Mehrere Male hat der BFH entschieden, dass die Aufwendungen, die einem Paar aufgrund der Adoption eines Kindes entstehen, keine Krankheitskosten darstellen und folglich nicht als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind (z.B. BFH-Urteil vom 20.3.1987, III R 150/86; BFH-Urteil vom 10.3.2015, VI R 60/11). In den Jahren 2013 und 2015 gab es diesbezüglich aber einen seltsamen Vorgang beim BFH: Der VI. Senat wollte unter Aufgabe der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung Aufwendungen für eine Adoption doch als außergewöhnliche Belastung gemäß § 33 EStG anerkennen und rief insoweit den Großen Senat an (BFH-Beschluss vom 18.4.2013, VI R 60/11).
Aus mir nicht näher bekannten bekannten Gründen hat der VI. Senat dann aber einen Rückzieher gemacht und mit dem o.g. Urteil vom 10.3.2015 die bisherige Linie, die zuvor der III. Senat aufgezeigt hatte, bestätigt (vgl. dazu Geserich, NWB Nr. 29 vom 13.07.2015 Seite 2120).
Nun hat zwar auch das Finanzgericht Münster geurteilt, dass die Aufwendungen für eine Adoption keine außergewöhnlichen Belastungen darstellen, allerdings die Revision zugelassen. Möglicherweise werden die obersten Steuerrichter also doch noch Gelegenheit erhalten, ihre Auffassung zu revidieren (FG Münster, Urteil vom 25.6.2024, 14 K 1085/23 E/NWB Online-Nachricht).
Der Sachverhalt:
Die Kläger waren ungewollt kinderlos. Im Jahr 2022 adoptierten sie zwei im Ausland geborene Mädchen. Die Adoptionen wurden in Deutschland von einer staatlich anerkannten Adoptionsvermittlungsstelle begleitet. In ihrer Einkommensteuererklärung machten die Kläger die Adoptionskosten als außergewöhnliche Belastungen im Sinne des § 33 EStG geltend. Sie verwiesen darauf, dass ihnen die Aufwendungen zwangsläufig entstanden seien. So hätten sie vor der Adoption die langwierige und strapaziöse Behandlung einer künstlichen Befruchtung erfolglos auf sich genommen. Da der BFH die Aufwendungen einer künstlichen Befruchtung zur Erfüllung des individuellen Kinderwunsches als zwangsläufig anerkannt habe (z.B. BFH-Urteil vom 5.10.2017, VI R 2/17), müssten auch die Kosten einer Adoption als zwangsläufig gelten und folglich als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden. Finanzamt und Finanzgericht folgten dieser Argumentation jedoch nicht.
Die Begründung:
Die Aufwendungen, die einem Paar aufgrund der Adoption eines Kindes im Falle organisch bedingter Sterilität eines Partners entstehen, stellen nach der ständigen Rechtsprechung des BFH keine Krankheitskosten dar. Weder liege eine medizinische Leistung vor noch könne der Vorgang einer Adoption einer solchen gleichgestellt werden. Adoptionen seien keine (medizinischen) Heilbehandlungen. Sie seien nicht medizinisch indiziert und werden nicht in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnung der Ärzte vorgenommen. Etwas anderes gelte auch dann nicht, wenn der Entschluss zur Adoption erst nach erfolgloser Kinderwunschbehandlung gefasst wurde. Der Entschluss zur Adoption beruhe vielmehr – auch nach erfolgloser Kinderwunschbehandlung – auf einer vom Willen getragenen (neuen) freien Entscheidung, die ungewollte Kinderlosigkeit nunmehr durch Adoptionen zu beenden.
Denkanstoß:
Ich hoffe, dass die unterlegenen Kläger tatsächlich Revision einlegen. Übrigens weist BFH-Richter Dr. Geserich in der oben erwähnten Kommentierung darauf hin, dass Kosten der Adoption eines Kindes in Österreich abziehbar sind. Ich habe zu dem Thema in einem Erlass des österreichischen BMF vom 16.12.2016 (BMF-010222/0082-VI/7/2016, BMF-AV Nr. 211/2016) folgenden Satz gefunden: „Kosten der Adoption eines Kindes sind in Hinblick auf das öffentliche Interesse der Gesellschaft an Kindern als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig (VwGH 06.06.2011, 2007/13/0150.“ Mir gefällt die Aussage sehr.