Mein heutiger Blog-Beitrag spiegelt natürlich nur meine persönliche Auffassung wider. Ich hoffe aber darauf, dass eine rege Diskussion entbrennt. Dabei habe ich mich an das Thema zunächst nicht herangetraut, da ich die Befürchtung hatte, hier möglicherweise in ein Wespennest zu stechen.
Es geht um die Leseleistung vieler Beamter. Und, zugegeben, die Beamten beklagen ihrerseits die Lesekompetenz vieler Steuerberater.
Nicht erst seit gestern stelle ich verstärkt fest, dass lange Schriftsätze nicht mehr hinreichend zur Kenntnis genommen werden. Ich selbst habe mehrfach erfahren müssen, dass Gedankengänge, die vielleicht auch einmal auf zwei oder drei Seiten ausgeführt werden, gar nicht mehr nachverfolgt werden. Im Zweifel werden Prüfungsfeststellungen „durchgezogen“ oder Einsprüche abgelehnt, und zwar ohne überhaupt auf die Argumente einzugehen. Ich erlebe es immer wieder, dass man zwar lange Schreiben zurückerhält. Diese sind aber oftmals zusammenhanglos aus Textbausteinen „zusammengezimmert“; auf ein einschlägiges Argument oder ein zitiertes Urteil wird aber merkwürdigerweise gar nicht eingegangen.
Ich frage mich dann, ob es an meinen Formulierungen liegt, am Zeitmangel auf Seiten meines Gegenübers oder einfach an der mangelnden Konzentration. Ich bin geneigt, es zunehmend dem letzten Grund zuzuordnen, das heißt ich habe den Eindruck, dass im heutigen Zeitalter der kurzen und knappen Nachrichten einfach nicht mehr die Fähigkeit vorhanden ist, längere Gedankengänge nachzuvollziehen. Zum Teil ist man einfach auch „festgefahren“ und will sich Gegenargumenten gar nicht öffnen.
Wenn ich mir dann noch die letzte IGLU-Studie zur Lesekompetenz der Grundschüler in Deutschland anschaue, wird mir angst und bange. Auch wenn es noch einige Jahre dauern wird, bis die heutigen Grundschulkinder ins Berufsleben eintreten werden, so lässt sich doch schon heute erahnen, dass rechtliche Streitigkeiten in Zukunft anders geführt werden müssen. Lange Schriftsätze sind jedenfalls „out.“
Wie eingangs erwähnt: Beamte (und insbesondere auch Richter) werden sicherlich entgegenhalten, dass ihre Schriftsätze ebenfalls nicht hinreichend zur Kenntnis genommen werden. Von daher möchte ich hier nicht den Eindruck erwecken, es geht nur um Staatsdiener.
Wie sind Ihre Erfahrungen? Liege ich mit meiner These falsch? Ich freue mich auf Ihre Kommentare.
Ich würde Ihnen generell Recht geben, allerdings sind die Gründe unterschiedlich. Wenn es sich um Schreiben in die Veranlagungsbezirke handelt, muss es schnell gehen. Nach Aussagen ehemaliger Finanzbeamter habe die einfach keine Zeit sich tiefgehend materiell mit Argumenten auseinanderzusetzen. Da müssen Stückzahlen her. Vielleicht fehlt auch manchmal der fachliche Background, wenn es sich um den mittleren Dienst handelt.
Ich habe selbst schon in eigener Sache erlebt, dass man u.a. bei VuV umfangreich abweichen wollte (tlw. wohl zurecht), nach meinem fünfseitigen Schreiben mit Erläuterungen stand allerdings nur noch im Bescheid „Ihrem Schreiben vom … wurde entsprochen“. Da hatte ich dann das Gefühl, dass es schnell gehen musste.
Bei Schreiben nach einer BP fehlt es am Willen sich mit Argumenten auseinanderzusetzen, weil das Mehrergebnis so schön passend erscheint. Mir wurde selbst schon gesagt, dass man sich damit gar nicht auseinandergesetzt hat und „ich das ja dem FG-Richter erzählen könne“, nachdem ich mal gefragt, ob meine Argumente gar nicht zum Umdenken führen können.
Grundsätzlich geht die Reise ja sowieso dahin, dass man sich in einer BP kaum noch materiell mit Sachverhalten auseinandersetzt, sondern nur noch formal (Kasse, Fahrtenbuch etc.), das ist zumindest mein Eindruck der letzten Jahre. Die nachwachsende (Copy- and paste) Generation an BPs der FinVerw. will sich damit auch gar nicht auseinandersetzen, sondern schnell in die Schätzbefugnis und damit Mehrergebnisse erzielen. Darauf muss man sich halt einstellen.