Das FG Köln hat sich mit Urteil vom 30. März 2017, Az. 15 K 3280/15, mit der Frage beschäftigt, in welchem Maße eine Unrichtigkeit i. S. d. § 129 AO offenkundig sein muss, um als Übernahmefehler eine Änderung zu rechtfertigen.
Das Merkmal der Offenbarkeit könne danach nicht in dem Sinne verstanden werden, dass ein Mangel bereits bei oberflächlicher Bearbeitung oder bei bloßer Sichtung der Steuererklärung ohne nähere Befassung mit hierzu eingereichten Gewinnermittlungen nebst eingereichten Anlagen (mit Herleitung der einzelnen Positionen der Gewinnermittlung) ersichtlich sein muss.
Vielmehr verlange die Prüfung der Offenbarkeit, dass der Mangel bei Sichtung aller verfügbaren Unterlagen erkennbar werde.
In der Buchführung wurden Sozialversicherungsaufwendungen zutreffend auf dem Konto 4130 als Aufwand verbucht, jedoch versehentlich nicht in die Berechnung des Gewinns nach § 4 Abs. 3 EStG übernommen. Durch einen technischen (Zuordnungs-)Fehler bei Erstellung der Einnahme-Überschuss-Rechnung ist das Konto 4130 den sonstigen (Bestands-)Konten und nicht den Aufwandskonten zugeordnet worden, wodurch ein zu hoher Gewinn ausgewiesen und besteuert worden ist.
Bei Sichtung des Kontennachweises der Gewinnermittlung werde deutlich, dass das Konto 4130 als einziges Aufwandskonto den „sonstigen Konten“ zugeordnet worden ist. Diese auffallende Anomalie reiche nach Überzeugung des FG im Streitfall aus, eine „Offenbarkeit“ anzunehmen.
Das Urteil des FG Köln ist – soweit ersichtlich – rechtskräftig. Eine höchstrichterliche Entscheidung der Streitfrage über den Einzelfall hinaus ist daher vorerst nicht zu erwarten.
Trotzdem erscheint der praktische Umgang mit der lesenswerten Entscheidung diskussionswürdig, da vergleichbare Sachverhalte häufig auftreten.
Michael Heine, ein Standpunkt aus der Finanzverwaltung:
Das Urteil zeigt einige richtige Gedankengänge auf, dem Ergebnis kann ich jedoch nicht zustimmen.
Das FG Köln führt aus, der Fehler sei in der Gewinnermittlung ohne Berücksichtigung des Kontennachweises schwer bzw. nur bei einem Abgleich mit Vorjahres-Gewinnermittlungen ersichtlich. Es wurde im Streitfall im Rahmen des risikoorientierten Veranlagungsverfahrens offensichtlich eine überschlägige Prüfung vorgenommen.
Die Übermittlungsverpflichtung des § 60 Abs. 4 EStDV erschöpft sich im elektronischen Datensatz der EÜR. Das Vorliegen eines Kontennachweis ist insoweit standardmäßig nicht vorgesehen und kann demnach nicht in die maschinelle Risikoprüfung eingehen, nach der sich die weitere personelle Bearbeitung richtet.
Der Fokus des Innendienst-Bearbeiters wird insoweit bereits erheblich eingeschränkt.
Kann man hiernach im Allgemeinen wirklich auf die Offenbarkeit eines Fehlers, der sich lediglich aus der vollständigen Betrachtung des Kontennachweises erschließt, abstellen?
Ich meine Nein. Das Ergebnis des FG Köln trifft den Zeitgeist des „modernisierten“ Besteuerungsverfahrens nicht. Ein Übernahmefehler i. S. d. § 129 AO ist mangels Offenbarkeit nicht gegeben.
Steuerberater Christoph Iser:
Ich kann mich in die Auffassung des Kollegen Heine hineinversetzen, aber ich teile sie nicht.
Ob das Urteil „den Zeitgeist des „modernisierten“ Besteuerungsverfahrens“ trifft oder eben nicht trifft, ist zumindest dann vollkommen belanglos, wenn die Gesetzesvorschrift richtig angewendet zu einem anderen Ergebnis führt. Dies gilt sowohl gegen als auch für den Steuerpflichtigen. Eine Gerichtsentscheidung muss sich nach dem Gesetz richten und nicht nach der eventuellen Zielsetzung des Zeitgeistes.
Entscheidungserheblich ist daher die Frage, ob der Fehler offenbar war oder nicht? Wie der erkennende Senat dabei unter Hinweis auf zahlreiche BFH-Rechtsprechung ausführt, ist ein Fehler nicht nur offenbar, wenn er schon bei oberflächliche Bearbeitung oder bloßer Sichtung des nach § 60 Abs. 4 EStDV übermittelten Datensatzes ersichtlich ist.
Vielmehr verlangt die Prüfung der Offenbarkeit, dass der Mangel bei Sichtung aller Unterlagen erkennbar wird. Auch dies gilt im Übrigen für und auch gegen den Steuerpflichtigen. Sofern daher ein steuererhöhender (mechanischer) Fehler nur aus dem eingereichten Kontennachweis (oder in Abwandlung zum Sachverhalt beispielsweise aus eingereichten Vertragsunterlagen etc.) ersichtlich wäre, hätte die Finanzverwaltung sicherlich keine Bedenken § 129 AO anzuwenden, auch wenn wahrscheinlich noch andere Korrekturvorschriften greifen würden. Die Frage „Kann man hiernach im Allgemeinen wirklich auf die Offenbarkeit eines Fehlers, der sich lediglich aus der vollständigen Betrachtung des Kontennachweises erschließt, abstellen?“ muss daher wie folgt beantwortet werden: Man kann nicht nur, man muss! Man muss alle Unterlagen einbeziehen um zu klären, ob eine offenbare Unrichtigkeit gegeben ist. Sicherlich wird der Umfang der Unterlagen dabei irgendwann und je nach Einzelfall durch die Frage der Zumutbarkeit begrenzt. Ein Blick in den vorliegenden Kontennachweis ist jedoch allemal zumutbar.
Gemeinsames Fazit:
Dass § 129 AO, der „Fehler ohne Nachdenken“ richtigstellen soll, derart häufig die Finanzgerichte beschäftigt, mag man ob des Wortlauts der Norm manchmal fast nicht glauben.
Den Diskussionen um Übernahmefehler dürfte in der Praxis zukünftig wegen des neuen § 173a AO die Luft ausgehen. Eine Baustelle weniger…
Weitere Informationen:
FG Köln v. 30.03.2017 – 15 K 3280/15