„Das nächste Google oder Airbnb kommt aus Deutschland!“ Im Fake News-Zeitalter lässt sich eine solche Aussage zwar ohne größeres Aufsehen treffen. Wer aber die heimische Startup-Welt etwas kennt, weiß um die strukturellen Probleme, mit der hiesige FinTechs und andere digitale Innovatoren zu kämpfen haben.
Ausgangslage Venture Capital
Nicht zuletzt das mangelnde Wagniskapital (engl. Venture Capital, kurz VC) in Deutschland macht es unwahrscheinlich, dass die nächsten Internetgiganten in Berlin, Hamburg oder München herangezogen und von da aus die Welt verändern werden. Jedes Jahr bestätigen Studien, dass die Venture Capital-Investoren hiesige technologieorientierte Unternehmer nicht mit dem nötigen Kapital versorgen mögen, wie es etwa in den USA oder Israel der Fall ist. Hinterfragt man die Zurückhaltung, verweist die VC-Investorenszene insbesondere auf den müden deutschen Börsenmarkt. Für die VC-Gesellschaften stellen gemeinhin Börsengänge der finanzierten Startup-Unternehmen die renditestärksten Exit-Kanäle dar. Seit dem Platzen der New-Economy-Blase zur Jahrtausendwende und den Niedergang des Frankfurter Neuen Markts herrscht noch immer die Furcht vor den Penny Stocks auf dem Börsenparkett vor. Erfolgreiche Börsengänge von jungen innovativen Unternehmen sieht man hierzulande daher selten. Werden die erfolgsversprechenden Beteiligungsverkäufe über die Börse blockiert, zeigt sich der professionelle Risikokapitalgeber naturgemäß zurückhaltend: Ausstiegshürden sind immer auch Einstiegshürden. Weder die „Höhle des Löwen“ noch Business Angels und Inkubator-Programme können die bestehende Finanzierungslücke bei deutschen Startups schließen.
VC-Alternativen: vom privaten zum öffentlich eingeworbenen Risikokapital Innovation ist Programm. Dies gilt bei den vielen kosmopolitischen Jungunternehmern nicht nur bei der Entwicklung von digitalen Geschäftsmodellen, sondern auch bei der Finanzierung der Projekte. Erfolgreiche Verfahren und Finanzierungskonzepte pflanzen sich in der globalen Startup-Gemeinde blitzschnell fort. Wer keinen VC-Fonds als Investor gewinnen kann oder fremden Einfluss durch Eigenkapitalgeber (Gesellschafter mit meist ausgedehnten Kontrollrechten) in seinem Startup scheut, findet seit einigen Jahren neue Finanzierungsansätze. Mit diesen neuen Formaten können die Unternehmer öffentliches Wagniskapital generieren. Anders als beim klassischen privaten Risikokapital von Venture Capital-Investoren sprechen die finanzhungrigen Unternehmer die Anleger in der neuen Welt öffentlich und hauptsächlich auf digitalem Wege an. Prozesse und Vertragsbeziehungen zwischen Unternehmern und der Anlegergemeinde sind stark standardisiert. Diese Entwicklung wurde durch das sog. Crowdfunding (dt. Schwarmfinanzierung) vor einigen Jahren eingeleitet. Über Spenden, Darlehen oder stille Beteiligungen können Startups von weltweit interessierten Internetnutzern (Crowd) die benötigten Finanzierungsbeiträge einwerben(zu den Ausprägungen von Crowdfunding-Plattformen und ihren aufsichtsrechtlichen Anforderungen s. Schiemzik/Kübler, NWB 2018, 2038, 2044f.). Über Crowdfunding-Plattformen werden der Crowd nicht nur gewerbliche Geschäftsmodelle zur Finanzierung offeriert. Das Crowdfunding erlaubt sogar die Finanzierung von sozialen und ökologischen Projekten, meist durch viele Kleinstbeiträge.
Initial Coin Offering: der neue digitale Finanzierungweg
Eine neue Stufe des Zugriffs auf Wagniskapital der Öffentlichkeit stellt das sog. Initial Coin Offering (kurz ICO) dar. In der Wirtschaftspresse werden die ICOs als neuartige digitale Börsengänge beschrieben. Die ICOs basieren grundsätzlich auf der Blockchain-Technologie. Das Startup gibt innerhalb einer gewissen Zeitspanne sog. Token zu einem bestimmten Emissionskurs an die Anlegergemeinde aus. Die Anleger beziehen die Token gegen eine Zahlung einer Kryptowährung (Bitcoin oder Ether) oder Fiatgeld (z.B. US-Dollar oder Euro). Als Werbeprospekt bedient sich der Startup-Emittent meist eines sog. White Papers, dem die Einzelheiten des zu finanzierenden Projekts zu entnehmen sind.
Die ausgegebenen Token werden im Wege von kryptographischer Rechenverfahren in einer digitalen Datenbank fälschungssicher erfasst. Sie können als handelbare Gutscheine verstanden werden. In der Fachwelt unterscheidet man den Security Token, Utility Token und Currency Token. Sie vermitteln kein (direktes) Eigentum an dem Startup wie eine Aktie, können aber diverse Rechte verbriefen. Der Currency Token wird als umfassendes Zahlungsmittel verstanden. Der Security Token kommt funktional dem klassischen Wertpapier sehr nahe. Er kann auch Gewinnbezüge und sogar Stimmrechte beim ausgebenden Startup verbriefen. Der Utility Token gewährt meist Zugang zur Plattform des Startups und dient dort oft auch als Tauschobjekt für Dienstleistungen und Produkte des Startups. In der Praxis weisen ausgegebene Token oft mehrere kombinierte Eigenschaften aus. Eine eindeutige Charakterisierung kann sich mithin als schwierig erweisen, was wiederum die aufsichtsrechtliche Behandlung der Token erschwert.
Bereits im letzten Jahr wurden von Startups im Wege der ICOs Mittel von über 5 Mrd. USD eingeworben. Bereits im laufenden Halbjahr 2018 ist das ICO-Emissionsvolumen weit über dem Niveau des gesamten letzten Jahres. Unterdessen wird Missbrauch und Betrug im Markt zunehmend öfter identifiziert. Weltweit werden daher die Rufe nach der Finanzaufsicht laut. In vielen Jurisdiktionen zeigt sich die Finanzaufsicht mit dem neuen Krypto-Phänomen überfordert. Das aufsichtsrechtliche Maßnahmenbündel oszilliert zwischen laissez-faire-Ansätzen, die die neue Technologie aktiv gefördert wissen wollen, bis hin zu ICO-Totalverboten, die den Anlegerschutz und die Marktintegrität priorisieren.
Rechtsunsicherheit bei ICOs – auch in Deutschland
Aus zivilrechtlicher Sicht ergeben sich aus den ausgegebenen Token meist schuldrechtliche Ansprüche gegen den Emittenten. Rechtliche Schwierigkeiten können sich ergeben, wenn entsprechende Ansprüche ohne Zutun der Parteien im Wege eines Smart Contracts, also durch Algorithmen gesteuert, automatisiert vollzogen werden. Eingriffe und Korrekturen in Rechtsbeziehungen, die das deutsche BGB voraussetzt, etwa durch Anfechtungs- und Rücktrittsrechte, stellen sich auf der unveränderbaren Blockchain noch als Problem dar.
Ein akutes Problem für Startups und Anleger ergibt sich auf der Ebene des deutschen Aufsichtsrechts. Bis heute bleibt bei vielen deutschen ICOs unklar, ob das Startup einen aufwendigen Wertpapierprospekt nach dem WpPG veröffentlichen und von der BaFin bewilligen lassen muss. Besondere Schwierigkeiten bereitet die Frage nach der Prospektpflicht bei Beurteilung der Ausgabe von Utility Token. Aber auch der Handel der ausgegebenen Token auf meist ausländischen Handelsplattformen kann nach der Auffassung der BaFin ein verbotenes Bankgeschäft nach deutschem KWG begründen. Da Verstöße gegen das Aufsichtsrecht weitreichende Folgen für die Gründer haben können, wirkt die Rechtsunsicherheit in Deutschland als effektive Technologiebremse. Daran ändern die Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD, die Blockchain-Technologie zu fördern, nichts. Ohne das benötigte Risikokapital wird es daher so schnell keinen deutschen Internetgiganten geben.
Lesen Sie hierzu auch:
Schiemzik/Kübler, Neue Finanz- und Krypto-Geschäftsmodelle im Fokus der Finanzaufsicht – FinTechs und ICOs zwischen Disruption und Rechtstreue, NWB 28/2018 S. 2038 ff (NWB DokID IAAAG-87483) – für Abonnenten kostenfrei.
Weitere Hintergrundinformationen zur aufsichtsrechtlichen Regulierung von ICOs finden Sie unter: https://www.rosepartner.de/ico-recht-regulierung-startup.html