Serie Bilanzskandale: Wirecard-Skandal übertrifft alle bisherigen Bilanzskandale

„Die Leute glauben nicht, was sie sehen. Sie sehen, was sie glauben.“

 Nun ist es sicher: Beim DAX-Konzern Wirecard wurden Bilanzen gefälscht. Dies nicht erst seit gestern. Bereits im Januar hatte ich mich auf meinem FINANCE-Blog „Abgeschminkt“ geäußert, warum Kleinaktionäre Wirecard unter Druck setzen. Die Veröffentlichung des Geschäftsberichtes 2019 wurde in diesem Jahr mehrmals verschoben. Am 18. Juni 2020 sollte es dann endlich soweit sein.

Was seit dem 18. Juni passiert ist…

Mittlerweile wissen wir: Der Wirtschaftsprüfer hat dem DAX-Konzern das Testat verweigert. Auch das erteilte Testat für 2018 wurde mittlerweile zurückgezogen. Die Ereignisse haben sich in den letzten Wochen überschlagen. Während der ehemalige Vorstand Markus Braun nach einem Kurztrip in den Knast gegen Kaution wieder freigelassen wurde, ist sein Ex-Kollege Jan Marsalek derzeit noch auf der Flucht (Stand: 7. Juli 2020).

Neben dem langjährigen Wirtschaftsprüfer EY, wurden auch die Aufsicht (Bafin, DPR) und die Aufsichtsräte kritisiert. Mangelnde Aufsicht, fehlende Kontrolle waren einige der Vorwürfe. Auch durch die Anmeldung der Insolvenz wird gerade Wirtschaftsgeschichte geschrieben: Der bisher größte Bilanzskandal des badischen Unternehmens Flowtex wird nun durch Wirecard abgelöst. Erstmals meldet ein DAX-Konzern Insolvenz an, ein Vorstand ist auf der Flucht wegen Vorwürfen manipulierter Bilanzen. Ein wahrer Science-Fiction-Film, der für mich als Bilanzexpertin noch deutlich mehr Fiction in sich hat als die Corona-Pandemie.

 Was den Fall besonders macht

Der Bilanzskandal hat nicht nur wegen der ominösen 1,9 Milliarden Euro eine besondere Brisanz. Derzeit stellt sich die Frage, wann die Bilanzmanipulationen ihren Anfang nahmen. Wie wir mittlerweile wissen, existiert dieser Betrag gar nicht. Es handelte sich auch nicht um Zahlungsmittel, wie im Untersuchungsbericht von KPMG, der Ende April 2020 veröffentlicht wurde, moniert wurde. Diese angeblichen Guthaben auf Treuhandkonten müssen eigentlich unter sonstigen finanziellen Vermögenswerten ausgewiesen werden. Wirecard hatte offenbar ein Gutachten, dass den Ausweis unter den Zahlungsmitteln und Zahlungsmitteläquivalenten als zulässig erachtet.

Aus den Berichten der Süddeutschen Zeitung vom 2. Juli 2020 wird deutlich: Auch das immaterielle Vermögen war vermutlich immens aufgeblasen. Dies betrug zum 31.12.2018 laut Bilanz ca. 1,4 Milliarden Euro. Im Gegensatz zu Zahlungsmitteln gibt es hier einen legalen Bewertungsspielraum, sodass die Buchwerte hier generell kritischer hinterfragt werden.

Dennoch: Es gab bereits seit längerer Zeit einige Warnzeichen, dass die Bilanzen des Konzerns möglicherweise mit illegalen Mitteln aufgepumpt waren. Doch wollten es viele nicht hören. Wie sagte einst „Big Manni“ in dem Film um den Bilanzskandal bei Flowtex: „Die Leute glauben nicht, was sie sehen. Sie sehen, was sie glauben.“ Das trifft vermutlich leider auch in diesem Fall zu.

 Weitere Informationen:

Der NWB-Podcast zum Thema „Bilanzskandale“ – Der WIRECARD Skandal hat weitreichende Folgen für die Finanzbranche. Was in diesem Krimi nun auf die BaFin zukommt und welche Rolle die prüfenden WP-Gesellschaften haben, erfahren Sie in der neuen Folge des STEUERBAR Podcasts.
https://www.steuerbar-podcast.de

Aktuelle Videos meines Youtube-Kanals der Reihe „Wirecard erklärt – Erläuterungen der Bilanzierungsexpertin Dr. Carola Rinker“ gibt es unter folgendem Link: https://www.youtube.com/results?search_query=carola+rinker

Zum Wirecard-Artikel auf meinem FINANCE-Blog „Abgeschminkt“: https://www.finance-magazin.de/blogs/abgeschminkt/

Da ich mich seit vielen Jahren mit dem Thema Bilanzfälschung beschäftige, wurde ich seit dem 18. Juni 2020 von zahlreichen (inter-)nationalen Medien zum Bilanzkrimi bei Wirecard befragt. Einen Überblick über meine Interviews und Zitate in Fernsehen, Radio und Zeitung finden Sie auf meiner Website: https://www.carolarinker.de/presse/

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