Kann ein Steuerbescheid nach § 129 AO geändert werden, obwohl die Veranlagung von mehreren Finanzbeamten und sogar vom Sachgebietsleiter geprüft worden ist? Wenn es nach dem FG Köln gegangen wäre, hätte die Antwort gelautet: Ja, der Bescheid kann dennoch geändert werden (Urteil vom 14.6.2018, 15 K 271/16). Das Urteil des FG Köln wäre ein Freibrief für die Finanzverwaltung gewesen, Änderungen nach § 129 AO durchzuführen. Doch glücklicherweise hat der BFH diesem Unfug soeben ein Ende bereitet.
Der Sachverhalt: Der Kläger war alleiniger Gesellschafter einer GmbH und veräußerte einen Gesellschaftsanteil von 20 Prozent für einen Verkaufspreis von 138.400 Euro. Die Beteiligung wurde im Privatvermögen gehalten. Im Rahmen der Einkommensteuererklärung 2011 erklärte der Kläger daher bei seinen Einkünften aus Gewerbebetrieb einen Veräußerungsgewinn. Vom Grundsatz her waren sich der Kläger und auch das Finanzamt über die Besteuerung einig. Offenbar kannten sich aber mehrere Finanzbeamte mit den erforderlichen Kennziffern im maschinellen Veranlagungsverfahren nicht aus. Und so kam es wie es kommen musste:
Trotz eines Prüfhinweises haben weder
- der Veranlagungssachbearbeiter noch,
- die Bearbeiterin in der Qualitätssicherungsstelle noch,
- die zuständige Sachgebietsleiterin des Veranlagungsbezirks
den Eingabefehler erkannt, so dass ein Wert von 0 Euro bei der Summe der Einkünfte berücksichtigt worden ist.
Später erging aus anderen Gründen (Nachreichung von Unterlagen und Angaben bzgl. Kinderbetreuungskosten sowie Einkünften aus Vermietung und Verpachtung) sogar noch ein Änderungsbescheid zur Einkommensteuer nach § 164 Abs. 2 AO mit Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung!
In der Folgezeit fand bei der GmbH eine Betriebsprüfung statt, bei welcher der Fehler in der Einkommensteuerveranlagung bemerkt wurde. Der Fehler sei als ähnliche offenbare Unrichtigkeit nach § 129 AO zu korrigieren.
Das FG Köln hatte die Änderung nach § 129 AO zugelassen. Begründet wurde dies u.a. wie folgt:
„Die Frage der Abgrenzung von mechanischem Fehler zu einer (mehr als theoretisch denkbaren) fehlerhaften Rechtsanwendung (oder Sachverhaltsermittlung und -würdigung) stellt sich insbesondere in Fällen der Beteiligung mehrerer Personen in der Finanzbehörde, hierunter sog. „Prüffeld-Fälle“, „Intensivprüf-Fälle“ oder andere Fälle mit genereller Sachgebietsleiter-Zuständigkeit. Da es auch in solchen Fällen möglich ist, dass einem Sachbearbeiter bei der Dateneingabe ein mechanisches Versehen unterläuft und der Sachgebietsleiter die Eingaben bei der abschließenden Zeichnung ungeprüft übernimmt (vgl. zu einem solchen Fall etwa BFH-Urteil vom 7. November 2013, IV R 13/11, BFH/NV 2014, 657), scheidet die Anwendung von § 129 AO auch bei der Beteiligung mehrerer Personen nicht aus.“
Der BFH hat nun aber durch Urteil vom 10.12.2019 (IX R 23/18) entschieden, dass ein bestandskräftiger Steuerbescheid nicht mehr nach § 129 AO berichtigt werden kann, wenn die fehlerhafte Festsetzung eines vom Steuerpflichtigen ordnungsgemäß erklärten Veräußerungsgewinns i.S. des § 17 EStG trotz eines vom Finanzamt praktizierten „Sechs-Augen-Prinzips“ nicht auf einem bloßen „mechanischen Versehen“ beruht. Die inhaltliche Prüfung und Bearbeitung ginge im Streitfall eindeutig aus den Steuerakten und den darin befindlichen handschriftlichen Vermerken hervor, die sich vom Schriftbild her deutlich unterschieden und zwei verschiedenen Personen zuzuordnen seien.
§ 129 Satz 1 AO erlaube nur die Berichtigung von Schreibfehlern, Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten (sog. mechanische Versehen), die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind. § 129 AO sei dagegen nicht anwendbar, wenn dem Sachbearbeiter des Finanzamts ein Tatsachen- oder Rechtsirrtum unterlaufen ist oder er den Sachverhalt mangelhaft aufgeklärt hat. Die inhaltliche Prüfung und Bearbeitung durch zumindest zwei Mitarbeiter des Finanzamts schließe das Vorliegen eines bloß mechanischen Versehens und damit die Anwendung der Berichtigungsnorm des § 129 AO aus.
Hinweis:
Der Fall zeigt, dass die Hürden für eine Änderung nach § 129 AO für die Finanzverwaltung hoch sind. Betroffene sollten sich im Zweifelsfall immer zeigen lassen, ob, inwieweit und von wem Prüfhinweise bearbeitet worden sind und ob sich eventuell handschriftliche Vermerke darauf befinden.
Weitere Informationen:
Gute Entscheidung. Es war mir schon immer ein Dorn im Auge, dass eine Änderung nach § 129 AO zugunsten des Steuerpflichtigen fast nie möglich ist, die Finanzverwaltung aber alle ihre erst später erkannten Fehler immer nach § 129 AO ändern möchte.
@Andreas Geibel:
Die Norm § 129 AO gilt ja generell nur für Unrichtigkeiten die beim Erlass eines Verwaltungsaktes unterlaufen sind. Da nur die Finanzverwaltung Steuerverwaltungsakte erlässt ist diese Norm nur bei Unrichtigkeiten von Finanzbeamten einschlägig (Außnahme nur dann, wenn sich die Finanzverwaltung Fehler des Stpfl. zu eigen macht)
Ferner muss man nunmehr zwischen einer geänderten Rechtslage bis 2016 und ab 2017 unterscheiden:
– Soweit der Steuerbescheid nach dem 31.12.2016 erlassen wurde vgl. AEAO zu § 173a.
– Soweit der Steuerbescheid vor dem 1.1.2017 erlassen wurde, gilt Folgendes:
7 Sind dem Steuerpflichtigen bei Erstellung seiner Steuererklärung Fehler (insbesondere Schreib- oder Rechenfehler) unterlaufen und hat er demzufolge dem Finanzamt bestimmte Tatsachen nicht oder mit einem unzutreffenden Wert mitgeteilt, kann der Steuerbescheid nicht nach § 129 AO berichtigt werden, da das Finanzamt den Fehler nicht erkennen und diesen sich somit auch nicht zu eigen machen konnte.
Gruß CK