Sind kostenlose Rechtsbehelfsverfahren noch zeitgemäß?
Etwa ein Drittel meines beruflichen Lebens habe ich in der Finanzverwaltung verbracht, rund zwei Drittel auf der „Gegenseite“. In bestimmten Abständen habe ich mir immer wieder die Frage gestellt, ob es sinnvoll ist, dass das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren kostenlos ist und letztlich beide Parteien ihre eigenen Aufwendungen tragen müssen.
Naturgemäß habe ich als Berater einen anderen Blickwinkel auf die Frage als zuvor als Finanzbeamter. Früher hätte ich dafür gestimmt, dass Steuerpflichtige, die „unnütze“ Einsprüche produzieren, dafür zur Kasse gebeten werden. Als Berater ärgern mich selbstverständlich Fehler der Finanzverwaltung, gegen die ich im Auftrag meiner Mandanten vorgehen muss. Die Mandanten wiederum haben in der Regel wenig Verständnis, dass sie dann mit den Kosten des Beraters belastet werden, obwohl der Fehler des Finanzamts doch „mehr oder weniger offensichtlich“ war.
Lange Zeit habe ich es dennoch durchaus als positiv betrachtet, dass außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren kostenlos sind, denn es senkt die Hemmschwelle, einen Einspruch einzulegen, ganz erheblich.
Allerdings erkenne sicher nicht nur ich eine schleichende Tendenz in der Finanzverwaltung, immer mehr Arbeiten auf Steuerpflichtige und Berater zu verlagern. Erforderliche Sachverhaltsaufklärungen oder Auseinandersetzungen mit fachlichen Fragen unterbleiben in den Veranlagungsbezirken immer häufiger; stattdessen werden lieber Bescheide ohne nähere Prüfung produziert – nach dem Motto: „Im Zweifel zu Lasten des Steuerpflichtigen“. Spreche ich mit Finanzbeamten, heißt es immer wieder, die blanke Zeitnot zwinge dazu. Die Modernisierung des Besteuerungsverfahrens wird die Tendenz verstärken.
Aus meiner Sicht ist die Abwälzung der Aufgaben auf die Berater ein wesentlicher Grund dafür, dass die Geschäftsergebnisse zahlreicher Steuerkanzleien – inflationsbereinigt – seit den 90er Jahren kaum gestiegen sind (siehe hierzu auch das Interview mit Dieter Lutz im StBMag 9/2015, S. 46). Denn Effizienzsteigerungen in der Kanzlei werden durch die Mehrarbeiten „für die Finanzverwaltung“ sofort wieder aufgezehrt. Ich kann mich noch nicht zu einem echten Plädoyer für die Einführung der – gegenseitigen – Pflicht zur Kostenerstattung bei Einspruchsverfahren durchringen. Meines Erachtens wäre es aber eine Art Modellversuch wert. Den Vorteil würde ich auf beiden Seiten sehen:
- Von vornherein aussichtslose Einsprüche würden unterbleiben.
- Die Finanzbeamten müssten vor dem Erlass von Steuerbescheiden verstärkt ihrer Amtsermittlungspflicht nachkommen.
- Finanzbeamte, die nur wenige (begründete) Einsprüche und damit wenig Kosten produzieren, könnten als solche erkannt und entsprechend belohnt werden.
- Mandanten wären nicht mehr mit den Kosten von berechtigten Einsprüchen belastet.
Natürlich gibt es zahlreiche weitere Argumente für und gegen ein kostenpflichtiges außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren. Mich würde Ihre Meinung interessieren.
Lesen Sie hierzu auch:
„Der Fokus der Kanzlei der Zukunft: die Lebensqualität und den wirtschaftlichen Erfolg aller Beteiligten verbessern“. Interview mit Dieter Lutz, ERC Lutz Business Coaching AG (StBMag Nr. 9 vom 31.08.2015 Seite 46)
Durch die Einführung einer Kostenerstattungspflicht könnte die Hemmschwelle steigen, begründeten Einsprüchen abzuhelfen. Die Finanzverwaltung würde zweifelhafte Bescheide vielleicht eher verteidigen, um nicht auch noch Kosten tragen zu müssen. Das würde dem Steuerpflichtigen am Ende auch nichts nützen. Ich meine: Es muss immer der den Berater bezahlen, der ihn beauftragt hat. Genauso sollte es auch bei Anwälten sein.
Prinzipiell eine gute Idee. Was aber geschieht, wenn die Finanzämter während des Einspruchs Verfahrens erkennen, dass dem Einspruch eigentlich stattgegeben werden müsste (mit der Folge, dann die Kosten des Verfahrens tragen zu müssen)? Hier könnte die Verwaltung u.U. wider besseres Wissen den Einspruch als unbegründet zurückweisen, um die Kostenübernahme zunächst (und evtl. sogar endgültig) zu vermeiden.
Dem Steuerpflichtigen bliebe dann zwar die Möglichkeit, Klage beim Finanzgericht einzulegen. Vor diesem Schritt dürften jedoch viele Steuerpflichtige zurückschrecken, zumal in Fällen geringerer Streitwerte.
Für die Finanzverwaltung liefe es folglich auf eine Vorteilhaftigkeitsberechnung hinaus: Ersparte Steuererstattungen + ersparte Erstattungen der Einspruchs-Kosten – Kosten der verloren gegangenen FG-Verfahren.
Soweit mir bekannt ist stellen die Steuerberater im Kölner Raum, wenn das Finanzamt den Einspruch verliert, im Wege des Amtshaftungsverfahren eine Gebührenrechnung an das Finanzamt.