Heilberufliche Leistungen sind nur umsatzsteuerfrei, wenn bei der Tätigkeit ein therapeutisches Ziel im Vordergrund steht. Bei Behandlungen, die auch ästhetischen bzw. kosmetischen Zwecken dienen oder aber von vielen Patienten – auch – aus ebenjenen Gründen in Anspruch genommen werden, wird das therapeutische Ziel seitens der Finanzämter oftmals angezweifelt.
Nun hat sich der BFH mit der umsatzsteuerlichen Behandlung von Haarwurzeltransplantationen befasst und wie folgt entschieden:
Ein therapeutischer Zweck im umsatzsteuerrechtlichen Sinne kann auch dann vorliegen, wenn eine Haarwurzeltransplantation nicht auf die Ursachen des Haarausfalls einwirkt, sondern lediglich ihre Folgen beseitigt. Bei hereditärer und vernarbender Alopezie besteht eine tatsächliche Vermutung dafür, dass ein behandlungsbedürftiger Zustand vorliegt. Die Diagnose einer androgenetischen Alopezie rechtfertigt noch nicht die tatsächliche Vermutung, dass ein behandlungsbedürftiger Zustand vorliegt. Zum Nachweis der Steuerbefreiung einer Haarwurzeltransplantation ist bei androgenetischer Alopezie eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung vorzulegen; pauschale, nicht näher substantiierte Erklärungen des transplantierenden Arztes genügen insoweit nicht (BFH-Urteil vom 25.9.2024, XI R 17/21).
Der Sachverhalt in aller Kürze:
Der Kläger ist niedergelassener Facharzt für Chirurgie. Er betreibt eine Praxis, die sich auf die Behandlung von Haarausfall spezialisiert hat. Seine ärztliche Tätigkeit besteht darin, die Patienten zunächst dahingehend zu untersuchen, welche Erscheinungsform des Haarausfalls vorliegt. Bei androgenetischer, hereditärer und vernarbender Alopezie beiderlei Geschlechts nimmt er anschließend Transplantationen patienteneigener Haarwurzeln vor.
Für die Streitjahre erklärte der Kläger 90 Prozent seiner Umsätze als steuerfrei; es handele sich um Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin i.S. des § 4 Nr. 14 Buchst. a UStG, die er in Ausübung seiner Tätigkeit als Arzt durchgeführt habe. Das Finanzamt nahm dagegen an, dass die vom Kläger erbrachten Haarverpflanzungen nur insoweit steuerfrei seien, als sie auf Patienten mit so genannter narbiger Alopezie entfielen. Nur insoweit sei eine Krankheit im Sinne des § 27 Satz 1 Nr. 1 SGB V ersichtlich. Die übrigen Umsätze seien hingegen steuerpflichtig. Eine ärztliche Heilbehandlung sei insoweit nicht gegeben.
Der BFH ist hingegen – überwiegend – anderer Ansicht und hat wie oben dargestellt entschieden.
Begründung:
Die Begründung des BFH ist recht komplex, so dass diese hier nicht weiter dargestellt werden soll. Es bleibt letztlich festzuhalten, dass der BFH in bestimmten Fällen typisierend einen therapeutischen Zweck der Behandlung annimmt. In anderen Fällen ist hingegen eher zu vermuten, dass eine Haarverpflanzung regelmäßig aus kosmetischen Zwecken und nicht zur Behandlung einer Krankheit erfolgt. Ein behandlungsbedürftiger Zustand kann aber dennoch anzunehmen sein, wenn der Haarausfall bei dem Betroffenen im Einzelfall zu Folgeerkrankungen – insbesondere zu solcher psychischer Natur – führt.
Dann ist aber eine qualifizierte ärztliche Bescheinigung zu verlangen, die Angaben insbesondere dazu enthalten soll, auf welcher tatsächlichen Grundlage die fachliche Beurteilung erfolgt ist, welche Methode der Tatsachenerhebung angewandt wurde, wie die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose) lautet, welchen Schweregrad die Erkrankung aufweist und welche (entstellenden oder psychischen) Folgen sich aus ihr ergeben. Zu beachten ist dabei auch, dass die Feststellung einer entstellenden Wirkung oder einer psychischen Erkrankung typischerweise nicht durch einen Chirurgen, sondern durch einen dafür zuständigen Facharzt erfolgt.
Denkanstoß:
Auch wenn es im Besprechungsfall um die Umsatzsteuerbefreiung für Haarwurzeltransplantationen bei Haarausfall ging, sind die Aussagen des BFH auf andere Behandlungen im Grenzbereich zwischen Heilbehandlungen („therapeutischer Zweck“) und ästhetischen Behandlungen übertragbar.
Übrigens, nur am Rande sei auch auf den Beschluss des BFH vom 29.8.2024 (V B 35/23) hingewiesen. Allzu oft „vergessen“ Finanzbeamte und Finanzgerichte nämlich, dass die Steuerpflicht von Leistungen üblicherweise den – anteiligen – Vorsteuerabzug ermöglicht. Für diese Fälle gibt der erwähnte BFH-Beschluss den Steuerpflichtigen gute Argumente an die Hand, um wenigstens den Vorsteuerabzug retten zu können.