Die angehende Ampelkoalition aus SPD, FDP und Grünen will nach eigenem Bekunden darüber verhandeln, Deutschland nachhaltig zu modernisieren und verkauft sich als Koalition des Aufbruchs. Das Sondierungspapier liefert erste Anhaltspunkte, ob dies auch für die Steuerpolitik gelten soll.
Das am 15.10.2021 vorgelegte 12-seitige Sondierungspapier trifft eine Reihe von wichtigen Vorfestlegung der zu erwartenden Ampelkoalition. Bis Mitte November wollen die drei Parteien auf dieser Basis den endgültigen Koalitionsvertrag festzurren. Aus Sicht der Steuerpolitik sticht im Papier die weitgehende und begrüßenswerte Absage an Steuererhöhungen hervor. Auch wenn die gewählte Formulierung, „wir werden keine neuen Substanzsteuern einführen und Steuern wie zum Beispiel die Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer nicht erhöhen“ bei genauem Hinsehen das eine oder andere Schlupfloch bieten könnte, scheint in Kombination mit den persönlichen Aussagen der Beteiligten klar: Die Vermögensteuer kommt nicht, auch wenn sie streng genommen nicht „neu“ wäre.
Weniger klar scheint dagegen, ob bei der Erbschaftsteuer, die nach den Wünschen von SPD und Grünen insbesondere bei Betriebsvermögen spürbar erhöht werden sollte, mit der gefundenen Formulierung jegliche Erhöhung schon endgültig vom Tisch ist. Dem Vernehmen nach deutet einiges darauf hin, letzte Gewissheit dürfte aber erst der fertige Koalitionsvertrag bringen. Vielleicht waren diese Punkte jedoch auch lediglich Wahlkampfgeklingel, denn allen Beteiligten war auch schon vor der Wahl klar, dass die Union alleine eine Blockademehrheit im Bundesrat zu standen bringen könnte.
Je nach Ausgestaltung sehr attraktiv werden könnte die angekündigte Superabschreibung für Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung. Eine Superabschreibung müsste nach landläufigem Verständnis darauf hinauslaufen, dass über die Nutzungsdauer mehr als 100% der Anschaffungs- oder Herstellungskosten steuerlich geltend gemacht werden können. Bei den Unternehmen käme also eine echte Förderung und nicht nur ein zeitlicher (Zins-)Effekt an wie bei beschleunigten Abschreibungsmöglichkeiten oder ein sofortiger Betriebsausgabenabzug; der ja selbst für GWGs gewissen Widerständen ausgesetzt ist. Bei entsprechend breit definiertem Anwendungsbereich (was gilt als Klimaschutz oder Digitalisierung?) und Verzicht auf allzu enge Leitplanken wie z.B. Größen-/Volumenbeschränkungen könnten die Superabschreibungen ein effektives Instrument sein, um die gewünschten privaten Investitionen in erheblichem Umfang auszulösen.
Einem Herzensanliegen der Wirtschaft kommt die Ampel auf den ersten Blick mit der Ankündigung einer spürbaren Verringerung der Steuerbürokratie nach. Ob dafür die genannten höheren Schwellenwerte und volldigitalisierte Verfahren hinreichend sind, darf aber bezweifelt werden. Denn gerade in den letzten Jahren kommen erhebliche bürokratische Zusatzbelastungen z.B. durch internationale und EU-Vereinbarungen auf die Unternehmen zu, auf die der deutsche Gesetzgeber nur beschränkten Einfluss hat. Hinter Abkürzungen wie CbCR, CSR oder DAC6 versteckt sich für die Betroffenen stets ein erheblicher Befolgungs- und Bürokratieaufwand. Auch die absehbare „neue Weltsteuerordnung“, auch 2-Säulen-Lösung genannt, die kürzlich von der OECD angekündigt wurde, dürfte das Steuerrecht wieder einmal noch komplizierter und bürokratischer machen. Diese Mehrbelastungen durch nationale Maßnahmen an anderer Stelle auszugleichen, wäre aller Ehren wert.
Aber kann dies auch gelingen? Stattdessen wäre denkbar, dass SPD und Grüne in den Verhandlungen z.B. ihre gemeinsame Forderung aus Wahlkampfzeiten nach einer Anzeigepflicht auch für rein deutsche Steuergestaltungen auf den Tisch legen. Dies zeigt: Die Ankündigung zum Bürokratieabbau gerät nur allzu schnell in Konflikt mit einer anderen wichtigen Ankündigung der Sondierer. Diese wollen nämlich auch den Kampf gegen Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Steuervermeidung intensivieren. Im Konfliktfall könnte der Bürokratieabbau ein ums andere Mal auf vor der Ampel unter die Räderkommen.
Als potenziell kontraproduktiv ist der avisierte „Aufbruch“ in der Grunderwerbsteuer, Stichwort „Share Deals“, einzustufen. Nach langem Ringen, nicht nur zwischen Union und SPD, sondern auch zwischen Bund und Ländern, wurde in der abgelaufenen Legislaturperiode gerade erst eine deutliche Ausweitung der Besteuerung von Share Deals beschlossen. Die Neuregelung ging einher mit hochkomplexen Übergangsregelungen und teils dramatisch verlängerten Fristen, die die Unternehmen noch auf Jahre hinaus beschäftigen. Vor einer erneuten Reform der Grunderwerbsteuer dürfte den Meisten Unternehmen bange sein, entfernt sich die Steuer doch immer mehr von Grundstücken und mutiert tendenziell zu einer Anteilstransaktionssteuer. Die Hoffnung, dass statt einer erneuten Verschärfung und Bürokratisierung ein konzeptioneller Befreiungsschlag gelingt, ist recht gering – sollten aber fairerweise zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ganz fallengelassen werden.
Als Hauptproblem erweisen sich jedoch die Fehlstellen des Sondierungspapiers. Dass 13 Jahre nach der Unternehmensteuerreform 2008 für weitere vier Jahre keine wesentlichen Erleichterungen in der Unternehmensbesteuerung absehbar sind, ist nur schwer nachvollziehbar. Zwar hat die Dynamik des steuerlichen Wettbewerbs zuletzt etwas nachgelassen, erkennbar an angekündigten Steuererhöhungen z.B. in den USA oder im Vereinigten Königreich. Doch Länder wie Brasilien, Frankreich oder Österreich setzen weiter auf sinkende Steuern für Unternehmen.
Im Ergebnis bleibt Deutschland bis auf weiteres Träger der roten Laterne im Bereich der Unternehmensteuern, selbst wenn die globale Mindeststeuer ab 2023 Exzesse verhindern sollte. Rückenwind zur Überwindung der Coronakrise sieht anders aus. Es bleibt zu hoffen, dass die Koalition im Laufe der Legislatur an dieser Stelle nachsteuert und ggf. Zusatzeinnahmen aus der globalen Mindeststeuer an die Unternehmen zurückgibt.
Als zweite Fehlstelle fällt die offenbar beabsichtigte Beibehaltung des Solidaritätszuschlags ins Auge. Den Weg des naheliegenden Kompromisses, einen Teil des Soli-Aufkommens über eine behutsame Anhebung des oberen und obersten Bereichs des Einkommensteuertarifs auszugleichen, wird die Ampel offenbar nicht beschreiten. Die Hoffnung der Soli-Gegner konzentriert sich damit ganz auf ein mögliches Machtwort aus Karlsruhe.
Im finalen Koalitionsvertrag sind auch und gerade mit Blick auf die Steuerpolitik sicherlich noch etliche neue Details sowie zahlreiche vollständig neue Punkte zu erwarten. Das Sondierungspapier enthält ausdrücklich nur solche Punkte, bei die Parteien eine Vorfestlegung für notwendig gehalten haben. Spannend werden dürften aus Sicht der Wirtschaft nicht nur weitere Angaben zu den beschriebenen Superabschreibungen, dem Abbau von Steuerbürokratie oder auch einer besseren Gründungsförderung. Auch Punkte, bei denen die Parteiprogramme eigentlich Raum für Einigung ermöglichen, könnten noch eine Rolle spielen. Zu nennen ist insbesondere die steuerliche Verlustverrechnung, bei der zumindest eine Ausweitung der Rücktragsmöglichkeit im Rahmen der Wahlprogramme denkbar scheint.
Fazit: Im Steuerbereich vermag die angehende Ampelkoalition noch keine allgemeine Aufbruchstimmung zu erzeugen. Zu sehr erinnert die im Sondierungspapier gefundene Grundlinie – keine Steuererhöhungen, aber im Gegenzug auch keine Steuerreformen/-senkungen – an die letzten beiden Großen Koalitionen, die steuerpolitisch ebenfalls auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner agierten. Wer also auf ein Lösen alter Blockaden gehofft hatte, sieht sich vorerst enttäuscht. Als positive Ausnahme stechen bislang lediglich die in Aussicht gestellten Superabschreibungen hervor. Aber: Was nicht ist, kann durchaus noch werden. Ein steuerpolitisches Andicken der Ampelprogrammatik ist nicht nur dringend geboten, sondern ist in den jetzt anlaufenden Detailverhandlungen noch absolut im Bereich des Möglichen.