Als Grundlage für die kommenden Koalitionsverhandlungen bieten Parteiprogramme einen validen Indikator, wie die Steuerpolitik der anstehenden Legislaturperiode aussehen könnte. Dinge, die noch nicht mal in Wahlprogrammen stehen, haben nämlich aus den Erfahrungen der Vergangenheit kaum Aussichten in das Arbeitsprogramm einer kommenden Bundesregierung aufgenommen zu werden. Auch schon vor Kenntnis des Wahlausgangs lohnt ein genauer Blick in die Wahlprogramme der Parteien, um die steuerpolitischen Erwartungen realistisch zu beurteilen. Die Vielfalt der steuerlichen Wahlprogrammpunkte wollen wir in einer kleinen Artikelserie beleuchten.
Dem Steuerrecht wohnen fundamentale Wertungen inne, die sich nicht nur in Tarif und Bemessungsrundlageneffekten verdeutlichen, sondern auch in steuersystematischen Grundentscheidungen. Daraus ergeben sich Fragen, ob bspw. jeder Euro gleichbehandelt werden soll, egal aus welcher Quelle er stammt, oder ob unterschiedliche Kategorien gebildet werden sollen. Dies kann sich dann bspw. in Sondervorschriften für Solidaritätszuschläge, einer Abgeltungsteuer, Thesaurierungsbegünstigung oder auch in verfahrensrechtlichen Bestimmungen sowie Vorgaben zur Verlustnutzung niederschlagen.
Gute Aussichten auf bessere Verlustnutzung …
Im Bereich der Unternehmensbesteuerung bieten CDU/CSU ein breites Spektrum an Forderungen für eine steuerliche Besserstellung von Unternehmen an. So will die Union endlich die Thesaurierungsbegünstigung verbessern – angestrebt wird Rechtsformneutralität. Die steuerliche Belastung von Einzelunternehmen, Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften soll gleich hoch sein. Darüber hinaus will die Union auch die aus der Zeit gefallene Niedrigsteuergrenze der Hinzurechnungsbesteuerung heruntersetzen. Übereinstimmungen mit der FDP und den Grünen finden sind unter anderem bei einer Ausweitung der Verlustrechnung, wobei die Grünen dies auf kleinere und mittlere Unternehmen und den Verlustrücktrag beschränken möchten.
… ansonsten steuerpolitischer Lagerwahlkampf
Gelegentlich wird den Parteien ein Mangel an Unterscheidbarkeit vorgeworfen. Blättert man durch die Steuerteile der Wahlprogramme ist dieser Vorwurf unberechtigt. In der Steuerpolitik zeigen die Parteien klare Kante, zumeist entlang der klassischen Lager-Frontverläufe. Während Konservativen und Liberale die Unternehmen entlasten wollen, setzen SPD, Grüne und die Linke auf eine stärkere Rolle des Staates durch strengere Regulierung – an einigen Stellen zeigen sie regelrecht die Folterinstrumente. Zwar stehen in ihren Programmen auch Pläne für Steuersenkungen, wie die Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen. An nennenswerte Entlastungen von Unternehmen denken diese Parteien dabei aber erkennbar nicht. Stattdessen wollen Grüne, SPD und Linke die Unternehmen enger an der Leine führen. Die Grünen legen sich sogar explizit fest, dass alle Änderungen im Steuerrecht mindestens aufkommensneutral sein sollen.
Ein weiterer Klassiker, über den die langen Jahre seit der globalen Finanzmarktkrise diskutiert wird, ist die Finanztransaktionsteuer (FTS). Rot-Rot-Grün – und in diesem Fall auch die Union – wollen endlich Nägel mit Köpfen machen. Ginge es nach SPD und Linkspartei, würde Deutschland höchstwahrscheinlich dem Vorbild Italiens und Frankreichs folgen und eine FTS notfalls auch national einführen. Union und Grüne machen hingegen ein gemeinsames Vorgehen in der EU zur Bedingung.
Linkspartei und Grüne wollen zudem verstärkt Quellensteuern als Instrument gegen Gewinnverschiebungen einsetzen, wobei die Linke offenbar insbesondere Zinszahlungen an Steuerausländer im Blick hat, soweit diese bislang nicht der Kapitalertragsteuer unterliegen. Die Linke fordert zudem, dass eine Anrechnung der Quellensteuer nur bei der Offenlegung aller relevanten Informationen durch den Steuerschuldner möglich ist. Zusätzlich sollen Doppelbesteuerungsabkommen mit sogenannten nicht-kooperativen Staaten aufgekündigt werden und eine „Straf-Quellensteuer“ in Höhe von 50 Prozent erhoben werden. Dieser Vorschlag steht allerdings im direkten Konflikt zum kürzlich verabschiedeten Steueroasenabwehrgesetz. Dieses Gesetz enthält die sogenannte „schwarze Liste“-Staaten, die Standards in den Bereichen Transparenz in Steuersachen, unfairen Steuerwettbewerb und bei der Umsetzung der BEPS-Mindeststandards nicht erfüllen, weshalb die jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen schon jetzt faktisch suspendiert werden können. Die Partei von Baerbock und Habeck fordert zudem ein Verbot von Geschäften in sog. „Steuersümpfen“ in ihrem Wahlprogramm. Was genau darunter zu verstehen ist, bleibt allerdings etwas nebulös.
Bürokratischer Mehltau: Anzeigepflicht für nationale Steuergestaltungen von zweifelhaftem Nutzen
Auch bei den Berichtspflichten soll nachgelegt werden. Einig sind sich SPD und Grüne, eine Anzeigepflicht auch für rein nationale Steuergestaltungen einzuführen. Für die Unternehmen wäre dies zweifellos eine weitere erhebliche Bürokratiebelastung. Sollte nicht zunächst abgewartet werden, ob die gerade erst eingeführte Anzeigepflicht für grenzüberschreitende Gestaltungen sich überhaupt bewährt, was keineswegs sicher ist? Bringt eine Anzeigepflicht für Transaktionen, die allein im Inland stattfinden, systematisch bessere Erkenntnisse als (die bereits heute möglichen) Betriebsprüfungen bei den Betroffenen? Von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt, wurde überdies gerade erst eine Art verwaltungsinterne Anzeigepflicht für kapitalmarktbezogene Gestaltungen (§ 88c AO im Steueroasengesetz) u.a. für den kritischen Bereich der Kapitalertragsteuer ergänzt, die bereits inländische Gestaltungen erfasst.
Zusammen mit der SPD beleben Grüne und Linke außerdem eine seit langem ergebnislos geführte Diskussion neu und setzen sich für eine Begrenzung der Abzugsfähigkeit von sehr hohen Gehältern ein. Linke und Grüne nennen in diesem Zusammenhang eine Grenze von einer halbe Millionen Euro, die SPD stellt auf das 15fache des betrieblichen Durchschnittsgehalts ab.
Grüne und Linkspartei sind sich außerdem darin einig, im Kampf gegen Steuerhinterziehung personell aufzurüsten. Aktuell ist die Steuerfahndung den Landesfinanzbehörden untergeordnet, diese sollen durch eine Behörde auf Bundesebene ergänzt werden. Als zusätzliches juristisches Werkzeug wird die Einführung eines Unternehmensstrafrechts (Linkspartei) bzw. ein eigenständiges Gesetz gegen Wirtschaftskriminalität inklusive einer Erweiterung des Sanktionskataloges gegen Unternehmen gefordert (Grüne).
Fazit
Wirtschaftsvertreter fordern seit Jahren eine Unternehmenssteuerreform, die sich in 2021, stärker als bei der letzten Bundestagswahl, auch in einigen Wahlprogrammen wiederfindet. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass einige Parteien weiterhin am Narrativ des letzten „BEPS“-Jahrzehnts festhalten und Steuerpolitik hauptsächlich als Kampf gegen Steuerverlagerung und -vermeidung betreiben – ganz gleich, welche gravierenden Kollateralschäden entstehen und welche Erfolge dabei längst erzielt wurden.
Auf der anderen Seite scheint übersehen zu werden, dass die steuerpolitisch sehr beliebten Abschreibungsvergünstigungen im Ergebnis verpuffen, wenn sie nur dazu führen, dass sich Corona-Verluste erhöhen. Entsprechend ist zu begrüßen, dass die Chancen für bessere Verlustnutzungsmöglichkeiten nicht schlecht stehen.