Rentendoppelbesteuerung (Teil 1): Aufteilung des Sozialversicherungsbeitrags – BFH übersieht alte Rechtslage!

Das Thema Doppelbesteuerung der Renten wurde schon mehrfach aufgegriffen und diskutiert. Ich möchte in dieser kleinen Serie auf einige neue Implikationen der BFH-Urteile vom 19.05.2021 aufmerksam machen.

Der BFH hat entschieden, dass für die Vergleichsrechnung zur Feststellung einer etwaigen Doppelbesteuerung von Leibrenten der Basisversorgung die Beiträge in der Erwerbsphase zu den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung im Rahmen der Höchstbeträge gleichrangig aufzuteilen sind (BFH vom 19.05.2021, X R 20/19 und X R 33/19). Zur Begründung verweist er auf einen Beschluss des BVerfG vom 13.02.2008 (2 BvL 1/06), in dem das BVerfG eine gleichrangige Aufteilung als diejenige mit der höchsten Plausibilität angenommen haben soll.

Dabei hat der BFH jedoch nicht berücksichtigt, dass sich der Beschluss des BVerfG nur auf die Rechtslage ab 1997 bezogen hat. Dieser Fehler führt zu insoweit zu einer unrichtigen Berechnung von möglichen Doppelbesteuerungen.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts – Abzug von Sozialversicherungsausgaben neu ordnen

Für den Sonderausgabenabzug bildete § 10 Abs. 3 a.F. EStG (§ 10 Abs. 4 EstG i.d.F. des AltEinkG) einen einheitlichen Höchstbetrag für alle Vorsorgeaufwendungen, ohne dass aus der Entstehungsgeschichte oder der Normstruktur erkennbar wäre, welcher Anteil auf Beiträge zur Kranken- oder Pflegeversicherung entfällt (vgl. BVerfG-Beschluss 2 BvL 1/06).

Das BVerfG hatte in diesem Beschluss über die Frage zu entscheiden, ob von Verfassung wegen über das sächliche Existenzminimum (Grundfreibetrag) hinaus auch Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als existenzsichernd und nicht disponibel von der Steuer freizustellen sind und dies im Ergebnis bejaht. Der Gesetzgeber wurde zu einer Neuordnung des Abzugs von Sozialversicherungsausgaben spätestens zum 01.01.2010 verpflichtet; bis dahin konnten die Vorschriften fortgelten.

In seinen Berechnungen ging das BVerfG von einer gleichrangigen Zuordnung der Höchstbeträge auf die Zweige der Sozialversicherung aus, weil diese Aufteilung die größte Plausibilität für sich beanspruchen könne. So ergab sich für die zusammen veranlagten Beschwerdeführer für 1997 ein Höchstbetrag in Höhe von DM 19.830, von dementsprechend rechnerisch ein Teilbetrag in Höhe von DM 7.140 auf die Kranken- und Pflegeversicherung entfiel.

Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung diese Überlegung („größte Plausibilität“) auf die Rahmen der Doppelbesteuerungsproblematik vorzunehmende retrograde Zuordnung der Entlastungswirkungen des Sonderausgabenabzugs übertragen und deshalb auch diesbezüglich eine Gleichrangigkeit angenommen.

Der BFH führt dazu aus (Urteil vom 19.05.2021, X R 33/19, unter II.2. (3) c)cc)):

Für den Sonderausgabenabzug von Vorsorgeaufwendungen sowie für den Vorwegabzug des § 10 Abs. 3 a.F. EStG dürfte nach der Entscheidung des BVerfG in DStR 2008, 604, geklärt sein, dass eine Aufspaltung der Beiträge anhand der Beitragssätze für die als gleichrangig anzusehenden Zweige der Sozialversicherung vorzunehmen ist.“

Krankenversicherungsbeiträge vs. übrige Sozialversicherungsbeiträge

Aus heutiger Sicht hatten die Krankenversicherungsbeiträge schon immer eine andere Qualität als die Beiträge zu den übrigen Sozialversicherungszweigen. Als verfassungsmäßig verpflichtend sind sie im Rahmen der Höchstbeträge deshalb vorrangig zu berücksichtigen. Bereits bei Durchschnittsverdienern bleibt dann für die Berücksichtigung von Altersvorsorgebeiträgen kein Raum mehr.

Darüber hinaus hat der BFH übersehen, dass § 10 Abs. 3 EStG den Vorwegabzug bis 1991 dergestalt regelte, dass die Zukunftssicherungsleistungen des Arbeitgebers für Kranken- und Arbeitslosenversicherungsbeiträge keine Rolle spielten, sondern ausschließlich auf Rentenversicherungsleistungen abgestellt wurde, und zwar bis 1984 in voller Höhe, ab 1985 pauschal in Höhe von 9 % des Arbeitseinkommens.

Erst ab 1992 wurde der § 10 Abs. 3 EStG in der uns heute geläufigen Form formuliert, nämlich die Kürzung des Vorwegabzugs um sämtliche vom Arbeitgeber erbrachten Zukunftssicherungsleistungen, pauschaliert mit 16% des Arbeitseinkommens.

Fazit

Alles in allem heißt dies nichts anderes, als dass bis 1991 die eigenen Altersvorsorgebeiträge von Arbeitnehmern (Arbeitnehmeranteile) durch den Vorwegabzug aufgezehrt wurden und sich steuerlich nicht mehr auswirkten (mit Ausnahme von Spitzenbeträgen in den Jahren 1986 – 1991, in denen der Rentenversicherungsbeitrag mehr als 18 % betrug). Die BFH-Rechtsprechung, die für die gesamte Erwerbsphase von einer gleichrangigen Zuordnung ausgeht, ist deshalb offenkundig unzutreffend.

Unabhängig davon bleibt es aber dabei, dass Krankenversicherungsbeiträge ohnehin als nicht-disponible und existenzsichernde Aufwendungen in jedem Fall vorrangig zu berücksichtigen sind.

Bei der Prüfung auf Doppelbesteuerung ist eine steuerliche Entlastung durch den Abzug von Rentenversicherungsbeiträgen als Sonderausgaben in der Erwerbsphase deshalb nicht zu berücksichtigen.

In den nächsten Teilen werde ich die Aspekte Einbezug von Hinterbliebenenrenten, die Konzeption der Besteuerungssystematik in der Übergangsphase und die Bedeutung des neuen Vorläufigkeitsvermerks zur Besteuerung von Leibrenten der Basisversorgung beleuchten. Fortsetzung folgt also.


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