Das BVerwG hat die Corona-Ausgangssperre in Bayern, die ein Verlassen der Wohnung verbot, jetzt als rechtswidrig beanstandet. Jetzt überlegt die Bay. Staatsregierung in über 20.000 Fällen verhängte Bußgelder zurückzuerstatten. Was bedeutet das und welche Signalwirkung könnte dies haben?
Hintergrund
Während der Hochphase der Corona-Pandemie haben die Bundesländer mit einem umfangreichen infektionsschutzrechtlichen Maßnahmenkatalog reagiert, um eine Ausbreitung des Virus möglichst einzudämmen. Nach § 4 Abs. 2 Infektionsschutz-MaßnahmenVO (BayIfSMV) war das Verlassen der eigenen Wohnung nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt. Triftige Gründe waren insbesondere die in Absatz 3 aufgeführten Tätigkeiten, darunter Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstandes und ohne jede sonstige Gruppenbildung (§ 4 Abs. 3 Nr. 7 BayIfSMV). Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat auf einen Normenkontrollantrag von zwei Privatpersonen festgestellt, dass § 4 Abs. 2 und 3 BayIfSMV unwirksam war.
Jetzt hat auch das BVerwG festgestellt, dass die Regelungen über das Verlassen der eigenen Wohnung waren mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vereinbar, also rechtswidrig waren.
Bayern will Bußgelder rückerstatten – aber nur auf Antrag
Schon der BayVGH (6.10.2021- 20 N 20.767) hatte ausgeführt, der Freistaat Bayern habe die triftigen Gründe, die zum Verlassen der eigenen Wohnung berechtigten, so eng gefasst, dass die Ausgangsbeschränkung im Ergebnis unverhältnismäßig gewesen sei. Von der Beschränkung sei auch das Verweilen im Freien alleine oder ausschließlich mit Angehörigen des eigenen Hausstandes erfasst gewesen. Dass diese Maßnahme zur Hemmung der Übertragung des Coronavirus erforderlich und damit im Sinne von § 32 S. 1 i.V.m. § 28 Abs. 1 IfSG notwendig war, sei nicht zu erkennen.
Das Brisante war: Verstöße gegen die in der BayIfSMV genannten Betretungs- und Besuchsverbote, sowie die vorläufigen Ausgangsbeschränkungen waren nach dieser Verordnung als Ordnungswidrigkeiten zu ahnden. Das Verlassen der eigenen Wohnung ohne Vorliegen eines triftigen Grundes (§ 4 Abs. 2, § 5 Nr. 9 BayIfSMV) konnte mit einem Bußgeld von 150 Euro geahndet werden. Hiervon wurde in Bayern zwischen dem 1. und 19.4.2020 in über 22.100 Fällen Gebrauch gemacht – zuständig waren die Kreisverwaltungsbehörden auf kommunaler Ebene. Nach Ansicht des Bayerischen Justizministers sollen die in diesen Fällen verhängten Bußgelder „auf Antrag“ zurückgezahlt werden, eine abschließende Entscheidung steht aber noch aus.
Welche Breitenwirkung könnte das haben?
Ist es inakzeptabel, wenn Bürger auf Basis rechtswidriger Verordnungen durch (dann ebenfalls rechtswidrige) Bußgeldbescheide zur Kasse gebeten werden? Nun ist unter Juristen nicht streitig, dass auch rechtswidrige Verwaltungsakte vollstreckungsfähig sind. Das gilt auch für rechtswidrige Bußgeldbescheide, wenn sie nicht mehr mit Einspruch (§ 68 OWiG) angegriffen werden können. Etwas anders gilt allenfalls, wenn ein Verwaltungsakt nichtig ist, er also an einem unheilbaren, schweren Fehler leidet, der „ins Auge springt“ – davon ist hier nicht auszugehen.
Eine Wiederaufnahme von Bußgeldverfahren ist zwar grundsätzlich möglich, aber nach § 85 OWiG an strenge Voraussetzungen gebunden – auch wenn die Wiederaufnahme zugunsten des Betroffenen erfolgen soll. Da in vorliegendem Zusammenhang grundsätzlich nur geringe Bußgelder von 150 Euro betroffen waren, wird auch dieser Weg rechtlich verstellt bleiben.
Es mag sein, dass nach der Entscheidung des BVerwG der politische Druck und die Entrüstung wächst, wie man denn rechtswidrige staatliche Anordnungen auch noch mit Bußgeld ahnden konnte. Dennoch: Auch in solchen Fällen sämtliche juristischen Kategorien über Bord zu werden, widerstrebt dem Juristenherz.
Mehr noch: Wenn man diesen Weg beschreitet, droht wegen der Vorbildwirkung auch in anderen Bußgeldsachen künftig eine Rückerstattung „auf Antrag“, wenn sich nach Jahr und Tag herausstellt, dass die Grundlage der Sanktion rechtswidrig war.
Mein Fazit
Die Rechtsordnung dient auch dem Rechtsfrieden, und den sollte man auch in diesem Fall eintreten lassen.
Weitere Informationen
Das Juristenherz sollte weinen, dass es für diese Entscheidung 2 1/2 Jahre brauchte und die Justiz nicht schneller reagierte. Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hatte alle Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Corona-Verordnungen abgelehnt. Der Rechtsschutz hatte komplett versagt.
Die Corona-Verordnungen hatten massive Grundrechtseinschränkungen zur Folge und die Maßnahmen waren im Wesentlichen nutzlos. Die Exekutive sollte ihre Fehler eingestehen und die Bußgelder (auch ohne Rechtsgrundlage) zurückzahlen.
Rechtsfrieden wird nicht hergestellt, wenn grundrechtswidrige Maßnahmen mit Bußgeldern bewährt werden. Ein solches Verständnis widerspricht unserer Rechtsordnung. Zur Aufarbeitung der Corona Zeit gehört es, dass alle verfassungswidrigen Maßnahmen überprüft werden müssen und die Betroffenen gegebenenfalls entschädigt werden müssen.