Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit mit Lohnsteuerabzug und haben Ehegatten die Steuerklassenkombination III/V gewählt, so gilt eine Pflicht zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung (§ 46 Abs. 2 Nr. 3a EStG). Was aber geschieht, wenn die Steuererklärungen über mehrere Jahre hinweg nicht abgegeben werden? Etwas salopp gesagt: Die Steuerpflichtigen erhalten einen Brief des Finanzamts, mit dem sie höflich, aber bestimmt aufgefordert werden, die Steuererklärungen nachträglich einzureichen.
Nächste Frage: Für wie viele Jahre müssen Erklärungen erstellt werden? Die Antwort: Das Finanzamt will Erklärungen für bis zu 8, wenn nicht gar für bis zu 13 Jahre haben. Diese Zahl ermittelt sich wie folgt: Es gelten zunächst 4 Jahre Festsetzungsverjährung plus 3 Jahre Anlaufhemmung.
Aber: Die Nichtabgabe einer Steuererklärung stellt nach Auffassung der Finanzverwaltung stets eine Steuerhinterziehung, mindestens aber eine leichtfertige Steuerverkürzung dar. Und dann verlängert sich die Festsetzungsfrist auf 5 bzw. auf 10 Jahre. Zusammen mit der dreijährigen Verschiebung des Fristbeginns droht also die Nacherklärung für bis zu 13 Jahre.
Doch das FG Münster hat kürzlich entschieden, dass kein Fall der Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung vorliegt, wenn eine Steuererklärung trotz Steuerklassenkombination III/V nicht abgeben wurde. Folge: Steuererklärungen müssen nur für maximal 7 Jahre nachgereicht werden (Urteil vom 24.6.2022, 4 K 135/19 E).
Der Sachverhalt in Kurzform
Bis einschließlich 2008 erzielte lediglich der Ehemann Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Der Lohnsteuerabzug erfolgte über die Steuerklasse III. Die Kläger reichten regelmäßig Einkommensteuererklärungen ein. Sie wurden zusammen veranlagt. Ab 2009 erzielte nicht nur der Ehemann, sondern auch die Klägerin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Weitere Einkünfte erzielten die Eheleute nicht. Der Lohnsteuerabzug des Ehemannes erfolgte weiterhin über die Steuerklasse III, derjenige der Ehefrau über die Steuerklasse V. Die jeweiligen Arbeitgeber übermittelten dem Finanzamt die elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen. Die Ehegatten reichten ab 2009 keine Steuererklärungen mehr ein.
Erst Anfang 2018 wertete das Finanzamt eine Prüfliste aus. Hierbei fiel auf, dass mit der Aufnahme der Beschäftigung durch die Ehefrau in 2009 ein Wechsel von der Antrags- zur Pflichtveranlagung erfolgt war und die Eheleute daher ab 2009 verpflichtet waren, Einkommensteuererklärungen einzureichen. Hierauf leitete das Finanzamt ein Strafverfahren ein und erließ im Jahre 2018 Steuerbescheide von 2009 an. Gegen die Festsetzungen für 2009 und 2010 wehrten sich die Eheleute, da ihrer Meinung nach Festsetzungsverjährung eingetreten sei. Und tatsächlich war ihre Klage erfolgreich. Der Erlass der Steuerbescheide in 2018 war somit verspätet.
Vorliegend gelte keine verlängerte Festsetzungsfrist. Demzufolge lief die Festsetzungsfrist für 2009 am 31.12.2016 und für 2010 am 31.12.2017 ab. Es liege weder eine Steuerhinterziehung noch eine leichtfertige Steuerverkürzung vor. Im Streitfall hätten die Kläger das Finanzamt nicht über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen. Dem Finanzamt seien die für die Einkommensteuerfestsetzung wesentlichen tatsächlichen Umstände bekannt gewesen. Insbesondere sei dem Finanzamt aufgrund der vorliegenden elektronischen Lohnsteuerbescheinigungen bekannt gewesen, dass die Kläger Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezogen und beim Lohnsteuerabzug die Lohnsteuerklassen III und V berücksichtigt wurden.
Denkanstoß
Betroffene werden sich über das Urteil freuen. Es ist allerdings die Revision zugelassen worden. Diese wurde eingelegt (BFH-Az. VI R 14/22).
Ich gebe zu, dass ich mit dem Urteil etwas hadere. Denn letztlich bedeutet es, dass Eheleute mit den Steuerlassen III/V ruhig abwarten können, bis sie vom Finanzamt zur Abgabe der Steuererklärung(en) aufgefordert werden. Aus der „Pflichtveranlagung“ wird eine „Veranlagung auf Anforderung durchs Finanzamt“. Angesichts gesunkener Nachzahlungszinsen ist es dann allenfalls noch der Verspätungszuschlag, der für Ungemach bei „erzwungener“ Abgabe der Erklärungen sorgt. Andererseits ist das Urteil aber auch konsequent, denn wenn die Finanzverwaltung alle Daten vorliegen hat, wird ihr nichts vorenthalten.