In einem brandaktuellen Urteil hat das BAG (23.01.2020 – 8 AZR 484/18) klargestellt, was im Bereich des öffentlichen Diensts bei Einstellungsbewerbungen von Schwerbehinderten zu beachten ist.
An diese Spielregeln sollten sich öffentliche Arbeitgeber tunlichst halten – sonst kann`s teuer werden!
Rechtlicher Hintergrund
Ziel des AGG ist es, Benachteiligungen wegen Geschlechts, Religion oder Weltanschauung, ethnischer Herkunft, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern. Das im Arbeitsleben deshalb Stellen (geschlechts-)neutral ausgeschrieben werden müssen, ist in der Praxis Allgemeinwissen. Dem AGG-Benachteiligungsverbot korrespondieren Entschädigungsansprüche des Diskriminierten mit Entschädigungssummen von bis zu drei Gehältern. Das gilt selbst dann, wenn sich der Bewerber im Auswahlprozess ohnehin nicht als “Bester“ durchgesetzt und vom Arbeitgeber eingestellt worden wäre.
Die strengen Beweislastregelungen des § 22 AGG erleichtern die Geltendmachung solcher Entschädigungsansprüche ganz erheblich. Denn der „benachteiligte“ Geschädigte muss lediglich Indizien einer Diskriminierung wie z.B. eine unzulässige Stellenausschreibung darlegen. Der Arbeitgeber muss dann umgekehrt beweisen, dass keine Diskriminierung vorlag. Genau das gelingt in der Praxis aber nur selten und begünstigen damit „Trittbrettfahrerei“ von Bewerbern, die es vornherein gar nicht auf den Arbeitsplatz abgesehen haben, sondern auf eine „Bewerbungspanne“ beim Arbeitgeber hoffen, die – ohne Gegenleistung – zu einer lukrativen Entschädigung führen. Das belegt auch der jüngste BAG-Fall.
Sachverhalt
Der schwerbehinderte Kläger hatte sich 2015 mit einer E-Mail auf eine für den Oberlandesgerichtsbezirk Köln ausgeschriebene Stelle im Gerichtsvollzieherdienst beworben. Die Bewerbung war mit dem deutlichen Hinweis auf seinen Grad der Behinderung (GdB) von 30 und seine Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen versehen. Obwohl der Kläger „prima vista“ fachlich für die Stelle nicht offensichtlich ungeeignet war, wurde er von dem Beklagten gar nicht erst zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Daraufhin machte der Kläger beim Land eine Entschädigung von rund 7.400 € geltend: Er sei nur wegen seiner Behinderung nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden, das verstoße gegen das Diskriminierungsverbot.
Das beklagte Land machte demgegenüber geltend, die Bewerbung des Klägers sei aufgrund eines schnell überlaufenden Outlook-Postfachs und wegen ungenauer Absprachen unter den zuständigen Mitarbeitern nicht in den Geschäftsgang gelangt. Schon deshalb sei der Kläger nicht wegen der (Schwer)Behinderung bzw. Gleichstellung benachteiligt worden. Während das Arbeitsgericht hat die Klage noch abgewiesen gewiesen hatte, gab das LAG Köln der Klage teilweise statt und sprach dem Kläger die verlangte Entschädigung in Höhe von 1.5 Monatsgehältern zu (LAG Köln, Urteil v. 23.8.2018 – 6 Sa 147/18). Im anschließenden Revisionsverfahren hatte die Entscheidung jetzt vor dem BAG Bestand.
Entscheidung des BAG
- Geht dem öffentlichen Arbeitgeber die Bewerbung einer fachlich nicht offensichtlich ungeeigneten schwerbehinderten oder dieser gleichgestellten Person zu, muss er diese nach § 82 S. 2 SGB IX a.F. zu einem Vorstellungsgespräch einladen.
- Unterlässt der Arbeitgeber dies, ist er dem erfolglosen Bewerber allerdings nicht bereits aus diesem Grund zur Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet. Das Unterlassen einer Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ist lediglich ein Indiz i.S.v. § 22 AGG, das die Vermutung begründet, dass der Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung nicht eingestellt wurde.
- Diese Vermutung kann der Arbeitgeber jedoch nach § 22 AGG widerlegen. Insoweit konnte das beklagte Land sich nicht darauf berufen, die Bewerbung sei nicht in den Geschäftsgang gelangt. Denn das Land trotz zugestandenem Zugangs der Bewerbung ausnahmsweise eine tatsächliche Kenntnisnahme nicht möglich war, wurde nicht vorgetragen. Auf Verschulden kam es nach den AGG-Regeln nicht an. Deswegen war der Zuspruch der Entschädigung war nicht zu beanstanden.
Worauf sollten Sie achten?
Öffentliche Arbeitgeber treffen bei Personalangelegenheiten besondere Pflichten. Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, sind sie nach § 82 S. 2 SGB IX a.F. zwingend zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Pflicht entfällt nach S. 3 nur, wenn der Bewerber „offensichtlich“ ungeeignet ist. Volles Postfach oder überlastete Mitarbeiter im Einstellungsprozess interessieren vor dem Hintergrund des AGG nicht und können zur Entschädigungspflicht führen (§ 15 Abs. 2 AGG). Das kann teuer werden, weil der Arbeitgeber ja keine Gegenleistung erhält.
Passiert dem Arbeitgeber eine solche Panne, ist dies aber nur ein Indiz für eine mögliche Benachteiligung wegen Behinderung; der Arbeitgeber kann diese Vermutung widerlegen. Die Beweislast für die Behauptung, es liege keine Benachteiligung wegen Behinderung vor, trifft dann den Arbeitgeber, nicht den Stellenbewerber, wenn dieser vorher Indizien vorträgt, er sei benachteiligt worden (§ 22 AGG).
Das BAG-Urteil zeigt: Der öffentliche Dienst hat besondere Vorbildfunktion für andere Arbeitgeber. Deswegen haben Arbeitgeber im öffentlichen Dienst besondere Sorgfaltspflichten zu beachten. Das gilt nicht nur im Vorfeld für die Erstellung der Stellenausschreibung, die vorherige Nachfrage bei der Agentur für Arbeit nach geeigneten schwerbehinderten Bewerbern und ein – diskriminierungsfreien – Umgang im Vorstellungsgespräch, sondern erst recht für eine sorgfältige Sichtung und Bearbeitung der eingehenden Unterlagen sowie für etwaige Rückmeldung an die Bewerber. Befolgt der Arbeitgeber im öffentlichen Dienst diese Spielregeln nicht, folgt die finanzielle Strafe auf dem Fuß.
Weitere Informationen:
BAG, Urteil v. 23.1.2020 – 8 AZR 484/18 (Pressemitteilung)