Sind die Arbeitslöhne als Zerlegungsmaßstab der Gewerbesteuer zeitgemäß?

Seit dem Gewerbesteuergesetz 1937 bilden die Arbeitslöhne in den Betriebsstätten eines Gewerbebetriebs den Regelzerlegungsmaßstab der Gewerbesteuer. Trotz häufiger Kritik blieb der Regelzerlegungsmaßstab über die Jahre hinweg nahezu unverändert – eine echte Ausnahme im Ertragsteuerrecht.

Hintergrund des Zerlegungsmaßstabs

Die Gewerbesteuer soll den Gemeinden einen gewissen Ausgleich für die Lasten bieten, welche die Betriebe der Industrie, des Handels und des Handwerks den Gemeinden verursachen. Daher ist es das Ziel der Zerlegung, den Gemeinden den Anteil am Gewerbesteuermessbetrag zuzugestehen, der deren eigenen durch den Betrieb und dessen Arbeitnehmer inkl. Angehöriger entstehenden Aufwendungen entspricht (sog. Arbeitnehmerfolgekosten, z. B. Bau und Unterhaltung von Schulen, Straßen und Krankenhäusern). Hierfür hat der historische Gesetzgeber die Zerlegung nach den anteiligen Arbeitslöhnen als geeignet angesehen. Der Regelzerlegungsmaßstab der Arbeitslöhne entstand vor dem Hintergrund der Wirtschaftsstruktur der 1930er Jahre. Ist der Zerlegungsmaßstab in der heutigen Wirtschaftsrealität noch angemessen?

Veränderte Unternehmens- und Beschäftigtenstruktur

Durch Technisierung und Digitalisierung in der Produktion sind teil- und vollautomatisierte Betriebsanlagen entstanden, welche einen sinkenden Arbeitnehmeranteil bedingen. In vielen Wirtschaftsbereichen, die der historische Gesetzgeber stellvertretend vor Augen gehabt haben dürfte, kann der Umfang der kommunalen Lasten damit kaum mehr nach den entstandenen Arbeitslöhnen bemessen werden. Auch die Überlegungen zur grenzüberschreitenden Fortentwicklung des Begriffs der Betriebsstätte entziehen der Gewerbesteuerzerlegung nach den Arbeitslöhnen den Boden.

Zudem sind Hilfs- und Verwaltungsaufgaben, die neben dem originären Geschäftsbetrieb anfallen, zunehmend auf Dienstleister übertragen worden (u. a. Reinigung- und Hausmeisterdienste, Wartung von Anlagen, Wachschutz). Diese Aufgaben wurden vormals intern durch eigene Arbeitnehmer wahrgenommen, deren Arbeitslöhne sich entsprechend in den Zerlegungsanteilen der Gemeinden niederschlugen. Nunmehr kommt es einerseits zu örtlichen Verschiebungen je nach Ansässigkeit des beauftragten Dienstleisters und andererseits durch die für Personenunternehmen zu gewährenden Freibeträge nach § 11 GewStG zu endgültigen Minderungen des Gewerbesteuer-Substrats der einzelnen Kommune.

Das Leitmotiv der kommunalen Arbeitnehmerfolgekosten ist, dass der Betrieb sehr lokal bestimmt ist. Es unterstellt, dass der ganz überwiegende Anteil der Arbeitnehmer einer Betriebsstätte am Tätigkeitsort wohnt und (nur) die örtliche Infrastruktur  in Anspruch nimmt. Dieser Gedanke blendet die hohe Anzahl der übergemeindlichen Berufspendler aus, welche überwiegend die Infrastruktur ihrer Wohngemeinde beanspruchen. Im Jahr 2016 waren 48 % der Berufspendler in einer Betriebsstätte außerhalb der Wohngemeinde tätig, im Jahr 1950 nur 15 %.  Diese erhebliche Veränderung müsste auch der Regelzerlegungsmaßstab abbilden.

Gestaltungsanfälligkeit der Lohnsummen

Die Lohnsumme der einzelnen Betriebsstätten kann durch verschiedene Maßnahmen dahingehend beeinflusst werden, dass Arbeitslöhne den Betriebsstätten zugeordnet werden, die in Kommunen mit niedrigen Hebesätzen zur Gewerbesteuer belegen sind. Das Zerlegungsergebnis wird verzerrt. Das Ziel der lastengerechten Beteiligung der Betriebsstättengemeinden am Gewerbesteueraufkommen kann dadurch bereits im Ansatz nicht mehr realisiert werden. Soll dieses gesetzgeberische Ziel weiterhin erreicht werden, sind gesetzliche Korrekturen notwendig.

In der Literatur werden u. a. folgende Gestaltungsmodelle beschrieben:

  • Personalgestellungsmodelle in verbundenen Unternehmen
  • örtliche Verlagerung der Geschäftsführung
  • Zuordnung von Außendienstmitarbeitern zu bestimmten Betriebsstätten
  • Verstärkter Einsatz freiberuflicher Mitarbeiter

Fazit:

Der Regezerlegungsmaßstab der Arbeitslöhne ist nicht überholt, aber stark reparaturbedürftig. Für künftige Reformüberlegungen zum Zerlegungsmaßstab bleibt festzuhalten:

„Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Wenn es aber besser werden soll, muss es anders werden.“ (Georg Christoph Lichtenberg)


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