Schuldenstreit und Grundgesetzänderung – BVerfG stärkt Rechte des Parlaments

Am 18.3.2025 hat der „alte“ Bundestag über eine weitreichende Änderung des Grundgesetzes abstimmen. Dass dies überhaupt möglich ist, hat das BVerfG am 13.3.2025 in mehreren Eilentscheidungen festgestellt. Dabei hat das BVerfG die Parlamentsrechte gestärkt.

Hintergrund

Am 13.3.2025 hat sich der Bundestag in erster Lesung den von den Fraktionen von CDU/CSU und SPD eingebrachten „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 109, 115 und 143h)“ (BT-Drs. 20/15096) befasst. Ziel dieses Entwurfs ist es, höhere Verteidigungsausgaben, ein Sondervermögen Infrastruktur in Höhe von 500 Milliarden Euro und einen Verschuldungsspielraum für die Haushalte der Länder zu ermöglichen. Das Bundesverfassungsgericht (2 BvE 4/25 sowie BVerfG 2 BvE 2/25, 3/25 und 5/25 v. 13.3.2025) hat den Weg dafür frei gemacht, dass der (alte) Bundestag überhaupt noch am 18.3.2025 über die Grundgesetzänderung abstimmen durfte.

Worum ging es in den Verfahren?

Im Verfahren BVerfG 2 BvE 4/25 wandte sich eine fraktionslose BT-Abgeordnete im Eilverfahren (§ 32 BVerfGG) im Wesentlichen gegen die Anberaumung und Durchführung der Sondersitzungen des 20. Deutschen Bundestages am 13. und 18. März 2025, in denen über mögliche Grundgesetzänderungen beraten werden soll. Sie wandte sich gegen die Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens.

In den Verfahren BVerfG 2 BvE 2/25, 3/25 und 5/25 hielten die AfD-Fraktion des 20. Bundestages, die (künftige) Fraktion der Linken im 21. Bundestag sowie einzelne Abgeordnete die Einberufung des „alten“ Bundestages insbesondere deswegen für pflichtwidrig, weil vielmehr der neu gewählte Bundestag so schnell wie möglich einzuberufen sei. Dies dürfe nicht durch eine Einberufung des alten Bundestages blockiert werden, wenn der neue 21. Bundestag – wie hier – bereits konstituierungsfähig sei. Damit seien sie in ihren Rechten verletzt.

Entscheidungen des BVerfG

Im Verfahren 2 BvE 4/25 hat das BVerfG den Antrag nach summarischer Prüfung abgelehnt:  wäre eine einstweilige Anordnung erfolgt, jedoch die nachfolgende Hauptsache erfolglos, wäre es zu einem erheblichen Eingriff in die Autonomie des Parlaments gekommen. voraussichtlich endgültig die Beschlussfassung des alten Bundestages verhindern, da diesem nur ein begrenzter Zeitraum bis zur Konstituierung des künftigen Bundestages zur Verfügung steht. Abgeordnete des alten Bundestages würden ihr Recht auf Beschlussfassung unwiederbringlich verlieren. Ergeht – wie geschehen – die einstweilige Anordnung nicht und hätte die Hauptsache Erfolg, wäre der Antragstellerin – und möglicherweise auch weiteren Abgeordneten – unwiederbringlich die Möglichkeit genommen, bei den Beratungen und der Beschlussfassung ihre Mitwirkungsrechte im verfassungsrechtlich garantierten Umfang wahrzunehmen. In beiden Fällen wären also Abgeordnetenrechte irreversibel verletzt. Das BVerfG betont aber die Verfahrensautonomie des Parlaments, weil die Gefahr bestanden hätte, dass die Beschlussfassung über die eingebrachte Gesetzesvorlage wegen des Grundsatzes der Diskontinuität endgültig unmöglich wird.

Auch in den anderen Verfahren BVerfG 2 BvE 2/25, 3/25 und 5/25 hat das BVerfG ebenfalls eine einstweilige Anordnung abgelehnt. Das Gericht betont, dass die Wahlperiode des alten Bundestages nach Art. 39 Abs. 1 S. 2 GG erst durch den Zusammentritt des neuen Bundestages beendet wird. Bis dahin ist der alte Bundestag in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht beschränkt. Wann der Zusammentritt erfolgt, entscheidet allein der neue Bundestag. Er wird hieran durch die Einberufung des alten Bundestages nicht gehindert. Eine solche ist hier auch nicht pflichtwidrig. Denn beantragt ein Drittel der Mitglieder des Bundestages dessen Einberufung, ist die Bundestagspräsidentin hierzu nach Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG verpflichtet.

Einordnung und Bewertung

Eine einstweilige Anordnung des BVerfG ist in der Rechtsprechungstradition des BVerfG eine seltene Ausnahme und an strenge Voraussetzungen gebunden. Sie erfolgt nach § 32 Abs.1 BVerfGG nur, „wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist“. Das hat das BVerfG in den Streitfällen verneint.

Wichtig ist die Feststellung, dass der Bundestag bis zum Zusammentritt des neuen Bundestages „im Amt“ ist (Art. 39 Abs. 1 S.2 GG) und uneingeschränkt handlungsfähig ist. Eine Einschränkung seiner Beschlusskompetenz besteht nicht einmal, wenn es um verfassungsändernde Gesetze mit weitreichender Konsequenz geht, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit erfordern. Und wichtig ist auch, dass nach dem GG der Bundestag in der Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens frei ist. Ob eine Pflicht besteht, der Konstituierung des neuen Bundestages den Vorzug zu geben, hat das BVerfG offengelassen. Eine solche Pflicht bestünde allenfalls, wenn der neue Bundestag den Willen zum Zusammentritt gebildet und sich dafür auf einen Termin verständigt hätte. Fazit: Nach den Entscheidungen des BVerfG nimmt das GG in Kauf, dass der amtierende Bundestag bis zur Konstituierung des nächsten Bundestages selbst weitreichende Gesetzgebungsbeschlüsse fassen, selbst wenn sich diese für die nachfolgende Bundestages finanzpolitisch als „schwerer Ballast“ erweisen.

Update (17.3., 21:30 Uhr): Die Entscheidung v.13.3.2025 (2 BvE 4/25) zur Gestaltung des Gesetzgebungsverfahrens hat das BVerfG  am 17.3.2025 in sechs weiteren Entscheidungen (2 BvE 7/25; 8/25; 10/25; 11/25; 12/25 und 13/25) ausdrücklich bestätigt. „ Es gibt keinen allgemeinen Grundsatz, wonach allein wegen der drohenden Schaffung von irreversiblen Folgen durch die angegriffene Maßnahme eine Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache bereits im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes stets geboten wäre.“

Weitere Information

 

Ein Beitrag von:

  • Prof. Dr. jur. Ralf Jahn

    • Studium der Rechtswissenschaften in Würzburg
    • Hauptgeschäftsführer der IHK Würzburg-Schweinfurt
    • Honorarprofessor an der Universität Würzburg

    Warum blogge ich hier?
    Mein erster Blog bietet die Möglichkeit, das Thema der Pflicht der „Pflichtmitgliedschaft in Kammern“ „anzustoßen“ und in die Diskussion zu bringen. Bei genauem Hinsehen sichert der „Kammerzwang“ nämlich Freiheitsrechte durch die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Partizipation.

Kommentare zu diesem Beitrag:

Leave a Reply

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

− 2 = 3

ARCHIV

Archive