Der BFH hatte mit Urteil vom 21.10.2015 (XI R 40/13) entschieden, dass der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung für die Lieferung eines Grundstücks (außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens) nur in dem ursprünglichen Notarvertrag erklärt werden kann. Ein späterer Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung ist unwirksam, auch wenn er notariell beurkundet wird.
Das Urteil wirft in der Praxis enorme Probleme auf, denn letztlich führt es dazu, dass ein “Optionsfehler“ nicht geheilt werden kann. Das heißt: Wird ein Grundstück ohne Option zur Umsatzsteuer veräußert und stellt sich später heraus, dass eine steuerpflichtige Übertragung sinnvoll gewesen wäre, so können die Vertragsparteien den ursprünglichen Vertrag nicht mit steuerlicher Wirkung korrigieren, auch wenn sie erneut zum Notar “marschieren“.
Das BMF ist der Rechtsprechung mit Schreiben vom 2.8.2017 (BStBl 2017 I S.1240) gefolgt. Abschnitt 9.2 Abs. 9 UStAE wurde wie folgt gefasst:
„Der Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung der Lieferung eines Grundstücks außerhalb eines Zwangsversteigerungsverfahrens kann nur in dem dieser Grundstückslieferung zu Grunde liegenden notariell zu beurkundendem Vertrag erklärt werden. Ein späterer Verzicht auf die Umsatzsteuerbefreiung ist unwirksam, auch wenn er notariell beurkundet wird (….). Gleiches gilt für die Rücknahme des Verzichts auf die Umsatzsteuerbefreiung.“
Doch der letzte Satz könnte über den Willen des BFH hinausgehen. Zumindest hat dies das FG Baden-Württemberg kürzlich entschieden und die Rückgängigmachung der Steuerpflicht einer Grundstückslieferung zugelassen (Urteil vom 1.8.2019, 1 K 3115/18). Die Revision ist zwischenzeitlich beim BFH unter dem Az. XI R 22/19 anhängig.
Der Fall:
Die Klägerin erwarb mit notariell beurkundetem Grundstückskaufvertrag vom Mai 2009 ein Grundstück für 320.000 Euro. Auf dem Grundstück stand ein sanierungsbedürftiges Gebäude. Die Veräußerin verzichtete auf die Steuerbefreiung für Grundstückslieferungen. Die Klägerin wollte das Objekt sanieren und steuerpflichtig weiterverkaufen. In ihrer Umsatzsteuererklärung 2009 gab sie Umsätze von 320.000 Euro an, für die sie nach § 13b UStG als Leistungsempfängerin die Steuer schuldete, und zog die sich daraus ergebende Steuer von 60.800 EUR als Vorsteuer wieder ab. Entgegen ihrer ursprünglichen Absicht veräußerte die Klägerin im November 2011 eine Teilfläche des Grundstücks mit dem nicht sanierten Gebäude, und zwar ohne Verzicht auf die Steuerbefreiung, also umsatzsteuerfrei.
Mit notariellem Vertrag vom April 2012 machte die ursprüngliche Veräußerin den im Grundstückskaufvertrag vom Mai 2009 erklärten Verzicht auf die Steuerbefreiung rückgängig. Das Finanzamt hielt die Rückgängigmachung des Verzichts auf die Steuerbefreiung für nicht wirksam. Der im Jahr 2009 vorgenommene Vorsteuerabzug sei nach § 15a Abs. 2 UStG im Jahr 2011 zu berichtigen. Vereinfacht ausgedrückt: Die Klägerin hat ein Grundstück, für dessen Erwerb sie die Vorsteuer abgezogen hat, umsatzsteuerfrei weiterverkauft. Die beim damaligen Ankauf „gewählte“ Steuerpflicht könne später nicht mehr rückgängig gemacht werden und die Folgen des § 15a UStG seien hinzunehmen. Doch die hiergegen gerichtete Klage war erfolgreich.
Begründung:
Der Rückgängigmachung des Verzichts stehe § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG nicht entgegen. Nach dessen Wortlaut sei nur der Verzicht auf die Steuerbefreiung (formal und zeitlich) begrenzt, nicht jedoch die Rückgängigmachung. Es liege in der Natur der Sache, dass die Rückgängigmachung dem Verzicht – als Reaktion der Parteien auf die geänderten Verhältnisse bei der Verwendung des Grundstücks – zeitlich nachfolgt und nicht zugleich im erstmaligen Grundstückskaufvertrag beurkundet sein kann.
Folgte man dem Finanzamt, wäre die Rückgängigmachung des Verzichts faktisch ausgeschlossen. Der Zweck des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG, den Leistungsempfänger vor einem nachträglichen Verzicht des leistenden Unternehmers, durch den eine nachträgliche Steuerschuld beim Leistungsempfänger entstehen würde, zu schützen, treffe auf die Rückgängigmachung eines Verzichts nicht zu, da gerade zur Steuerfreiheit zurückgekehrt wird. Die Rückgängigmachung eines Verzichts sei daher ohne die Beschränkung des § 9 Abs. 3 Satz 2 UStG bis zum Eintritt der materiellen Bestandskraft (Unabänderbarkeit) der Umsatzsteuerfestsetzung möglich.
Praxishinweis:
Die Revision wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen. Sie liegt zwischenzeitlich unter dem Az. XI R 22/19 vor. Das Urteil hat übrigens noch eine interessante verfahrensrechtliche Komponente zu bieten: Es geht um die Fiktion der Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes innerhalb des Dreitageszeitraums, wenn eine Einspruchsentscheidung durch einen privaten Postdienstleister zugestellt wird.
Im Urteil heißt es dazu unter anderem:
„Für die Erschütterung der Zugangsfiktion reicht es zunächst aus, wenn der Empfänger darauf hinweist, dass die Zustellung von einem privaten Zustelldienst unter Zwischenschaltung eines weiteren Dienstleistungsunternehmens erfolgt ist, insbesondere bei einem auf einen Freitag fallenden Postaufgabetag. Es liegt dann im Verantwortungsbereich des Beklagten nachzuweisen, dass die Bekanntgabe innerhalb des Dreitageszeitraums des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO durch den privaten Postdienstleister mit jedenfalls gleich hoher Verlässlichkeit zu erwarten ist wie bei einer Versendung im Rahmen des Postuniversaldienstes.“
Das Finanzamt kann sich also nicht mehr ohne Weiteres auf die Zuverlässigkeit von Postdienstleistern berufen, wenn der Steuerpflichtige vernünftige Gründe vorträgt, die Zweifel an der Dreitagesvermutung begründen können.