht das vom 20. Lebensjahr vollendet hat und eine Berufsausbildung mangels Ausbildungsplatz nicht beginnen oder fortsetzen kann. Streitbefangenen ist jedoch, ob ein Kindergeldanspruch aufgrund dieser Regelung auch besteht, wenn das Kind wegen einer Krankheit eine Ausbildung nicht beginnen kann. Weiterlesen

Immer wieder Streit um die mehraktige Berufsausbildung

Mit Blick auf das Kindergeld ist eine sogenannte mehraktige Ausbildungsmaßnahme immer wieder ein Streitpunkt mit den Familienkassen. Aktuell mussten diese jedoch in der erstinstanzlichen Rechtsprechung auch einige Niederlagen einstecken. Dennoch bemühen sie weiterhin den BFH, weshalb uns die Thematik wohl noch ein bisschen begleiten wird. Weiterlesen