Über Sinn und Unsinn des Riester-Sparens ist schon viel geschrieben worden. Ich kann dazu nur sagen: Wenn es – wie aktuell – eines Schreibens des BMF von 129 Seiten mit 231 Randziffern bedarf, um Riester zu erläutern und zu Zweifelsfragen Stellung zu nehmen, dann läuft irgendetwas falsch (BMF-Schreiben vom 5.10.2023, IV C 3 – S 2015/22/10001 :001/NWB Online-Nachricht). Unabhängig von der Frage, ob „Riestern“ wirtschaftlich sinnvoll ist: Es ist zu kompliziert!
Auch die Finanzverwaltung hat erkannt, dass es zu kompliziert ist und sorgt für eine Vereinfachung – allerdings nur für sich selbst und nicht für die Riester-Sparer. Genau genommen ist es der Gesetzgeber, der für die Vereinfachung sorgt, aber man darf wohl ausgehen, dass er nur einem „Wunsch“ der Finanzverwaltung nachgekommen ist. Für Riester-Sparer wird die Vereinfachung übrigens zur echten verfahrensrechtlichen Falle.
Worum geht es?
Manch Riester-Sparer hat in der Vergangenheit unangenehme Post seines Finanzamts erhalten. Ihm wurde mitgeteilt, dass der bereits gewährte Sonderausgabenabzug für mehrere Jahre zu kürzen sei, weil die Voraussetzungen für den Abzug nicht vorgelegen hätten. Zwar erfolg(t)en die Rückforderungen überwiegend zurecht. Doch es gibt auch Fälle, in denen diese falsch sind. Und dann beginnt das verfahrensrechtliche „Elend“.
Zunächst: Das Finanzamt reagiert „nur“ auf die Mitteilung der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen (ZfA) und fühlt sich insoweit – wie an einen Grundlagenbescheid – gebunden. Eine eigenständige Prüfung nimmt es nicht vor. Einwendungen des Steuerpflichtigen müssten bei der Zulagenstelle erfolgen. Doch entsprechende Einwendungen bei der ZfA sind gar nicht so einfach, da erstens vielfach gar nicht klar ist, wo der Fehler liegt, da die Bescheidbegründungen der Finanzämter arg zu wünschen übrig lassen. Und zweitens sind die Fristen für Einwendungen bei der ZfA oftmals längst abgelaufen.
Immerhin kam Unterstützung vom BFH für gebeutelte Riester-Sparer. Dieser hat entschieden, dass das Finanzamt eigenständig prüfen muss, ob die Voraussetzungen für die Rückgängigmachung des Sonderausgabenabzugs tatsächlich vorliegen. Es ist im Zweifelsfall verpflichtet, die Richtigkeit der Mitteilung der Zulagenstelle im Besteuerungsverfahren zu überprüfen (BFH-Urteil vom 8.9.2020, X R 2/19; gleichlautend: X R 16/19).
Der Sachverhalt:
Eheleute zahlten beide in ihre Altersvorsorgeverträge ein. Der Ehemann hatte in dem Vertragsformular fälschlicherweise angegeben, nur mittelbar zulageberechtigt zu sein. Die Ehegatten machten in ihren Steuererklärungen für die Streitjahre jeweils den Sonderausgabenabzug geltend. Erst nach einigen Jahren teilte die ZfA dem Finanzamt mit, dass der Ehemann nur mittelbar zulageberechtigt sei (so wie von ihm – fälschlicherweise – angegeben). Daraufhin änderte das Finanzamt die Einkommensteuerbescheide und kürzte den Sonderausgabenabzug. Zwar konnte der Ehemann nachweisen, dass er tatsächlich unmittelbar zulageberechtigt war, doch das Finanzamt sah sich an die Mitteilung der ZfA gebunden. Die ZfA wiederum lehnte die nachträgliche Festsetzung der Altersvorsorgezulage ab, da die Anträge nicht fristgemäß eingegangen seien.
Doch der BFH sieht die Sache anders:
Den Eheleuten sei aufgrund ihrer unmittelbaren Zulageberechtigung der ungekürzte Sonderausgabenabzug gemäß § 10a Abs. 1 EStG zu gewähren. Die Mitteilung der ZfA sei im Verhältnis zum Einkommensteuerbescheid weder ein Grundlagenbescheid noch komme ihr eine ähnliche Wirkung zu. Das Finanzamt darf den Inhalt dieser Mitteilung nicht ungeprüft umsetzen. Auf die Finanzämter kam daraufhin viel Arbeit zu. Schön ist in diesem Zusammenhang aber folgende Aussage des BFH: „Auch eine effizient arbeitende Verwaltung hat effektiven Rechtsschutz zu gewährleisten“.
Tja, und wie sieht der effektive Rechtsschutz aus?
Ganz einfach: Indem man das Gesetz ändert bzw. ändern lässt. Mit dem Beitragsjahr 2024 gilt eine neuer § 91 Abs. 1 Satz 4 EStG, der wie folgt lautet: „Ist die Zulage nach § 90 Absatz 4 von der zentralen Stelle unanfechtbar festgesetzt worden, sind diese gesondert festgesetzten Besteuerungsgrundlagen für das Finanzamt bindend und auch der gesonderten Feststellung nach § 10a Absatz 4 zu Grunde zu legen.“ Zu Deutsch: Das unliebsame BFH-Urteil wird ausgehebelt! Den „effektiven“ Rechtsschutz, wie vom BFH gefordert, wird es nicht mehr geben. Das ist doch ´mal eine Vereinfachung.
Denkanstoß:
Die Fälle, um die es geht, betreffen üblicherweise keine Spitzenverdiener, sondern „kleine“ Steuerpflichtige. Für diese Personen sind die Rückforderungen – zumal materiell-rechtlich eigentlich unnötig – extrem belastend.
Da wird einerseits gefordert, dass Bürgerinnen und Bürger privat fürs Alter vorsorgen sollen, während ihnen andererseits verfahrensrechtlich „Knüppel zwischen die Beine“ geworfen werden. So etwas nennt man wohl Doppelmoral.
Sehr geehrter Herr Herold, Sie haben die rechtsstaatlichen Mängel in diesem Land schön zusammengefasst. Nichtanwendungsgesetze sind eines echten Rechtsstaates eigentlich nicht würdig, aber leider auch in unserer vorbildlichen Demokratie ganz normal geworden.