Auch wenn das Zivilrecht naturgemäß nicht zur Kernkompetenz eines Steuerberaters gehört, möchte ich heute dennoch ein Urteil aus diesem Bereich vorstellen, da es letztlich doch das Steuerrecht – hier das Umsatzsteuerrecht – betrifft und es für viele Menschen Bedeutung haben dürfte. Es geht um die Frage, ob ein Kfz-Unfallschaden mit oder ohne Umsatzsteuer zu regulieren ist. Aktuell hat der BGH entschieden, dass selbst dann kein Anspruch auf Zahlung der Umsatzsteuer gegenüber der Versicherung besteht, wenn ein Geschädigter seinen Schaden fiktiv per Gutachten abrechnet und ein Ersatzfahrzeug inklusive Umsatzsteuer erwirbt (BGH-Urteil vom 2.10.2018, VI ZR 40/18).
Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Nach einem Verkehrsunfall ermittelte ein Sachverständiger für das verunfallte Fahrzeug einen Brutto-Wiederbeschaffungswert von 22.350 EUR und einen Restwert von 8.000 EUR. Der Geschädigte veräußerte das Unfallfahrzeug und erwarb ein Ersatzfahrzeug für 14.500 EUR inklusive 19 % Umsatzsteuer. Gegenüber der gegnerischen Versicherung rechnete er den Aufwand für die Wiederbeschaffung auf Gutachtenbasis ab, wobei er vom Brutto-Wiederbeschaffungswert als Restwert 8.200 EUR statt 8.000 EUR in Abzug brachte, mithin 14.150 EUR (22.350 EUR ./. 8.200 EUR) verlangte. Die Versicherung zahlte jedoch nur 12.896,63 EUR. Hiergegen wandte sich der Geschädigte. Er ist der Auffassung, es sei von dem im Gutachten ausgewiesenen Brutto-Wiederbeschaffungswert auszugehen, da er ein Ersatzfahrzeug erworben habe, so dass Umsatzsteuer tatsächlich angefallen sei. Letztlich unterlag er mit seinem Begehren vor dem BGH. Im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung sei – trotz einer tatsächlich vorgenommenen, aber nicht konkret abgerechneten Ersatzbeschaffung – nicht vom Brutto-, sondern vom Netto-Wiederbeschaffungswert auszugehen.
Der BGH vertritt in seinem Urteil keine wirtschaftliche Betrachtungsweise, sondern eine streng formale: Der Schadenersatz schließt die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist. Die Umsatzsteuer soll hingegen nicht ersetzt werden, wenn und soweit sie nur fiktiv bleibt, weil es zu einer umsatzsteuerpflichtigen Reparatur oder Ersatzbeschaffung nicht kommt. Verzichtet der Geschädigte auf eine Reparatur oder Ersatzbeschaffung und verlangt stattdessen den hierfür erforderlichen (gutachterlich ermittelten) Geldbetrag, erhält er nicht den vollen, sondern den um die Umsatzsteuer reduzierten Geldbetrag. Dies gilt auch für den Fall, dass der Geschädigte zwar tatsächlich eine umsatzsteuerpflichtige Ersatzbeschaffung vornimmt, die dabei anfallende Umsatzsteuer also zur Wiederherstellung des früheren Zustands einsetzt, für die Schadensabrechnung aber die für ihn günstigere Möglichkeit einer fiktiven Abrechnung der Kosten der Ersatzbeschaffung auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens wählt. Eine Kombination von fiktiver und konkreter Schadensabrechnung sei insoweit unzulässig.
Hinweis:
Vor vielen Jahren habe ich – seinerzeit noch beim IWW-Verlag – eine Zeitschrift für Kfz-Händler und auch eine Zeitschrift für Versicherungskaufleute betreut. Von daher begleitet mich das oben dargestellte Thema seit fast 25 Jahren. Und ich gebe zu: Die formale Betrachtungsweise des BGH habe ich noch nie verstanden. Dass ich damit nicht allein dastehe, zeigen die Entscheidungen der Vorinstanzen. Sowohl das Amtsgericht als auch das Landgericht hatten nämlich dem Geschädigten Recht gegeben. Letztlich haben also mehrere Juristen, vermutlich mit Prädikatsexamen, kein einheitliches Verständnis über die Wirkweise der Umsatzsteuer. Nun, in dem genannten Verfahren ging es „nur“ ums Geld. Wenn nun aber in Strafverfahren ein ähnlich uneinheitliches Verständnis herrscht, ist das nicht mehr zu tolerieren. Ich erlaube mir hier die – vielleicht provokante – Bemerkung, dass Zivil- bzw. Strafgerichte und das Steuerrecht irgendwie nicht zusammenpassen.
Wie sind Ihre Erfahrungen mit Zivilgerichten in Steuerfragen?
Weitere Informationen:
BGH v. 02.10.2018 – VI ZR 40/18